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Mein Jakobsweg    Himmel und Hölle 

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  Manfred Alertz

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Mein Jakobsweg
Hölle und Himmel

Begegnungen,

Erlebnisse,

Informationen

Schmerzen,Tränen, Leiden, Liebe, Freude, Freunde

auf dem Camino Frances.


Das Ziel ist der Weg.

Das Ziel liegt noch einige Jahre vor mir, als ich mich entschlossen habe, einmal den Jakobsweg zu pilgern. Es war Ende des zwanzigsten Jahrhundert. Auslöser war das Buch von Coelho über seine Reise auf dem Jakobsweg. Um eine über Wochen dauernde Pilgertour zu gehen, muss ich erst den Ruhestand abwarten, das heißt, ich habe noch ein paar Jahre vor mir. In den folgenden zehn Jahren schwebten immer wieder meine Gedanken um und über "den Weg". Aber vom Wunsch, den Weg zu gehen, bis zum Gehen des Weges, gibt es viele Gedanken und tausende Dinge, die überlegt werden müssen. Der Kopf sagt: "ja geh´ den Weg", der Körper und die Beine sagen, "nein es könnte zu viel für dich werden." Ich habe ja noch ein Zeitfenster vor mir und kann einmal eine ganz grobe Vorplanung beginnen und mich im Internet über alles informieren. Es kommen mindestens 800 Km auf mich zu, aber, wie sich im Nachhinein herausstellte, wurden es mehr als tausend Kilometer je Weg und ich bin zwei Mal gegangen. Warum zwei Mal erkläre ich später.

Der Weg ist das Ziel.

Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, ich bin früher als gedacht in Rente gegangen. Habe mich immer mehr mit dem Weg angefreundet. Ich will und ich muss den Jakobsweg gehen. Zumindest will ich es versuchen. Ich würde mir zu einem späteren Zeitpunkt eventuell Vorwürfe machen, es nicht wenigstens versucht zu haben. Also verfeinere und erweitere ich die ganz grobe Vorplanung.

Zur Vorplanung gehört, sich über das Equipment zu informieren, des weiteren muss

die Anreise und Abreise überdacht und organisiert werden. Die Orte am Weg, die eine Herberge haben, werden vorgemerkt. Ich führe viele, viele Gespräche mit Pilgern, die den Weg oder Teile des Weges schon gegangen sind.

Bald werde ich mit der physischen Vorbereitung beginnen. Ich gehe mit Pilgern häufig den Jakobsweg in der näheren und weiteren Umgebung meines Heimatortes. Zum Teil sind es mehrere Etappen, die nacheinander an Wochenenden in kleinen Gruppen gegangen wurden. Bei Gesprächen auf diesen heimischen Pilgerwegen habe ich die meisten Erfahrungen über den Weg vor dem eigentlichen Hauptweg erhalten.

Die Information über das verschiedene Equipment hole ich mir ebenfalls in Gesprächen mit erfahrenen Pilgern. Zum Beispiel muss der Rucksack eine Mindestliterzahl haben, bei Männern etwa 45 bis 65 Liter, bei Frauen etwa 40 bis 55 Liter, um alle Sachen verstaut zu bekommen. In Fachgeschäften habe ich mich über viele Eigenschaften beraten lassen. Es sollte ein robustes Außenmaterial sein, regen sicher, die Last sollte gut und gleichmäßig verteilt werden können, um eine Kontrolle und gute Balance zu erhalten, wichtig für schwere Wegpassagen. Verstellbare Rücken-, Hüft- und Brustgurte und ein Gewicht nicht über 3 Kilogramm sind ein "Muss". Ich habe dieses alles in einem Rucksack der Firma DEUTER gefunden und war auch nach 2000 Kilometer mit dem empfehlenswerten Rucksack sehr zufrieden.

Genau so wichtig wie der Rucksack, vielleicht noch wichtiger, sind sehr gute Wander- oder Treckingschuhe. Ich habe auf Wasserdichtheit geachtet, also sollte es bei mir ein Leder- und Goretexstiefel mit weichem Schaft, Schaftrand, gutem Fußbett und ein leicht zu schnürender Schuh oder Stiefel sein. Ich war mit meinem Paar MEINDL ebenfalls auf 2000 Kilometer zufrieden. Wie ich noch beschreiben werde, war ich es selbst Schuld nach 1500 Kilometer (erst auf dem 2. Weg) eine Blase bekommen zu haben. Ich achte auch auf ein nicht zu hohes Gewicht, wobei ein Lederschuh von Natur aus etwas schwerer ist.

Das  dritte Vorplanungsthema bei mir war, was ziehe ich an, was nehme ich mit, das heißt, welche Bekleidung ist die idealste Kleidung für den langen Weg. Zu richtigen Schuhen gehören auch bestens geeignete Strümpfe. Hier habe ich auf FALKE Strümpfe gesetzt. Ich nahm nur 2 Paar Strümpfe mit. Ein Paar Socken und ein Paar Kompressionsstrümpfe. Diese sind sehr pflegeleicht und ich habe das Paar, das ich tagsüber getragen habe, abends gewaschen und morgens wieder angezogen. Sie waren morgens schon immer trocken.

FALKE hat auch sehr gute, etwas gehobene Funktionsunterwäsche, die fantastisch tragbar und sehr pflegeleicht ist, sowie fast kein Gewicht hatte.

Gewicht ist das große Thema für alles, was im wahrsten Sinne des Wortes, getragen werden muss. Man kann bei kluger Planung an vielen Sachen Gewicht reduzieren. Ein Beispiel sind Mikrofaser-Handtücher, diese wiegen nur einen Bruchteil von üblichen Baumwollhandtüchern oder bei der Taschenlampe für nachts eine flache, runde LED Lampe aussuchen. Sehr früh sollte man sich über die An- und Abreise informieren.

Man erreicht Spanien per Flug, Zug oder Fernbus. Meinen ersten Hinflug nach Biarritz Bayonne habe ich fast ein halbes Jahr im Voraus gebucht und bald die Hälfte gespart. Früh suchen spart Kosten.

Bei meinem ersten Jakobsweg habe ich die Rückreise aus Deutschland vorab gebucht. Meine Planung war: 20 bis 25 Km pro Tag, 800 Km Strecke bis Santiago, also das Mittel von 36 Tage, zuzüglich 1 Tag Aufenthalt und dann am 38 Tag den Rückflug. Weit verplant, Zeit von 10 Tage zu schnell gelaufen, wie es sich später noch herausstellen sollte. Im Voraus sollte auch eine grobe Tagesmarschplanung erstellt werden.

Diese kann man auf dem Weg jederzeit um- oder abändern, da die Dichte von Herbergen zur Übernachtung ganz eng ist. Es gibt genug Literatur, in der alle Orte am Jakobsweg mit Herbergen verzeichnet sind, also ist ein Schlafplan leicht zu finden, beziehungsweise leicht umzuplanen. Last but not least sollte man so früh wie möglich mit dem Training beginnen.

Die Wanderstrecke soll ständig gesteigert werden. Im letzten Monat vor dem Pilgerstart sollte man zwei oder drei Mal die angestrebte höchste Tageskilometerstrecke testen, um zu wissen, wo man leistungsmäßig steht. Wenn mir 20 Km größte Mühe bereiten, hat es keinen Sinn, 30 Km täglich zu planen. Bei der Planung immer realistisch bleiben. Nur zur Information: Ich bin in den letzten 2 Wochen vor dem Start drei Mal 30 Km gewandert.

Mein Weg Nummer eins, der Weg für Joana

Ein in Deutschland bekannter Jakobsbuchautor ging den Weg 2001. Warum? Er benötigte eine Auszeit. Es gibt tausend andere religiöse und nicht religiöse Gründe den Weg zu gehen, zu pilgern, zu wandern oder zu laufen. Es gibt Sportpilger und Touristenpilger. Jeder, der den Weg gegangen ist, den Weg gehen will oder plant den Weg zu gehen, wird sich Gedanken machen, warum er den Weg geht beziehungsweise gehen möchte. Man kann den Weg als Bitt- oder als Bußweg, aber auch aus vielen anderen Gründen gehen. Einfach "das Gehen" in der Ferne und dazu einfach "mal aufzubrechen", ist eine dem Menschen inne wohnende Sehnsucht. Als meine Sehnsucht aufzubrechen begann, war der oben genannte Autor noch nicht unterwegs gewesen. Ich wollte einfach Dank für mein Leben sagen. Dank für Gesundheit, Lebensalter, Glück und Zufriedenheit. Also nannte ich, den Weg, den ich gehen wollte, meinen Dankesweg.

Aber alles kommt wie immer anders als man denkt. Einige Monate vor dem Aufbruch nach Santiago de Compostela meldete sich meine Tochter zu Kaffee und Kuchen an. Hierbei unterrichtete sie uns feierlich, dass sie in anderen Umständen sei. Bei der Freude, bald Opa zu werden, kam mir sofort der Gedanke, meinem Jakobsweg einen anderen Sinn zu geben. Neben den Dank war die Prämisse jetzt, einen Bittweg für mein erstes Enkelkind zu gehen. Ich wollte um Gesundheit, Zufriedenheit, Erfolg, Glück und ein langes Leben für Joana auf dem Jakobsweg bitten. Jetzt bekam der Weg für mich den besten Sinn den ich mir vorstellen konnte. Viele, viele Kerzen habe ich in vielen Kirchen für sie angemacht.

Angezündet kann ich nicht schreiben, da in allen Kirchen am Jakobsweg nur Elektrokerzen benutzt werden. Begründung ist, dass in den alten Kirchen alle Gewölbe und Decken, die einmal weiß waren, jetzt rußgrau bis bald schwarz aussehen und die Restaurierung immense Summen verschlingen wird.

Das Pilgerkreuz

Jetzt mache ich einen großen Sprung. Der erste Weg ist gegangen. Es war ein überwältigendes Erlebnis. Ich erlebe den letzten Tag in Santiago vor der geplanten Rückreise und suchte für mich und mein Enkelkind ein passendes Mitbringsel. Schlendernd ging ich durch Gassen Santiagos und sah in einem Juwelierladen ein Pilgerkreuz, ein Taukreuz in Silber mit einem Schmuckstein aus Korallen. Das Taukreuz ist der 19 Buchstabe des griechischen Alphabets, ebenso das Symbol des Franziskanerordens und Franz von Assisi deklarierte es als Bußkreuz und als Zeichen der Demut, vor allem aber ist es das Pilgerkreuz. Für die Pilger auf dem Jakobsweg.


Das Taukreuz 

Das war ein relevantes Mitbringsel und ideales Andenken an diesem, meinem ersten Jakobsweg. So ging ich in den Laden, um es zu kaufen.

Beim Kauf kam mir der Gedanke: "Nehme solch ein Kreuz für alle Mitglieder im engen Familienkreis mit". Gedacht, gemacht. Direkt nach dem Kauf begann die Pilgermesse und ich ließ alle Kreuze segnen und hing sie auch noch der Statur des Heilgen Jakobus für einige Minuten um den Hals. Jetzt war mein Pilgerkreuz - das Taukreuz - ein Talisman, ein Beschützer, ein Amulett und Glücksbringer.

Mein Weg Nummer zwei, der Weg für Emily.

Wieder mache ich einen großen Zeitsprung von mehr als einem Jahr. Wieder

meldete sich meine Tochter zu Kaffee und Kuchen an. Hierbei unterrichtete sie uns feierlich, dass sie erneut in anderen Umständen sei. Bei der Freude zum zweiten mal Opa zu werden kam mir der Gedanke, für dieses Kind hast du keinen Talisman, keinen Glücksbringer, kein Kreuz. Also plante ich schnell, den Weg tag genau wie den ersten Weg zu gehen und ich wollte dieses mal um Gesundheit, Zufriedenheit, Erfolg, Glück und ein langes Leben für Emily auf dem Jakobsweg bitten. Tag genau, wie den ersten Weg zu gehen, hat nicht funktioniert, aber es war annähernd der gleiche Weg. Zu meiner und vieler Freude hat Emily jetzt ein Kreuz und einigen Personen habe ich ebenfalls noch ein Kreuz mitgebracht. Diese mal war ich aber cleverer, ich habe zwei Kreuze als Ersatz für eventuell weitere Einladungen zum Kaffee mitgebracht. Bisher, und es sind schon wieder einige Jahre vergangen, brauchte ich sie nicht aus dem Tresor, in dem sie gelagert sind, heraus zu holen.

Nun, jetzt wissen sie, warum ich den Weg ein zweites Mal gehen musste.

Auch auf diesem Weg hatte ich viele Begegnungen, Erlebnisse und Ereignisse.

(Sind im Bericht immer mit 2. Weg gekennzeichnet.)

Auch dieser Weg war gut für Geist, Leib und Seele und auch diesen Weg möchte ich nicht missen.

Himmel und Hölle
1000 Kilometer zu Fuß in 30 Etappen

Anreise Flug mit Ryanair

Düsseldorf - Saint-Jean-Piet-de-Port

1. Tag

Über die Pyrenäen nach Roncesvalles

2. Tag

Roncesvalles nach Larasoana

3. Tag

Larrasoana über Pamplona nach Cizur Menur

4.Tag

Cizur Menur nach Puenta la Reina

5. Tag

Puente la Reina nach Los Arcos

6.Tag

Los Arcos nach Logrono

7. Tag

Logrono nach Azorfa

8. Tag

Azorfa nach Belorado

9.Tag

Belorado nach Ages

10. Tag

Ages über Burgos nach Tardajos

11. Tag

Tardajos nach Castrojeriz

12. Tag.

Castrojeriz nach Fromista

13. Tag

Fromista nach Calzadilla de la Cueza

14. Tag

Calzadilla de la Cueza nach El Burgo Ranero

15. Tag

El Burgo Ranero nach Puente Villarente

16. Tag

Puente Villarente nach über Leon nach Virgen d C

17. Tag

Virgen del Camino nach Hospital de Orbigo

18. Tag

Hospital de Orbigo über Astorga nach Rabanal d C.

19. Tag

Rabanal del Camino, Cruz Ferro nach Ponferrada

20. Tag

Ponferrada nach Trabadelo

21. Tag

Trabadelo , O Cebeiro (1308 m) nach Fonfria

22. Tag

Fonfria nach Sarria

23. Tag

Sarria über Porto Marin nach Gonzar

24. Tag

Gonzar nach Melide

25. Tag

Melide nach Pedrouzo/ Arco do Pino

26. Tag

Pedrouzo/Arco do Pino nach Santiago de Compostela

27. Tag

Ein freier Tag in Santiago de Compostela

28. Tag

Santiago nach Gregarine ( nach Fenisterre)

29. Tag

Negreira nach Olveiroa

30. Tag

Olveiroa nach Finisterre

31. Tag

Ruhetag in Finisterre

32. Tag

Finisterre nach Muxia

33. Tag

Ruhetag in Muxia

34. Tag

Ruhetag in Santiago de Compostela

35. Tag

Ruhetag in Santiago

36. Tag

Letzter Ruhetag in Santiago

37. Tag

Die Heimreise

Weitere Informationen

Mein Weg

Alle Orte am Camino Frances

Die Vorbereitung auf den Weg

Die richtige Ausrüstung

Training




Anreise Düsseldorf - Saint-Jean-Pied-de-Port

Bin am 5. August kurz nach 2:00 Uhr aufgestanden, weil ich nicht schlafen konnte. Ich war sehr nervös. Organisiert war zwar alles hervorragend. Ich hatte etwa ein Jahr zuvor mit der Feinplanung begonnen. Die Frage war, klappte auch alles, wie ich es mir vorstellte? Habe mir einen starken Kaffee gemacht und bin um 3:45 Uhr zum Düsseldorfer Hauptbahnhof gefahren worden. Nach 4:00 Uhr kam die erste S-Bahn nach Köln, wo um 5:45 der Bus zum Flughafen Frankfurt Hahn fuhr. Dort flog um 11:00 Uhr der Ryanair Flieger nach Biarritz / Bayonne in Frankreich.

Ich kann jetzt schon sagen, dass alles hervorragend ablief. Es gab keine Verspätungen oder Pannen. Etwas mehr als zwei Stunden nach dem Abflug standen wir in Frankreich an der Flughafenbushaltestelle nach Bayonne. Um 13:40 Uhr fuhr der Bus zum Bahnhof und um 14:40 Uhr Abfahrt des Zuges nach Saint-Jean-Pied-de-Port, wo wir ca. 15:50 Uhr ankamen. In dem Flieger waren 12 Pilger, die als Gruppe bis Saint-Jean-Pied-de-Port zusammen blieben. Gemeinsam gingen wir ins Pilgerbüro, wo es Pilgerausweise und eine Einweisung, sowie Unterlagen über den Jakobsweg gab. Die Leute im Pilgerbüro waren sehr, sehr freundlich und hilfsbereit. Sie riefen in einer Herberge im Vorort von Saint-Jean-Pied-de-Port in Honto an, ob noch vier Betten frei seien. 8 der Pilger aus dem Flieger wollten, weil sie zu müde von der langen Anreise waren, im Ort bleiben. So gingen nur vier, Angelika, eine Studentin aus dem Sauerland, die in Siegen studierte und knapp über 20 Jahre alt war, zwei Männer aus Niederbayern, Erich nicht viel älter als 50 Jahre und Jo bald 60 Jahre sowie ich als Alterspräsident der Gruppe, gleich in Richtung Pyrenäen los. Es ging direkt steil bergauf und sofort trennte sich der Streu vom Weizen. Erich und ich gingen flott, Jo etwas langsamer und unsere Studentin ging den Berg noch etwas langsamer als Jo hoch. In unserer vorbestellten Herberge kamen wir nacheinander in einer Zeitspanne zwischen 30 und 45 Minuten an. Unsere junge Studentin sah unheimlich fit und sportlich aus, war auch nicht zu zart gebaut. Anfangs dachten wir, es würde uns Schwierigkeiten bereiten, mit ihr mitzuhalten. Wir drei Männer warteten anfangs oft auf sie und einer sagte "Angelika geht fast so langsam wie eine Schnecke".
Nachdem wir vier unser Fünfbettzimmer belegt hatten, geduscht und umgezogen waren, gingen wir ins Restaurant, um unser erstes Pilgermenü zu essen. Es war ein gutes Menü, Suppe, Eierkuchen - eine Spezialität aus dieser Gegend - Fleisch, Salat und Obst sowie Brot und Wein. Angelika bekam während des Essens eine SMS ihrer Mutter. Sie war hocherfreut und las uns den Text vor: "Hallo S C H N E C K E, wie geht es......" Wir Männer lachten klammheimlich.
An einem großen Esstisch saßen wir mit 15 Personen aus aller Herren Länder: Italiener, Franzosen, Polen, Österreicher und Deutsche. So stellte ich mir den Jakobsweg vor. Alle Nationen, Jung und Alt, Männlein und Weiblein, alle an einem Tisch. Erwähnenswert ist noch, dass das Restaurant der Herberge als Terrasse am Hang, mit herrlichem Ausblick auf die Berglandschaft, ausgebaut war. An diesem Abend sahen wir für mich eines der schönsten Gewitter in den Bergen, die ich je gesehen hatte. Es war wie ein schönes, langes und gewaltiges Feuerwerk vor dem Hintergrund der Pyrenäenberglandschaft. Es dauerte über eine Stunde. Die Bilder waren so gewaltig, dass ich sie mein Leben lang nicht mehr vergessen werde.
Nach dem Essen gingen wir schnell in unser Fünfbettzimmer. Ich habe nicht gut geschlafen, trotz des anstrengenden Tages und ab 1:00 Uhr in dieser Nacht nur noch beduselt, dieses ist ein rheinischer Ausdruck für einen nicht festen Schlaf oder Halbschlaf. 


1. Tag Über die Pyrenäen nach Roncesvalles / Ortega

Heute ist der zweite Mittwoch im August.
Es beginnt die große Wanderung auf dem Jakobsweg über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela. Kurz nach 7:00 Uhr ging es los. Der Weg begann tierisch steil bis zur Auberge Orisson, wo eine Serpentinenstraße, durch Querfeldein in gerader Flucht gehen, stark abgekürzt wurde. Es geht immer bergauf. Den Verlauf meines Weges auf einem Bergrücken kann ich kaum erkennen. Ich schaue nach oben, meine der Gipfel wäre bald erreicht, als ich jedoch diese fixierte Stelle erreichte, macht der Weg eine Biegung und alles begann von vorne. So erging es mir auf dem gesamten Aufstieg, es kam mir teilweise wie eine Fata Morgana vor. Ich hatte absolut kein Höhengespür mehr.
Auf 1.000 Meter Höhe hatte ich das Gefühl, auf der Zugspitze zu sein. Nachher bei 1.500 Meter war es der Mount Everest, den ich glaubte, erklommen zu haben. Aber über der Baumgrenze (die Höhe in den Bergen, in der nur noch Krüppelholz wächst) kam es noch schlimmer. Starker Wind bergab, beziehungsweise ablandiger Wind und ein paar Meter weiter um den Berg waren es sehr starke, aus dem Tal bergauf wehende Winde. Diese ließen es nicht zu, einen Hut bzw. Mütze zu tragen, da die Böen Sturmstärke erreichten.
Ein nettes Erlebnis war das Folgende: Ein Paar, Mitte 20, ging etwa 40 Meter vor mir. Ich sah, wie der junge Mann mit seinem Hut kämpfte. Plötzlich hatte der Wind gewonnen. In rasender Geschwindigkeit flog der Hut, es war eine Art Strohhut, in Richtung einer grasenden Schafherde. Als der Hut bei den Schafen angeflogen kam, der Träger des Hutes hinterher, wichen die Schafe nach rechts und links aus und machten eine Gasse für den Hut und den Hutfänger frei. Nahe am Hut, schmiss der Mann sich auf ihn - leider vergebens. Durch den gewollten Fall hatte er die Beine bis zu den Knien voller Schafsdung. Bald hatte er seinen Hut und kam total aufgelöst zurück. Seine Partnerin und ich, verfolgten das lustige Spiel und krümmten uns vor Lachen. Der Hutbesitzer stimmte ebenfalls mit lautem Lachen ein, als er angeekelt seine Beine reinigte. Von hier aus ging es immer weiter bergan, zum Teil über Geröllwege, zum Teil über ausgetretene Pfade. Der Weg war nicht einfach zu gehen und mir sollte das Lachen vergehen. Ich bekam von dem starken Wind Ohrenschmerzen. So machte ich eine Pause bis Jo kam, der eine Apotheke vom Feinsten bei sich trug. Er hatte beim Anstieg am Vortag mir aufgezählt, an was er alles gedacht hatte und was eventuell benötigt wurde. Also auch Schmerztabletten und Tropfen für meine Ohren. Kurzfristig glaubte ich, es würde besser, aber das war ein Irrtum.
Bis 14:00 Uhr ging es weiter nur bergauf. Als ich am Pass Col de Lepoeder auf ca. 1430 m zur höchsten Stelle kam, lag tatsächlich ein fast sieben Stunden langer Aufstieg hinter mir. Unterwegs gab es einige Wasserstellen und bis hier oben hatte ich sechs Liter Wasser getrunken. Aber es hat mich nur ein Mal in die Büsche verschlagen. Den Wasserverbrauch konnte ich gut kontrollieren, denn ich hatte zwei Flaschen, mit je dreiviertel Liter bei mir. Eine seitlich am Rucksack und eine in meiner Gürteltasche. Unterwegs habe ich drei Mal an Wasserstellen, von denen es in Spanien am Jakobsweg sehr viel gibt, nachgefüllt. Verdursten kann man dort nicht. Hieran konnte ich erkennen, wie viel ich geschwitzt habe.
Teilansicht des mittelalterlichen Schlafsaales in Roncesvalles
Am Pass, den Jo und ich gemeinsam erreichten, warteten wir auf "Schnecke". Diesen Namen hatte sie weg, aber Schnecke war verschollen.
Immer wieder tauchte der Satz "Wo ist Schnecke?" auf und dieses erinnerte mich stark an die Reportage von Bruno Moravetz bei den Olympischen Spielen 1980 als er sehr, sehr oft den Satz " Wo ist Behle?" fragte, und dieser trotz bester
Zwischenzeit nie im Fernsehbild erschien. Lange haben wir gewartet, Ankommende gefragt, ob sie Angelika gesehen hätten, bis jemand sagte, dass sie sich auf einer Wiese ausgeruht hätte. Wir mussten weitergehen, da noch ein 5 Km Weg bergab vor uns lag. Wenn jemand sagt, bergab wäre leichter als bergauf, der irrt. Viel mehr Verletzungen entstehen bergab, was ich auf meinem zweiten Pilgerweg nach Santiago noch erleben sollte. Irgendwann um etwa 15:45 Uhr kamen wir dann in Roncesvalles ohne Mühe an. Ich hatte jedoch immer noch Ohrenschmerzen.
Das Pilgerbüro in Roncesvalles öffnet erst um 16:00 Uhr, somit hatte ich noch eine viertel Stunde Zeit. Pünktlich ging es ins Pilgerbüro, ich füllte mein Formular aus, bezahlte meinen Obolus für das Nachtlager und ging in die Herberge. Es ist ein mittelalterlicher Pilgersaal, riesig groß, und innen standen 60 Etagenbetten, also für 120 Personen, und er war ausgebucht.
Abends, etwa zweieinhalb Stunden nach uns, sah ich dann auch Schnecke eintreffen, die sich, wie schon gesagt, unterwegs auf einer Alm lange ausgeruht hatte. Um 20:00 Uhr ging ich in die Kirche, um den Pilgersegen zu empfangen, zuvor war ich noch essen. Danach, noch früh am Abend, wollte ich in die Herberge gehen und schlafen, denn am nächsten Tag musste ich gut ausgeruht sein. Es kam anders als gedacht.
In dem riesigen Refugio standen je 20 Etagenbetten in 3 Reihen, also 120 Betten. Als das Licht um 22:00 Uhr Uhr gedimmt wurde, lag in der Mitte des Pilgergebäudes ein Schnarcher, der so was von laut und in solchen Extremtönen schnarchte, das viele nicht schlafen konnten, ebenso wie ich. Zudem hatte ich noch leichte Ohrenschmerzen. Bald pfiffen einige leise. Die, die neben dem Schnarcher lagen, stießen ihn leicht an. Es änderte sich nichts. Bis jemand ihn etwas stärker rüttelte. Der Extremschnarcher drehte sich weiter schlafend auf die Seite und eine Minute später zurück auf den Rücken und alles begann von vorne. Ich schlief in dieser Nacht nicht, sagte mir zur Beruhigung, dass allein das Liegen schon für Erholung sorgen würde. Von späteren Berichten weiß ich, das ein junger Mann wegen der schlaflosen Nacht (er lag näher am Schnarcher als ich) und des anstrengenden Anstiegs am Tag, die Pilgertour abgebrochen hat und entnervt nach Deutschland gefahren ist. Meine Informationsquelle war seine Freundin und wiederum deren Freundin, die ich einige Tage später nach meinem 43 Km Marsch kennen lernte.    


 2. Tag Roncesvalles nach Larrasoana

Ich habe heute schon die dritte Nacht hintereinander nicht oder schlecht geschlafen, sei es aus Nervosität oder aus anderen Gründen. Also stand ich als einer der Ersten in der Herberge ganz leise auf und duschte mich, um fit und frisch zu werden. Danach fühlte ich mich dementsprechend, wohl kann man nicht sagen, und bin sehr früh am Morgen, noch bei Dunkelheit kurz nach 6:00 Uhr, abmarschiert. In Burguete, dem nächsten Ort, wartete der Inhaber der einzigen Bar, schon auf die ersten Pilger. Bei ihm frühstückte ich dann. Der Aufenthalt war kurz, denn ich wollte in dem nächsten größeren Ort mit meinen Ohrenschmerzen einen Arzt aufsuchen. In Zubiri, dem dann folgenden größeren Ort nach 21 Km, dachte ich, einen Arzt zu finden. Dieses war jedoch nicht der Fall, aber es gab eine Apotheke. Unterwegs, auf dem Weg zur Apotheke, verkrampften sich auch noch meine Finger, immer und immer wieder. Es war Magnesiummangel, wie die Apothekerin mir berichtete. Neben den Ohrenschmerzen noch eine Unannehmlichkeit. Es fing schon gut an mit meiner Tour...
Die Apothekerin war klasse. Wie sie mir sagte, war sie Ärztin und sprach sogar etwas deutsch. Sie schaute in mein Ohr, das fürchterlich nässte, und jetzt bekam ich erneut einen sehr starken Krampf in den Händen. Hiervon nahm sie sofort Notiz, wie verformt meine Finger in alle Richtungen zeigten und gab mir Ohrentropfen, die sie mir sofort eintröpfelte und Magnesiumtabletten, die sie mir mit einem Glas Wasser reichte. Das war für insgesamt € 6.- perfekte Pilgerhilfe.
Etwas zuversichtlicher gelaunt ging ich noch in den Lebensmittelladen um Vitamine einzukaufen. Dieses behielt ich ab jetzt auf der gesamten Tour bei. Immer wenn es möglich war, holte ich mir frisches Obst in einem Laden. Anschließend besichtigte ich den Ort Zubiri. Dort war eigentlich nichts sehenswert, außer eine mittelalterlichen Brücke, die "Brücke gegen die Tollwut". Man berichtet hierüber, dass, wenn sie in früheren Zeiten von tollwutkranken Tieren überquert wurde, waren diese Tiere angeblich von der Tollwut geheilt. Schön wäre gewesen, wenn sie auch gegen Ohrenschmerzen geholfen hätte.
An dieser Brücke lernte ich vier Studenten aus der Tschechischen Republik bei einer kurzen Fotorast kennen, die den Weg nach Santiago in nur 20 Tagen gehen wollten. Die Gruppe erinnerte mich an Japaner. Gruppenfoto vor Brücke, aufgestellt, Foto geschossen und weiter. Alles im Eiltempo. Sie liefen und ich ging weiter nach Larrasoana, wo ich am frühen Nachmittag die 27 Km hinter mich gebracht hatte.
Ich ging zur Herberge und nach dem alltäglichen Ritus beim Ankommen in einer Herberge, stellt man den Rucksack am Eingang in Reihenfolge des Ankommen ab, wenn sie noch geschlossen ist. Aber nicht so heute, denn es war später und sie war schon geöffnet. Ich zog die verschwitzte Kleidung aus, wusch derselben, dusche und zog frische Kleidung an. Danach legte ich mich zuerst einmal auf mein Bett. Es war ein 14-Bett-Zimmer. Da ich im Raum alleine war, hatte ich Ruhe und pflegte mein Ohr, indem ich jede Stunde Tropfen einträufelte. Damit man sich in der Heimat nicht beunruhigte, sagte und schrieb ich niemandem von meiner Pein.
Unser abendliches Pilgermenü nahm ich gemeinsam mit drei angehenden Studenten aus dem Cloppenburger Land in Niedersachsen zu mir. Diese Jungs, die nach dem Camino Pilgerweg ihr Studium beginnen wollten, gingen aus religiösen Gründen den Weg.
Bis Puenta la Reina gingen wir oft gemeinsame Wegabschnitte. Dann verlor ich sie aus den Augen. Als ich diese Gruppe an meinem 35. Tag in Santiago traf, also nach der Rückkehr vom Meer, sagten sie mir, sie hätten sich nicht gehetzt und seien langsam gegangen. Sie haben für die 800 Kilometer 10 Tage mehr benötigt als ich.
Bei meinem nächsten Camino Frances werde ich auch kleinere Abschnitte gehen, um mehr über Land, Menschen, Kultur, Sagen und Legenden, am und über den Weg zu erfahren. Heute habe ich nach einer dreiviertel Liter Flasche Wein, die ich beim Pilgermenü am Abend getrunken habe, sehr gut geschlafen.


3. Tag Larrasoana über Pamplona nach Cizur Menor

Als am Morgen die ersten Sonnenstrahlen am noch dunklen, sternenklaren Himmel durchbrachen, wanderte ich los. Heute war Pamplona auf dem Programm und da die Städte bekanntlich nachmittags sehr heiß sind, wollte ich früh zur Stadtbesichtigung dort sein. Es war ein nicht so schwieriger Weg und so war ich vor 11.00 Uhr am Ortsrand von Pamplona, mit dem herrlichen Panorama der Stadt und seinen Kirchen. Man erreicht die Stadt entlang alter Befestigungsmauern und einem alten Stadttor. Es mutet auf dem ersten Blick alles mittelalterlich an, ich gehe schnell weiter und erreichte bald die Altstadt.
Pflicht in Pamplona ist der Besuch der gotischen Kathedrale. In der Altstadt sind folgende sehenswürdige Gebäude zu finden: Die Wehrkirchen San Nicolas und San Saturnino, der Palast der Könige von Navarra, die San Fermin Kapelle, die San Lorenzo Kirche mit dem riesigen Goldaltar, das Pablo Sarasate Museum und der Plaza del Castillo. Dieser Platz ist das Herz Pamplonas, wo man in den Straßencafés etwas trinkt und das geschäftige Treiben in den Gassen erlebt. Bei mir entstand der Eindruck, als ob die ganze Stadt Urlaub machte. Nur ich nicht. Ich ging weiter.
Noch ein paar Anmerkungen von mir zu der 800 Meter langen Strecke, auf der die Stiere in die Arena von Pamplona zum Fest San Fermin am 6. Juli getrieben werden.
Die Absperrungen für Häuser und Straßen waren auch einen Monat später noch überall zu sehen. Meine Zustimmung findet nicht, dass in Pamplona immer noch Stiere unter dem Jubel der Zuschauer durch die Gassen gehetzt werden. Jedes Jahr verletzen sich Hunderte Menschen, einige sterben sogar. Das ist nicht das einzige Spektakel, das umstritten ist. Es sollte ebenso wie der Stierkampf verboten werden. Das Spektakel lockt nur Spanier und Touristen an.
Nachdem die Altstadt verlassen wurde, habe ich mir in einem Supermarkt ein großes Baguette und etwas Wurst gekauft. Es war wie immer, wenn man mit Hunger im Bauch einkauft, viel zu viel. Beim Verzehr auf einer Bank im nahe gelegenem Park, kam gerade Markus vorbei und ich gab ihm die Hälfte meines Einkaufs ab. Zusammen mit Markus schlenderte ich noch etwas umher und anschließend gingen wir in Richtung Universität, zur Herberge in das ein paar Kilometer entfernte Cizur Menor, wo wir spät am Nachmittag eintrafen. Heute bin ich nur 21 Km gegangen, Pamplona war es wert. Die private Herberge, gegenüber des Malteser Ordens, hatte einen großen Garten
Wappen von Pamplona
und so ließ ich es mir bis zum Abendessen gut gehen. Wir führten interessante Gespräche bei einer Cola im Garten der Herberge mit Pilgern aus verschiedenen Ländern, jung und alt, männlich und weiblich. Es waren einfach interessante und gute Gespräche über alles mögliche.
Abends um 20.00 Uhr gab es im nahe gelegenen Restaurant als Pilgeressen viel Pasta, ein halbes Hähnchen, Tiramisu und wie immer Brot, Wasser und Wein.
Es war an diesem Abend wieder ein international besetzter Tisch mit folgenden Nationalitäten: eine Belgierin, eine Irländerin, zwei Australier, eine Schwedin und noch ein Deutscher, außer mir. Die Schwedin hatte schon ab den Pyrenäen starke Knieprobleme, ist vier oder fünf Etappen immer mit dem Bus gefahren, um bei ihrer Gruppe zu bleiben und ab Azorfa habe ich sie nie mehr gesehen. Den Deutschen, habe ich das letzten mal in Los Arcos gesehen und dann hat er, wie ich in Santiago erfahren habe, mit größten Magenproblemen aufgeben müssen. Er war ein toller Typ. Ehemals Metzgermeister, der es, mit viel Glück und Fleiß, zu einer Fleischfabrik gebracht hat. Diese hat er mit guter Rendite verkauft und wurde zum Weltenbummler. Er war erst knapp 40 Jahre alt und konnte faszinierende Reisegeschichten erzählen. Bei mir im Kopf ist er als "Cheeky Monkey" hängen geblieben. Das war seine interessanteste Geschichte aus Australien, wobei es sich um Erlebnisse, um, über und in einer Bar am Strand handelte. Es gab Painting und Bikini Abende und mehr. Das ist auch schon alles was ich darüber schreiben möchte.
Auf meinem 2. Jakobsweg traf ich auf der Strecke nach Cizur Menor zwei Österreicherinnen. Beim Gespräch erfuhr ich eine schöne Geschichte, die mich zu Überlegungen anregte. Es waren Cousinen, wohnhaft in Klagenfurt am Wörthersee. Ich nenne sie einfach mal Karin und Sylvia, die vom Alter her beide bald 50 Jahre alt wurden. Das Interessante an der Geschichte war, das die Jüngere der beiden ihrer Cousine eine Begleitung auf dem Jakobsweg zum Geburtstag geschenkt hat. Was ich faszinierend finde, ist das man mit einem immateriellen Geschenk viel mehr Freude schenken kann, als mit einem herkömmlichen Geschenk. Wie oft zerbricht man sich den Kopf, was kann ich schenken. Bei einem immateriellen Geschenk muss ich mir auf jeden Fall Gedanken machen und das sollte vorher und frühzeitig sein. All diese Gedanken kamen mir in den nächsten Tagen und mir fielen einige Beispiele ein. Ein Bedienungstag, eine Einladung zum Komfortfrühstück, Bekochen, Auto-, Fahrrad- oder Schuhe putzen, im Garten arbeiten, Massage, Fußmassage, Weihnachtsmarktbummel, Fahrdienst oder Begleitdienst usw. Es gibt viele individuelle Geschenke, man muss nur etwas kreativ denken.


4. Tag Cizur Menor nach Puente la Reina

Wieder im Morgengrauen Abmarsch zusammen mit Markus, wir hatten uns gegenseitig gerne als Wegbegleiter, obwohl ich viele Jahre älter war. Wir gingen in Richtung in Richtung der Bergkette Sierra del Perdon (Berg der Läuterung), die ich erst bei Sonnenaufgang mit seinen vielen, vielen Windrädern erkennen konnte. Der Weg führt lange durch Felder bergan, immer zu dem am weitesten und am höchsten stehenden Windrad. Die Windräder verunstalten eigentlich die gesamte Landschaft. Nicht nur hier, sondern auf fast jedem Bergkamm sieht man manchmal bis zu 100 dieser Stromerzeuger. Manche bezeichnen eine Ansammlung von sehr, sehr vielen Windrädern als Windpark. Eine nette Beschönigung. Meiner Meinung nach, kann eine Landschaft nicht mehr verunstalten werden, als mit Unmengen dieser Windräder. Der Weg führt an einigen in Betrieb befindlichen Windrädern vorbei und durch das Zerschneiden der Luft mit dem Propeller zischt es so, das man denken kann, bei einem Düsenflugzeug würden die Motoren geprüft.
Meine Gedanken sind dahingehend, dass wir Stromenergie benötigen, hoffentlich nicht immer mehr und immer mehr. Ob nun Windräder, Atomstrom, Steinkohle, Erdöl, alles schadet der Welt und wir vernichten unsere Welt immer mehr und immer schneller.
Einige Meter vor der Passhöhe erreicht man die `Quelle der Abkehr` (Fuente de Reniega), dann das Pilgerdenkmal und auf 735 m den Pass Alto del Perdon. Das Pilgerdenkmal ist eine pilgernde Menschen- und Tiergruppe aus Eisen. Interessant, weil es vor einem steilen Hang steht und man durch das Denkmal hindurch die Bergwelt Navarras als Hintergrund sehen kann. Ein fantastisches dreidimensionales Bild, wenn man sich die Zeit nimmt, es zu genießen.
Markus und ich legen hier eine Rast ein, danach geht es einen steilen und steinigen Hohlweg, der ins Tal führt, hinunter. Über Uterga kommen wir in den Ort Muruzabal. An einem Platz mit einem Trinkwasserbrunnen, wo ich meine Flaschen wieder füllte, führt rechts ein Umweg zur alten Templerkirche Santa Maria de Eunate.
Der Umweg lohnt sich. Nach etwa 3 Km ist die Kirche erreicht. Wenn man hineingeht und sich auf eine der alten Holzbänke setzt, genießt man das warme Licht, das durch den weißem Marmor strahlt und seltsam, diffus den Innenraum beleuchtet. Diese romanische Kirche mit achteckigem Grundriss liegt an dem Aragonesischen Pilgerweg, der aus Somport kommt. Hier vereinigen sich 3 Km später in Obanos der Navarischen Weg und der Aragonesische Weg und führen weiter zu dem großen Ziel, Santiago de Compostela.
Nach der einstündigen, lohnenswerten Rast an und in der Kirche erreichten Markus und ich bald Puente la Reina. Durch die Gassen mit alten Adels- und Bürgerhäusern gehend, gelangten wir zur Santiago Kirche, die eine berühmte Holzfigur aufweist, den Santiago Peregrino mit Stab und Muschel aus dem 14. Jahrhundert. Für Pilger ein "Muss" dort vorbei zu gehen.
Die zweite Kirche ist die Templerkirche Iglesia del Crucifijo, die drei gewaltige goldene Altäre im hinteren Kirchenschiff, wie ich sie in Deutschland in solcher Größe noch nie gesehen habe, hat. Alle Altäre zogen sich bis ans Kirchendach, ich schätze mehr als 20 Meter, hoch.
Von hier ging es weiter über die berühmte Brücke aus dem 11. Jahrhundert, die der Stadt den Namen gab, Puenta la Reina, direkt zur Herberge hinter der Brücke. Ich war ziemlich müde, als ich mich auf dem Hohlweg den Berg zur Herberge hoch schleppte. Bald oben angekommen, sah ich den blauen Swimmingpool und mein Schritt wurde doppelt so schnell, ja ich hatte das Gefühl, bergauf zu rasen.
Die Herberge war geräumig, mit großem Saal, in dem gegessen wurde und geräumigen Sanitäranlagen. Die Schlafräume hatten unterschiedliche Größen. Markus und ich waren in einem 8 Betten Raum, abends traf ich den Cheeky Monkey wieder, der erkrankt war und hier lernte ich den südkoreanischen Priester kennen, den ich noch häufig sehen werde und über den ich später noch einiges berichten werde. Wieder ein international besetztes Abendessen, inklusive Bier, Fisch, Kartoffeln und als Vorspeise Pasta. Alles, Übernachtung und Essen, haben zusammen nur € 18.- gekostet.
Auf meinem 2. Jakobsweg sah ich auf der Strecke zum Pilgerdenkmal Alto Perdon, etwa 100 Höhenmeter oder 2,5 Kilometer vor dem Gipfel schon aus der Ferne zwei Frauen, die sehr, sehr langsam gingen. Immer näher kommend, sah ich, das eine der Frauen schwer verletzt sein musste. Ich beeilte mich, da ich helfen wollte und erreichte beide Damen bald. Es stellte sich heraus, das Ulla aus einer deutschen Stadt an der Mosel kommend, beide Beine gelähmt hatte. Mit größter Mühe konnte sie einen Fuß vor dem anderen setzen. Ihr größter Wunsch war den Jakobsweg zu bewältigen. Und so gingen die Frauen häufig kleinere Teilstücke über mehrere Jahre. Es ging sehr langsam voran. Alle Pilger, die des Weges kamen, halfen der Begleitung, entlasteten sie, indem sie Ulla stützten. Hier am Hang waren immer zwei Personen nötig, um ihr unter die Arme zu greifen. Als wir nach mehr als einer Stunde am Pilgerkreuz ankamen, warteten schon einige Pilger, die das Gepäck der beiden mitgenommen hatten. Ab hier wurde sie mit einem Fahrzeug abgeholt. Sie ist so eine starke Frau, gut gelaunt, freundlich und lebenslustig. Für mich ist Ulla die Heldin meines 1. Jakobsweg. Ich wünsche ihr, das sie ihr Lebensziel, Santiago zu erreichen, verwirklichen kann.


5. Tag Puente la Reina nach Los Arcos.

Heute fühlte ich mich gut ausgeschlafen und sehr wohl. Ich glaube, mein Körper hat sich an die Anstrengungen - oder soll ich Strapazen sagen - gewöhnt. Es war gerade 6:00 Uhr, als ich alleine, also ohne Markus, obwohl er eigentlich mit mir gehen wollte, abmarschierte. Markus schlief noch fest und ich wollte ihn nicht wecken. Irgendwann werden wir uns in den nächsten Tagen wiedersehen
Zunächst ging es ziemlich steil bergan, in einen Bereich, in dem man zeitweise parallel zur Autobahn geht. Hier bemerkte ich, da so früh nur wenige Autos fuhren, dass viele Autofahrer, die auf der Autobahn fuhren, Pilger anhupten und herzlich grüßten und winkten. Da der südkoreanische Priester und vor ihm noch drei Pilger und dann ich, wie Perlen an der Schnur im Abstand von etwa 100 Meter gingen, war es an diesem frühen Sonntagmorgen ein lautes Hupkonzert unterschiedlicher Hubtöne, das den Sonntag einläutete. Ich glaube, in Deutschland würde man am Sonntagmorgen dafür bestraft, wenn man fünf Pilger hintereinander anhupt. Ich fand das Morgenkonzert nicht schlimm, aber wir werden ja noch ein besseres Konzert erleben.
Die Strecke war nicht leicht, meist Trampelpfade und steinige Wege bergauf und bergab. Nach gut zwei Stunden kam ich nach Cirauqui. Dieser Ort ähnelt einer mittelalterlichen Festung, die am und auf einem Berg gelegen ist. Durch eine Passage gelangte ich in dem ebenfalls mittelalterlichen Ortskern. Bald hörte ich sehr schöne Chormusik, ein gemischter Chor, von Instrumenten begleitet. Ich ging weiter, die Musik, so dachte ich, würde als Sonntagmorgenkonzert im Radio gesendet, denn überall hörte ich sie mal leiser, mal lauter. Es war ja möglich, da die Fenster und Fensterläden geöffnet wurden und die Leute den sonnigen Sonntagmorgen begrüßten. Als ich weiter ging, sah ich am Ende einer Seitengasse einen gemischten Chor mit Akkordeon und Gitarrenspieler. ^ Diese - ich schätze 12 bis 15 Personen - gingen von Gassenende zu Gassenende, sangen ein Lied und gingen zur nächsten Gasse. Es war ein herrlicher Empfang für mich an diesem Sonntagmorgen in Cirauqui.
Gut gelaunt geht es immer bergauf, bergab, mal an der Autobahn vorbei, mal über, mal unter der Autobahn durch. Der Weg führt durch Felder und Weinanbau nach Estella. Die nächsten 10 Km ging ich mit Kerstin, ihrer Freundin und einem Italiener, die ich unterwegs traf, bis zur Herberge Estella. Die drei wollten hier bleiben, da es aber erst früher Mittag war, nahm ich mir vor, zwei Stunden bis Villamajor de Monjardin weiter zu gehen. Es folgte ein kurzer Abschied und weiter ging es.
Kurz hinter Estella kommt man an die Bodega Irache vorbei. Hier gibt es für Pilger an einem Wasser- und Weinbrunnen kostenlosen Wein zur Stärkung. Diesen hatte ich nötig. Ich trank ein "Viertel" und gut gelaunt nahm ich noch eine halbe mit Wein gefüllte Wasserflasche mit. Als Krönung des Tages wollte ich diesen Wein abends gemütlich zum Abendessen trinken.
Immer steil bergan wandernd, war ich am frühen Nachmittag in Villamajor, das oben auf einer Bergkuppe liegt. Körperlich etwas geschafft vom Anstieg (oder etwa dem Wein?), was man mir wahrscheinlich ansah, erreichte ich einen am Weg liegenden Erholungsraum für Pilger. Der ehrenamtlich tätige deutsche Hostalero reichte mir sofort ein Glas Limonade aus Naturzitrone und nach einem zweiten Glas und ein paar Minuten Rast fühlte ich mich wieder fit. Auch fit genug für weiter 12 km bis Los Arcos und mindestens 2 Stunden stramm gehen?
Ich war auf ca. 700 m Höhe und ab jetzt ging es bergab auf 450 m Höhe. Deswegen dachte ich, die 12 Km bis Los Arcos schnell und leicht auch noch bewältigen zu können. Ich füllte meinen Wasservorrat in der eineinhalb Liter Flasche wieder auf, in der anderen war ja mein Wein und los ging es. Den Verlauf des Weges sah ich von hier oben sehr gut, ich konnte sogar die Streckenführung auf 10 Km Entfernung sehen, bis zu einem Berg wo der Weg dann nicht mehr sichtbar war. Ich dachte nicht daran, dass ich den Weg nur deshalb so weit sehen konnte, weil kein Baum, höchstens mal ein Strauch dort wuchs. Wälder waren in weiter Ferne. Es wurde eine Hitzeschlacht, die Sonne brannte unerbittlich und ich hatte Durst ohne Ende. Auf halber Strecke waren 1 ½ Liter Trinkwasser verbraucht, einen Brunnen oder ein Haus bzw. eine Ortschaft gab es auch nicht.
Ich hatte nur noch den Wein in meiner 2. Flasche, trinken oder nicht trinken, das war die Frage, aber Durst ist schlimmer als Heimweh und so trank ich den Wein. Das gab mir den "Rest". Ich war fix und fertig und noch 5 Km, beziehungsweise eine Stunde bis Los Arcos hatte ich vor mir. Da es auf 16.00 Uhr zu ging, waren keine Pilger, aber auch sonst keine anderen Personen zu sehen. Ein Mähdrescher kam mir entgegen. Wäre er die gleiche Richtung gefahren, in die ich ging, ich hätte mich hinten drauf gesetzt, obwohl ich mir vorgenommen hatte, alles, wirklich alles zu wandern. Ohne Pause schleppte ich mich dann, immer langsamer werdend, bis etwa 17:30 Uhr nach Los Arcos. Ich ging in die, von Österreichern geführte, Herberge, wo man mir sofort Tee einschenkte.
Es sind über 43 Km geworden, also eine Marathonstrecke, und ich war, wie man sagt ``kaputt wie Hund``. Es war die längste Strecke, die ich je in meinem Leben bis dato gegangen bin. In der Herberge gab es einen kleinen Garten mit Brunnen und ein Fußbadebecken. Genau das Richtige zum Abhängen und Flüssigkeit, sprich Cola, aufzunehmen. Es war die erste Cola seit Jahren. Beim Fußbad im kalten Wasser setzte sich eine junge Saarländerin, sie war Studentin (ich glaube Sozialpädagogik) neben mich und wir kamen ins Gespräch. Sie war die Dame, deren Freund in Roncesvalles nach der anstrengenden Überquerung der Pyrenäen und der schlaflosen Nacht mit dem Extremschnarcher spontan abgebrochen hatte und nach Deutschland zurück gefahren war. Noch später als ich kam Cheeky Monkey an, der ehemalige Besitzer einer Fleischfabrik, von dem ich schon berichtet hatte. Er hat hinter der Weinausgabestelle den Abzweig verpasst und ist auf der anderen Autobahnseite eine noch schlechtere Strecke bei der Gluthitze gegangen. Ich glaube, ich kann sagen, der war noch "geschaffter" als ich. Natürlich wurde gefrotzelt, er habe zu viel Wein aus dem Brunnen entnommen und deshalb den Weg verpasst. Nach 20:00 Uhr gingen wir mit acht Personen, meist Deutsche, in ein sehr gutes Restaurant, in dem extra für Pilger in der ersten Etage ein Raum eingerichtet war und ein hervorragendes Pilgermenü serviert wurde. Heute Abend tranken die meisten noch eine halbe Flasche Wein mit Genuss. Auf dem Rückweg in die Herberge war unterwegs auf dem Marktplatz Tanzen angesagt, wir waren zwar gut gelaunt aber viel zu geschafft um zu verweilen. Es spielte eine Musikkapelle und die Einheimischen feierten ihr Patronatsfest.
Das Stier treiben war gerade vorbei, aber auch hier standen noch alle Absperrungen und Schutzzäune. Es gab einige Orte, in denen Stiere getrieben wurden, die allesamt genau so spektakulär waren wie Pamplona. Meine Meinung dazu habe ich schon kund getan. In der Herberge angekommen schliefen alle sehr schnell ein.


6. Tag Los Arcos nach Logrono

Gefrühstückt habe ich heute Morgen in der Herberge. Ein einfaches Pilgerfrühstück. Es gab Brot, Marmelade, Obst und lauwarmen Kaffee aus der Thermoskanne. Die Strapazen des Vortages waren vergessen und so machte ich mich auf die 29 Km lange Strecke nach Logrono. Die Strecke ist anfangs hügelig, dann ein steiler Abstieg mit einem Warnschild, ``Achtung 10% Gefälle``, es geht dann nach etwa der Hälfte der Tagesstrecke in flachere Gefilde über. Die Wege sind gut zu gehen, allerdings häufig asphaltiert, wobei ich nicht gerne auf Asphaltstrecken marschiere und heute waren große Teilstücke mit diesem Straßenbelag.
Über Sansol / Torres del Rio und Viana und durch ein üppig grünes Feuchtgebiet gehend, kam ich mittags an einem Aussichtspunkt mit herrlichem Blick auf die Stadt Logrono und deren Umland an. Es ging bergab in Richtung Ebrobrücke und hier, so hatte man mir empfohlen, sollte ich mir in dem Laden der Tochter von Dona Felisa einen der schönsten Stempel auf dem gesamten Pilgerweg in meinem Pilgerpass stempeln lassen. Leider war niemand in diesem Laden, in dem auch Souvenirs verkauft werden, vielleicht lag es an der Mittagszeit. So ging ich weiter bis zur Ebrobrücke und dann, in der Stadt angekommen, fand ich bald die beiden Herbergen der Stadt, die aber an diesem Montag um 15:00 Uhr beide belegt waren. Ersatzquartier war die Basketballhalle, nahe dem Ebro. In dieser ca. 30 m x 60 m großen Halle waren 100 Matratzen auf dem Boden verteilt und ich war der Erste, der heute in dieser Halle ankam. Freie Platzwahl hatte ich und nahm die Matratze in einer der äußeren Ecken am Notausgangstor.
Was ich nicht glaubte, traf ein, die Halle war um 18:00 Uhr voll belegt. Ich wollte etwas essen und ging in den Ort, eine nette, kleine Stadt, sehr gemütlich mit einer ansehnlichen Altstadt. Sehenswert ist die Kathedrale Santa Maria de la Redonda mit den schönen, riesigen goldenen Altären, die hell angestrahlt werden. Es blendet so sehr wie ein Blick in eine hell strahlende, goldene Sonne. Bisher hatte ich jeden Abend ein Pilgermenü eingenommen, jetzt als ich den riesengroßen Supermarkt von Carrefour sah, beschloss ich, es mir heute gut gehen zu lassen und mich selbst zu verpflegen. Eine große Ecke französischen Käse, ein Baguette, eine Dose schwarze Oliven, eine kleine Hartwurst, luftgetrocknet und mit schwarzem Pfeffer gewürzt sowie eine Flasche Bier und eine Tafel Schokolade, das hatte ich mir alles verdient. Ich holte in der Turnhalle aus dem Rucksack mein Essbesteck, setzte mich auf eine schattige Bank am Ufer des Ebro und alles schmeckte hervorragend. Es war so reichlich, dass die Schokolade für den nächsten Tag übrig blieb. Nach dem köstlichen Mahl ging wieder zurück in den Ort, vorbei an einem Gebäude, wie ein moderneres Museumsgebäude aussehend, in das viele Menschen hineingingen. Alle Personen waren gut gekleidet, so dachte ich, neugierig wie ich bin, gehe auch mal in das Museum oder in die Ausstellung hinein, auch wenn ich nicht chic angezogen war. Um nicht aufzufallen, ging ich immer hinter einer Vierpersonengruppe her, an dem Pförtner vorbei, eine Treppe hinauf. Ein Mann aus der Gruppe der erkundigte sich beim Pförtner, die anderen gingen langsam weiter, ich auch. So gingen wir eine Treppe hinauf, ich immer noch eine Ausstellung suchend. Wir kamen in einen Raum, wo viele etwa zwei Quadratmeter große Fenster in den Seitenwänden waren und als ich an eines dieser Fenster heran trat, sah ich, dass ich mich in einem moderneren Leichenaufbewahrungsraum befand und die Leute hier Abschied von den aufgebahrten, toten Personen nahmen. Mit einem nicht sehr guten Gewissen, schnell und schluckend, wegen des jetzt trockenen Halses, ging ich zügigen Schrittes wieder hinaus und zurück in die Stadt. Bis 21.00 Uhr besichtigte ich die drei Kirchen - alle drei prunkvoll und sehenswert - sowie die pulsierende Stadt mit ihren alten Gassen und Plätzen. In der Stadt war es um 20.00 Uhr noch 31 Grad Celsius warm. Was noch anzumerken ist, am heutigen Tag hatte ich zum ersten Mal Probleme mit meinen Schuheinlagen. Unter dem rechten Ballen am Fuß war die Einlage platt getreten. Ich vermerke: eine wahnsinnig teure Karboneinlage, Extraanfertigung beim Orthopäden, vorher bestellt, für den Jakobsweg. Was tun? Ich kaufte in einem Laden gepolsterte Ballenschoner, die mit einer Schlaufe um den Mittelzeh gehängt werden und hoffte auf Besserung an den nächsten Tagen. Um 21:00 Uhr ging ich zurück in die jetzt lebhafte, voll belegte Basketballhalle und habe mich bald hingelegt. Meine Überlegung, mich der frischen Luft wegen an den geöffneten Notausgang zu legen, war doch nicht so pfiffig. Die Raucher gingen bis sehr spät abends an mir vorbei, um eine Zigarette qualmen. Irgendwann vor Mitternacht schlief ich fest ein, der tiefe Schlaf dauerte bis morgens um 5:00 Uhr, als irgendwo eine leichte Unruhe mich weckte. Hätte ich alleine in einem Raum geschlafen, ich glaube, ich wäre nie aufgewacht. Trotz der vielen Personen hatte ich den Eindruck, alle schliefen sehr gut und es war keine große Unruhe und wenige Schnarcher in der Halle. Entweder war ich so müde, was ich am ehesten vermute oder aber die Akustik war hervorragend. Dadurch, dass der Raum fünfzehn Meter hoch war, hörte man keinen Schall und Lärm. Ich war angenehm überrascht und habe die fünf Stunden fest und gut geschlafen.
Auf meinem 2. Jakobsweg ging ich die Strecke nach Logrono mit Monika. Zum ersten Mal sahen wir uns in Punte La Reina. Wir hatten eine Gemeinsamkeit, wir kamen beide aus Düsseldorf und verstanden uns gut. Monika hatte eine Trennung zu verkraften und wir gingen häufig einige Abschnitte zusammen, besprachen diverse Themen und gingen dann wieder getrennt weiter. So haben wir es auf dem gesamten Weg gehalten. Den Jakobsweg ging ich alleine, aber ich war niemals alleine. In Logrono kamen wir zusammen in der katholischen Herberge an. War das ein Unterschied gegenüber der Turnhallenübernachtung auf dem ersten Weg. Freundlicher Empfang durch die beiden Hostaleros, gemeinsames Pilger-Abendessen, das die Hostaleros selbst gekocht hatten. Anschließend gingen wir durch mittelalterliche Katakomben in die neben der Herberge liegende Kathedrale. Die Katakomben waren früher Fluchtwege in beziehungsweise aus der Kirche heraus. Hier gab es für uns Pilger eine Messe und ein Pilgergebet. Anschließend ging es durch die Katakomben zurück in die Herberge, wo der wohlverdiente Schlaf bevorstand.


7. Tag Logrono nach Azorfa

Abmarsch um 6.00 Uhr morgens. Von der Basketballhalle gehe ich durch die beleuchteten Straßen Logonos. Die Jakobsmuschel, das Wegzeichen für den Weg nach Santiago, ist überall gut sichtbar, so dass ich keine Probleme habe den Weg, trotz Dunkelheit zu finden. Gut bei der Dunkelheit zu gehen ist auch der Park hinter den städtischen Häusern. Hier habe ich heute morgen um diese frühe Uhrzeit, es war noch keine 7 Uhr, nahezu 100 Jogger gesehen, die große Anzahl Jogger am Dienstagmorgen war für mich auffallend.
Bald bricht der Tag an und zu dem Stausee, der umgangen wird, kommen bald hundert Enten angeflogen und quaken laut und nach Futter suchend. Übernachtet haben die wohl an anderer Stelle. Der Weg ist heute leicht zu bewältigen und schnell komme ich voran. Über Navarete, Ventosa, immer in Nähe der Nationalstraße und Autobahn, komme ich nach Najera. Hier wollte ich über Nacht bleiben. Gegen vierzehn Uhr war ich dort, ging zur Herberge, die unten am Rio Najerilla liegt. Es war noch zu früh. Es standen bestimmt zwanzig Rucksäcke aufgereiht wie an einer Perlenschnur vor der Herberge, damit war die Reihenfolge des Einlasses in die Herberge gegeben. Ich ging zu den Cafés an der Flusspromenade zurück, setzte mich auf eine Außenterrasse und dachte, ich würde bedient. Es tat sich aber nichts. Bald wusste ich auch die Begründung. Die Bedienung war im Inneren der Bar und schaute Fernsehen, ein Spanier holte in einer Radsportdisziplin gerade eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Verständnis für die Situation habend, war für mich Selbstbedienung angesagt. Nachdem ich zwei Tassen Kaffee getrunken und bezahlt habe, ging ich wieder zur Herberge, die war jedoch immer noch nicht geöffnet. Ich glaube, man schaute auch hier die olympischen Spiele im Fernsehen. So wanderte ich dann einfach etwa 5 Kilometer weiter nach Azofra.
Es ging wieder mal bergauf auf einer unbefestigten Straße, hoch auf die Hochebene Rioja Alta und ich kam eine Stunde später in Azofra an. Ich ging zur städtischen Herberge, die einzige Herberge auf dem von mir gewanderten Weg, die über Zweibetträume verfügte. Kleine Zellen, etwa 3x3 Meter groß, aber sehr sauber und gut. Alle Wände und Türen waren in dicken Spanplatten gezimmert.
Nach dem täglichen Prozedere, (ausziehen, waschen usw.), setzte ich mich an den kleinen Pool, ließ die Füße im Wasser baumeln und trank einen Kaffee aus dem Automaten. Eine Spanierin, Naomi, die auch am Pool saß, stellte sich mir vor. Der Name war das einzige was ich verstanden habe, sie sprach kein Englisch und ich kein Spanisch. Sie war Camino - Radfahrerin und ihr Mann reparierte die Räder. Wir unterhielten uns über Belangloses mit Händen und Füßen und hatten viel Spaß dabei. Wer sich jetzt eine Spanierin im Redeschwall vorstellen kann, weiß wie lange diese Frau reden konnte, ohne eine Pause zu machen. Sie redete, redete, redete und ich hörte ihr zu, und glaubte es in etwa zu verstehen.
Als ihr Mann - der Englisch sprach - dazu kam und alles was Naomi mir sagen wollte, ins Englische übersetzte, bemerkte ich, dass ich nichts verstanden hatte. Dieses wiederum sagte ich ihrem Mann, der es ihr übersetzte und wir krümmten uns vor Lachen. Als ich meinen geringen Gesprächsstoff übersetzen ließ, hatte auch sie nichts verstanden. Am Ende liefen uns allen drei vor Lachen Tränen die Wangen herunter.
Es war schön. Man unterhält sich eine halbe Stunde und hat nichts verstanden. Manchmal wie auch im wahren Leben. Wir drei gingen zusammen zum Essen, denn Naomi hatte jetzt einen Dolmetscher und wir bekamen noch viel Spaß an diesem Abend.


8. Tag Azorfa nach Belorado

Heute Morgen habe ich in der Dunkelheit keine Weghinweise gefunden. Als eine Dreiergruppe mit Taschenlampen kam, wurde es zu viert leichter. Ich nahm mir vor, nur noch in der Morgendämmerung zu gehen, nicht mehr bei völliger Dunkelheit. Was ich aber nie einhielt und wozu es nie kam. Begründung: morgens stand ich immer als einer der ersten auf, denn dann waren die Wasch- oder Duschräume noch leer. In der Frühe hatte ich immer einen Drang nach frischer Luft und so erklärt es sich, dass ich auch immer früh los marschierte. Gefrühstückt wurde meistens irgendwo unterwegs zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr. Mittlerweile war es morgens ein Glücksgefühl für mich, meinen Rucksack geschultert zu haben und los ging es. Es war die große Freiheit morgens hinaus in die frische Luft zu gehen. Heute ging es, wie so oft, wieder längere Zeit leicht bergan und nach circa 10 Km kommt man auf einen breiten Weg, der schnurgerade nach Santo Domingo de la Calzada führte und dort endete. Der Weg führt durch eine völlig veränderte Landschaft, als die die ich bisher sah.
Waren es anfangs in der Provinz Rioja (hier wird der berühmte Rioja Wein angebaut) die Weinberge und Weinfelder, die die Landschaft prägten, so beginnt jetzt kilometerweit der Anbau von Korn und Weizen, wobei es im August nur noch abgeerntete Stoppelfelder waren. Dieses wird sich auch in der Region Castilla y Leon nicht ändern, das heißt: ich werde in der Meseta eine Woche nur abgeerntete Felder sehen. In Santo Domingo frühstückte ich und besichtigte dann die Kathedrale. Dort habe ich mir den Hahn und das Huhn, die in der Kirche in einem Käfig leben, angesehen. Diese Geschichte ist kurz, ich beschreibe sie so, wie ein Spanier sie mir erzählt hat: Ein deutsches Pilgerehepaar mit älterem Sohn kam Ende des Mittelalters nach Santo Domingo. In den Sohn verliebte sich eine Señorita aus dem Ort, die Tochter des Wirtes. Der Sohn erwiderte die Liebe nicht und was machte die Frau dann? Sie bezichtigte ihn des Diebstahls und versteckte einen Silberbecher in seinem Rucksack und holte den Büttel. So kam er vor dem Richter, der junge Mann wurde zum Tod durch Strang verurteilt. Die Eltern pilgerten nach Santiago de Compostela weiter, kamen auf dem Rückweg wieder in diesen Ort zurück und sahen den Sohn lebend am Strang auf den Schultern des Herrn Santo Domingo stehen.
Die Eltern benachrichtigten daraufhin die Richter. Da die Herren zu Tisch saßen, Huhn und Hahn speisten, sagten diese: Euer Sohn ist so tot, wie diese Brathühner und Brathähnchen auf diesem Teller. Im gleichen Moment flatterten diese gebratenen Tiere auf und davon. Der Sohn wurde abgehängt und die Wirtstochter aufgehängt. Seitdem werden je ein weißer Hahn und mindestens ein weißes Huhn in einer Mauernische in der Kathedrale gehalten. Es wird Wert darauf gelegt, dass jeden Tag neues Federvieh genommen wird. Wahrscheinlich wegen des Tierschutzes. Dieses ist die Legende des Wunders von Santo Domingo. Die Geschichte wurde so bekannt und berühmt, dass der weiße Hahn bis zum heutigen Tag eines der Wappentiere in Spanien wurde.
Am späten Vormittag ging ich weiter, immer in Richtung Westen. Am Stadtausgang musste ich über die Brücke des Flusses RIO OJA, der der Provinz RIOJA den Namen gab. Auf nicht allzu schweren Wegen komme ich schnell nach Belorado. In einer schönen, neuen Albergo mit Swimmingpool quartiere ich mich ein, setze mich an den Pool, lasse die Beine im sehr kalten Wasser baumeln und beobachte viele der vorbeigehenden Pilger. Jeder zweite Pilger ist fußkrank. Eine Frau kommt nur noch auf Strümpfen gehend, Schuhe in der Hand und Strümpfe voller Löcher, an. Sie ist zehn Kilometer ohne Schuhe gegangen, hatte viele Blasen an Fersen und Zehen. Etwas später kommt wieder eine Frau humpelnd auf Badelatschen vorbei, die Fersen voller Blasen.
Im nicht sehr großen Pool bade ich, wie schon beschrieben, meine Beine. Es ist eine Wohltat und der Pool kommt mir als" Luxus pur" vor. Da noch Zeit ist, gehe ich in den Ort Belorado. Setze mich auf dem Plaza Mayor vor einer Bodega auf die sonnige Terrasse und ein französischer Lehrer mit seinem 12 jährigen, sehr sportlichen Sohn, setzt sich zu mir. Wir unterhalten uns in englischer Sprache und er sagt, er habe mich schon vor vier Tagen auf dem Weg nach Los Arcos gesehen und ebenso am Morgen in Santo Domingo. Er ging mit seinem Sohn fast 40 Kilometer jeden Tag, aber nur eine Teilstrecke des Jakobswegs, von Legrono nach Leon, die wollen sie in etwa einer Woche zurücklegen. Beim nachrechnen, wurde mir bewusst, ich habe auch von Puente La Reina bis Belorado in 4 Tagen über 146 Kilometer zurückgelegt. Der Junge ist sehr fit, aufgeweckt und wie er mir sagte, sehr glücklich mit seinem Vater zu gehen. Zu sagen ist noch, dass der 12jährige Sohn besser englisch sprach als der Vater und somit war er der Dolmetscher. In mehreren Restaurants rund um den Markt kann man in diesem Ort gut und preiswert speisen. Schnell wird es Abend und ab 20.00 Uhr ist immer Essenszeit für Pilger, um das Pilgermenue zu erhalten. Normale Gäste erhalten kein günstiges Pilgermenü. Am Esstisch lerne ich Inge und ihre Schwester aus dem Schwabenland kennen. Beim Abendessen gab es zur Untermalung einen Pilgerfilm von der Stadt Santiago de Compostela, der Lust auf den weiteren Weg machte. Anschließend "schwätzten wir noch a bisserl" und gingen zum Schlafraum. Nach fast vierzig Kilometer Marsch am Tag zuvor, konnte ich in dieser Nacht anfangs gut schlafen, aber gegen frühen Morgen hatte ich ein leichtes Ziehen in meiner linken Wade. Es war der Ort, an dem ich so viele fußkranke Pilger gesehen habe. Sollte es jetzt auch mich erwischen?


9. Tag Belorado nach Ages

Gestern Abend hatte ich meinen Hut, eine Art runden Schlapphut mit einem Sonnenschutztuch für den Nackenbereich, wie es bei Safarihüten oft zu sehen ist, in der Rezeption vergessen. Bemerkt habe ich dieses erst heute Morgen beim allmorgendlichen Check. Die Rezeption öffnete erst um sieben Uhr, also hatte ich noch eine dreiviertel Stunde Zeit. Mein Ziehen in der Wade war heftiger geworden und es schmerzte jetzt etwas. Die Wade war hart und prall. Nachdem die Wartezeit verstrichen war, ich meinen Hut hatte, wollte ich forsch losgehen, aber forsch war ich nicht. Ich humpelte den ersten Kilometer, je länger ich jedoch ging, desto weniger Schmerzen hatte ich in der Wade. Einfache und nur leicht und sachte ansteigende Wege begünstigen mein wandern, so komme ich die 12 Kilometer nach Villafranca - Montes de Orca, trotz leichtem ziehen noch einigermaßen zügig voran. Hier in Villafranca frühstückte ich in der Bar, die auch für Fernfahrer günstig an einem großen Parkplatz lag. Einige dieser Fernfahrer setzten sich an meinem Tisch und wollten sich mit mir in spanischer Sprache unterhalten und stellten fortwährend Fragen, die ich nicht verstand und nur immer mit Achselzucken beantwortete. Pilger sind in Spanien hochgeachtet und beliebt. Aber ich war nun mal kein Spanier und konnte keine Auskunft geben.
Nachdem ich eine halbe Stunde gesessen hatte, wurde der Schmerz stärker. Meine Devise war, wieder gehen und der Schmerz lässt nach. Was ich nicht wusste, ab hier ging es einen steilen, steinigen Pfad steil einige 100 Höhenmeter bergauf. Schmerz geplagt, mit dem linken Fuß nur auf der Ferse gehend, mühte ich mich ganz langsam den Berg hinauf. Nach fünf Minuten kamen zwei nette 17 jährige italienische Schülerinnen schnell zu mir gelaufen, jede der beiden gab mir ihren hölzernen Wanderstab und sie hatten nun keine Gehhilfe. Zuerst wollte ich diese gute Tat nicht annehmen, war dann aber doch froh, die beiden Wanderstäbe zu haben. Wir gingen etwa fünf Kilometer zusammen bis zum höchsten Punkt, wobei die Schmerzen etwas weniger wurden. Ich bedankte mich und war gerührt von der echt spontanen Hilfsbereitschaft der beiden aus Turin. Die besten Kletterer waren die Mädel auch nicht und ich hatte ihre Wanderstäbe für den schwierigsten Teil auf der heutigen Tagesstrecke bekommen.
Ich habe im Nachhinein die Vermutung, die Schmerzen habe ich durch das baden der Beine in dem sehr kalten Swimmingpool der Herberge in Belorado bekommen oder aber es waren Nachwehen der Anstrengungen des Marathonmarsches am 6. Tag nach Los Arcos.
Langsam immer bergab durch breite, kahl geschlagene Feuerschneisen überholten mich, da ich heute der Langsamste war, die Geschwister aus dem Schwabenländle, mit denen ich am Vorabend gespeist hatte und die zusammen mit Markus gingen. Den Rest des Weges bis zur Herberge in Ages gingen wir gemeinsam und Markus hatte mich wieder. In der Herberge hatten wir Glück, wir vier bekamen das letzte, freie Vierbettzimmer und damit war die Herberge ausgebucht. Wir orderten gemeinsames Abendessen und Frühstück. Je länger ich zur Ruhe kam, desto stärker wurde das Zwicken in meiner Wade. Auf den trotzdem nicht verlorenen Tag, denn beim Aufstieg zum Monte de Oca dachte ich, ich müsse die Jakobsweg-Tour abbrechen, war ich froh, nicht aufgegeben zu haben. Darüber glücklich und zufrieden, gab ich den Dreien einen Kaffee aus. Zusammen setzten wir uns zu einer Gruppe deutschsprachiger Schweizer, die es sich auf der Terrasse vor dem Refugio bequem gemacht hatten und wir kamen auf meine Wade zu sprechen. Jemand aus der Schweizer Gruppe empfahl mir, den Urs, ein uriger Schweizer Typ mittleren Alters, der angeblich durch Hand auflegen heilen konnte, anzusprechen und zu fragen, ob er mir helfen könne. Er und die anderen bekamen auch einen Kaffee von mir ausgegeben und Urs und ich gingen anschließend in den Schlafraum, wo ich mich auf mein Bett legte. Ich sollte mich entspannt hinlegen und die Augen schließen. Urs schwebte mit beiden Händen von oben nach unten und zurück über mein linkes Bein. Minuten später duselte ich ein, wurde aber von einer empfundenen großen Hitze im Magenbereich wieder wach. Dieses Empfinden erzählte ich Urs und er antwortete: "Joa, des iss die Zentrale, wo alles zusamme kimmt." Ich hatte berechtigte Hoffnung, auf einen Schlag gesund zu werden. Eine halbe Stunde verging und Urs hatte genug Ströme durch mein Bein fließen lassen. Doch leider hat es nicht geholfen. Die Wärme entstand durch die starken Sonnenstrahlen, die durch das Oberlicht des Fensters auf meinem Bauch fielen.
Beim Aufstehen waren die Schmerzen durch die Ruhe wieder größer. Ich bekam von allen Seiten Hilfe in Form von Voltaren Tabletten und nahm sofort zwei und nach dem Abendessen zwei Tabletten. An diesem Abend war ich etwas down, weil ich nicht wusste, wie es in den nächsten Tagen weiter gehen würde. Erwähnenswert ist noch, dass die Privatherberge in Ages von uns allen als sehr gut und empfehlenswert empfunden wurde.


10. Tag Ages über Burgos nach Tardajos

Unsere Zimmergemeinschaft ist heute Morgen ziemlich früh aufgestanden. Ich habe zwei Voltaren genommen und meine Wade war wesentlich besser als an den Vortagen. Voltaren hatte Wirkung gezeigt. Da wir uns zu viert ein Badezimmer teilen mussten, bin ich auf die Privattoilette der beiden Hostaleri gegangen. Die Tür war offen und die beiden Besitzerinnen waren so früh noch nicht aufgestanden. Wir vier haben gemeinsam gefrühstückt. Kaffee, Brot, Kekse und Marmelade standen für uns in der Küche bereit und für Pilger war es ein gutes Selbstbedienungsfrühstück. Heute Morgen bin ich wieder mit Markus zusammen losmarschiert, wir kamen schnell voran, obwohl der Weg auf der Hochebene (Matagrande genannt, bald 1100m hoch) steinig und schwer war. Meine Wade zwickte nur noch etwas beim Gehen, es war Dank weiterer Voltaren aber sehr gut auszuhalten.
Bald konnten wir die unter einer Dunstglocke liegende Ebene von Burgos und die Stadt Burgos sehen. Nicht zu schnell und meinem Handikap angepasst gingen wir den steinigen Abstieg und dann begann schon der urbane Teil von Burgos. Markus und ich hatten uns auf Grund von Berichten einer Freundin, die den Weg vor mir gegangen war, entschieden, mit dem Bus durch die etwa 6 Km lange, sehr uninteressante Vorstadtstrecke durch Industrieviertel zu fahren. (Obwohl ich vorher immer gesagt habe, alles nur zu erwandern und keine Verkehrsmitteln zu benutzen) Elfriede sagte mir, es sei die langweiligste Strecke auf dem Weg. So gingen wir über die Autobahn nicht nach links, sondern in Richtung Flughafen nach Villafria.
Auf der Hauptstraße angekommen, fanden wir schnell die Bushaltestelle und warteten auf den Bus. Eine Zeit- oder Abfahrttabelle gab es nicht. Wir warteten und warteten, nach zwanzig Minuten fragten wir einen vorübergehenden Spanier. Er verstand uns nicht, wir verstanden ihn nicht, unser Spanisch war zu schlecht. Der Zweite, ein älterer Herr, sprach englisch und offenbarte uns, dass an diesem Freitag ein spanischer Feiertag sei. Pech für uns war, das an Sonn- und Feiertagen auf dieser Strecke keine öffentlichen Busse fuhren, sondern nur an Werktagen als Berufsverkehr. Also mussten Markus und ich jetzt den nicht sehr schönen Weg durch das Industriegebiet und durch die Vorstadt, bei sengender Sonne gehen. Ich hatte somit mein Versprechen, keinen Meter zu fahren, ungewollt eingehalten und auf dieser Pilgertour bin ich keinen Meter Pilgerweg gefahren. Gute Pilger sollten pilgern und nicht schludern und mit dem Bus fahren.
Anstatt der von uns gewählten Straße gab es einen schönen Weg durch Grünanlagen am Fluss entlang, den wir hinter der Autobahn wegen der Busfahrt nicht genommen hatten. Den Weg muss meine Ratgeberin wohl auch verpasst haben. Wir gingen also über eine Stunde in praller Sonne durch die auffallend saubere Vorstadt ins Zentrum der Stadt mit seiner mittelalterlichen Atmosphäre. Bald kommen wir zur gotischen Kathedrale mit dem Grab des spanischen Nationalhelden ``El Cid``.
Sehenswert ist vieles in Burgos, hier nur eine kleine Auswahl: Das gotische Kloster Las Huelgas, eines der wichtigsten Monumente Spaniens, die Kirche Cartuja de Miraflores aus dem 15. Jahrhundert sowie das Stadttor Puerte Santa Maria und den Torre Santa Maria, ein Turm im maurischen Stil. Teilweise noch sehr gut erhalten sind auch die mittelalterlichen Stadtmauern.


Kathedrale in Burgos
Kulinarisch probiert habe ich die Spezialität von Burgos. Die Blutwurst namens " Morcilla de Burgos", bestehend aus Blut, Fett, Reis und Gewürzen. Ich kann nur sagen: Mm lecker!
Im Rheinland und speziell in den Städten Köln und Düsseldorf gibt es auch Blutwurst als Spezialität. Hier heißt das Blutwurstgericht "Flöns" Hier mag ich eigentlich keinen Flöns. Vielleicht hat er in Burgos nur so gut geschmeckt, weil es Mittagszeit war und ich großen Hunger hatte.
Am Nachmittag, nachdem wir uns Burgos angesehen hatten, gehen wir weiter nach Tardajos. Hier in der Herberge angekommen und weil ich bis 20.00 Uhr auf das Pilgermenü abends im Restaurant warten musste, habe ich um die Zeit zu überbrücken, einige Biere getrunken. Am Abend beim Menü bediente mich ein etwa dreißigjähriger Mann mit einem riesigen Kochhut. Es war der Koch, er bediente und kochte heute persönlich für die Pilger. Er war sehr lustig, aber ohne jegliche Sprachbegabung.
Bestellt als Vorspeise laut Karte habe ich "Mix Insalata", bekommen habe ich eine Mischung aus kaltem russischem Salat und Kartoffelsalat. Das nächste Gericht war gleich das Hauptgericht. Bestellt habe ich Pollo laut Karte, bekommen habe ich ein Schnitzel paniert. War auch lecker. Was geklappt hat, waren das Eis zum Nachtisch und der Rotwein zum Essen. Mit den drei Bier und dem halben Liter Wein hatte ich bald die nötige Bettschwere an diesem Abend.
Bevor ich aber zur Herberge kam, musste ich am Marktplatz vorbei gehen, auf dem ein Dorffest, (bei uns eine Kirmes) mit einer riesigen Musikbühne, Buden und Verkaufsstände stattfand. Wäre es nicht schon spät gewesen und ich Bedenken wegen der Öffnungszeit in der Herberge gehabt hätte, wäre ich bestimmt noch etwas dort geblieben.
Auf dem 2. Jakobsweg in Richtung Tardalos lernte ich in der Meseta ein junges Ehepaar aus Kroatien kennen. Ihre Namen waren Antonia und Marian, der etwas deutsch sprach. Normalerweise hatte ich täglich sehr viele Begegnungen dieser Art. Man überholt oder wird überholt, man redet ein paar Sätze und weiter geht es. Irgendwann sieht man sich auf dem Weg wieder. Diese Begegnung erwähne ich deshalb, weil ein ungewöhnliches Ereignis ihrem Jakobsweg vorangegangen war. Heute schreiben wir Montag als Wochentag. Es war ein Ehepaar und zwar ein in der Ehe noch sehr junges Paar. Am Samstag, also vor nur 2 Tagen hatten sie geheiratet, nach der kirchlichen Hochzeit sind sie sofort nach Burgos geflogen. Nachträglich gratulierte ich und wir sahen uns bis Santiago noch einige Male.


11. Tag Tardajos nach Castrojeriz

Heute morgen bin ich, wie jeden Morgen, wieder sehr früh aufgestanden. Alle in unserem Raum schliefen noch, einschließlich Markus. Heute wollte ich wieder alleine gehen. Für mich, im Gegenteil zu vielen anderen Pilgern, gibt mir ein "Alleingang" einfach mehr. Ich achte mehr auf Natur und Landschaft, gehe in mein Inneres und denke an Vergangenheit, Zukunft und viele andere Dinge, soweit es der Weg zulässt und dieser nicht die ganze Aufmerksamkeit erfordert. Heute frühstückte ich ausnahmsweise draußen vor der Herberge alleine an einem großen Tisch. Ich trank gegen eine kleine Spende einen Kaffee und aß ein paar Kekse.
Der Hostalero setzte sich zu mir, denn er kannte meine Heimatstadt Düsseldorf von einigen Messebesuchen zu der Zeit, als er noch berufstätig war. Jetzt arbeitet er ehrenamtlich in diesem Hostal. Das ich aus Düsseldorf war, hatte er am Vortag auf meinem Pilgerausweis gelesen. Normalerweise gehe ich morgens etwa 10 bis 15 Kilometer und frühstücke dann unterwegs. Heute war es die Ausnahme so früh zu frühstücken. Lange habe ich mich beim Frühstück nicht aufgehalten, schon bald ging ich wieder los, durch Tardajos, wo die letzten Festbesucher noch nicht nach Hause gefunden hatten und die Bühne von jungen Leuten abgebaut wurde.
Hier wurde mir wieder die Sonderstellung der Pilger in Nordspanien vor Augen geführt. Beim Vorbeigehen an den jungen Leuten, die die Bühne abbauten, hielten diese inne als sie mich sahen und wünschten mir einen "Buenos Dias und Bon Camino". Eine weitere Fünfergruppe, in Deutschland würde ich sagen, Halbstarker, die in 200 Meter Entfernung blödelnd und etwas angetrunken mir entgegen kamen, stoppten die Blödelei und mit Achtung wünschten sie ebenfalls einen "Guten Tag und einen guten Weg". Um ehrlich zu sein, war ich eher auf dumme Sprüche eingestellt. Sinnierend über diesen angenehmen Vorfall ging ich weiter. Der Jugend wird schon früh im Kindesalter Ehrfurcht vor Pilgern gelehrt.
Das Wetter war an diesem diesigen Morgen umgeschlagen. Es war nicht mehr so warm. Die Temperaturen bewegten sich morgens bisher immer zwischen 16 und 18 Grad. Hier war man mit wenigen Ausnahmen, meist auf einer Höhe von über 500 Meter und oft sogar 750 bis 800 Meter über Meeresspiegel. Ab jetzt beginnt die Hochebene Meseta und ab hier kann es morgens doch etwas kühler werden als bisher.
Heute jedoch sah man nur tiefhängende Wolken und eine hohe Regenwahrscheinlichkeit wurde prophezeit. Einige Schauer gab es an diesem Morgen und so kam ich etwa gegen halb neun Uhr in Hornillos del Camino an. Hier wollte ich mein zweites Frühstück einnehmen, weil das erste Frühstück nur aus Kekse bestand. Im Gegensatz zu vielen anderen Orten öffnete hier die Frühstücksbar erst um neun Uhr, also hatte ich noch 30 Minuten Verweilzeit. Ich ging rechts die Stichstraße zur Kirche hinauf und sah vor dem überdachten Eingang der Kirche in einer regen- und windgeschützten Ecke einen Pilger sitzen. Auf ihn zugehend begrüßte er mich und ich setzte mich neben ihn. Im Gespräch sagte er mir, dass er sonst morgens, genau wie ich, immer sehr viel früher gehe, aber heute auf die Herbergsdame warten müsse, weil er wahrscheinlich seine Flugtickets und Ausweispapiere in der Herberge verloren habe.
Er war Kanadier, der in Marseille in Frankreich mit dem Flieger gelandet war und Ende September von dort wieder in seine Heimat zurück flog. Also warteten wir auf die Hostaleri, um in die Herberge zu gehen und die Papiere dort zu suchen. Alle Pilger dieser Nacht waren schon weg und unterwegs. Bald kam die Dame, der Kanadier und sie suchten ein paar Minuten, kamen aber ohne Ergebnis aus der Herberge heraus. Ich schätze den Kanadier auf 65 bis 70 Jahre, er ist etwa um die 165 cm groß und hat eine gedrungene Figur. Langsam wurde er unruhiger, kam zu mir zurück, setzte sich wieder zu mir und wirkte klein und in sich gekauert wie ein Kind. Ein paar Tränen liefen ihm die Wange herunter. Ich beruhigte ihn und sagte, dass niemand etwas mit den Papieren anfangen könne und diese bestimmt in der Bar abgegeben wurden, in der ich frühstücken wollte.
Der Ort zählt 70 Einwohner und wenn etwas gefunden wird, gibt man es dem Besitzer der Bar oder im Krämerladen ab. Im Krämerladen hatte ich vorher schon nachgefragt. Da wurde nichts abgegeben. Jetzt kam die Bedienung der Bar, öffnete diese und wir gingen die 50 Schritte von der Kirche sofort dorthin. Wir fragten die Dame nach den verlorenen Papieren. Etwas unfreundlich und zu viel der Mühe , schaute sie an einigen Stellen in der Bar, leider jedoch vergebens. Ebenso erging es uns, als der Eigentümer der Bar herein kam, auf unsere Fragen nach den Ausweisen gab er mir und dem Kanadier in nicht zu verstehender spanischer Sprache irgendeine Telefonnummer. Wir wussten nichts damit anzufangen und diese beiden Barbetreiber waren gelinde gesagt, nicht sehr freundlich. Nun setzte sich mein Kanadier, seine Adresse werde ich erst später am 13. Tag der Wanderung erfahren, mir gegenüber an meinen Tisch, wo ich das inzwischen bestellte Frühstück hingestellt bekommen habe und weinte ganz traurig vor sich hin. Die Tränen kullerten ihm die Wangen herunter. Es war ein trauriger Anblick und mir kamen auch die Tränen, mein Hunger war vergangen. Ich stand auf, versuchte ihn zu trösten. Er saß nur zusammengekauert wie ein Häufchen Elend mir gegenüber am Tisch. Volles Mitleid hatte ich mit ihm und da er wahrscheinlich nicht beholfen genug war, etwas zu unternehmen, musste ich etwas tun. Ich ging hinaus und sprach Leute aus dem Ort an, ob diese dem Kanadier helfen könnten. Ob sie jemanden kennen, der Zeit hat, gut Englisch und Spanisch spricht, Telefonate führen kann und helfen will. Die Personen, die ich fragte, konnten selbst kein Englisch, kannten auch niemanden oder zeigten Desinteresse. Etwa eine halbe Stunde war vergangen, als ein Spanier, etwa 40 Jahre alt, vor der Bar ein großes, teures Auto parkte, gut gekleidet war, in die Bar kam und einen Mocca trank. Diesen Herrn sprach ich ebenfalls an. Er antwortete, er wolle schon helfen, aber sein Englisch sei nicht sehr gut, er spreche gut Französisch. Was ich nicht wusste, mein Kanadier war Frankokanadier aus Quebec und seine Muttersprache war Französisch. Dieser Spanier - den der Himmel gesandt hatte - war beruflich unterwegs, musste noch zu einem Kunden und holte den Kanadier anschließend ab. Er wollte mit ihm nach Burgos zur Polizei fahren und bei allen spanischen Behörden helfen. Gott sei Dank. Ich fragte den Kanadier, ob er finanzielle Unterstützung benötige, was er verneinte, er habe sein Geld und seine Visa Card getrennt aufbewahrt. Jetzt hieß es Abschied nehmen. Ich stand auf und wir umarmten uns. Er legte seinen Kopf an meine Brust, fing laut an zu weinen und sagte schluchzend: "Du hast mir das Gefühl gegeben, nicht einsam und alleine zu sein. Ich danke dir für die Hilfe und werde für dich beten". Ich schluchzte ebenfalls genau so laut und so standen wir, uns gegenseitig mit den Armen umfasst, einige Zeit weinend mitten in der Bar. Es war so emotional, und es sah so aus, dass auch einige weitere Gäste Tränen in den Augen hatten. Oft an meinen Kanadier denkend, ging ich weiter in Richtung Castrojeriz. Das Wetter in der Meseta ist heute am Nachmittag noch sonnig und heiß geworden. Die Meseta zieht sich mit sanften Hügeln bis zum Horizont. Ich habe ein neues Wort erfunden. Die Meseta ist "senkig". Der Weg lässt keine Senke aus, alles was du herunter gehst, musst du auch wieder hinauf gehen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man für den Ablass in Santiago viel - ja sogar sehr viel - Nehmerqualitäten haben muss. Ich glaube nicht, dass ich so schlimme oder schwerwiegende Verfehlungen in meinem Leben begangen habe, um diesen Weg für einen Ablass gehen zu müssen. Ich gehe ihn freiwillig und ich fühle mich trotzdem (oder gerade deshalb?) sehr wohl. Aber die Wege sind ja auch mittelalterlich, heutige Wegeführungen würden anders angelegt. Eines von vielen Beispielen: Hontanas liegt in solch einer Senke, du gehst hinab, durch den Ort und sofort wieder bergauf auf das alte Höhenniveau. Man könnte auch vorher abbiegen und auf gleichem Höhenniveau um Hontanas herum gehen.
Hinter Hontanas auf dem Weg nach San Anton, kam mir ein Pilger im besten Alter entgegen. Ich schätze ihn um die vierzig Jahre. Die Begrüßung fand auf Englisch statt. Während des Gespräches erzählt er, dass er schon einige Monate unterwegs sei, von Rom über Lourdes nach Santiago und nun zurück nach Rom gehe. An dieser Stelle fragte er nach meinem Namen. Als ich den Namen "Meenfriid" englisch betont sagte, meinte er "It`s a German name, like my name. I´m Bernd from Frankfurt". Ich sagte, wir können auch gerne deutsch miteinander reden und lachten herzhaft. Keiner hat den deutschen Akzent des anderen bemerkt, vielleicht weil wir beide Schulenglisch sprachen. Schmunzelnd ging ich weiter nach San Anton und Bernd hatte noch einen weiten Weg bis nach Rom vor sich.
Die Straßenführung ging mitten durch die noch gut erhaltenen Ruinen der Kirche bzw. des Klosters. Stelle man sich vor, ein sehenswertes mittelalterliches Kloster mit noch gut erhaltenem Gemäuer steht irgendwo, wo eine Straße geplant ist. In Spanien wird die Straße quer durch die Ruinen geleitet. In Resteuropa kaum vorstellbar, man hatte Platz genug, die Straße um die Ruine herum zu führen. Hoffentlich erhebt man das Kloster vor San Anton mal zum Weltkulturerbe. Später in der Herberge bei einem Gespräch, sagte ein Pole, man habe in seiner Heimat zu einer Weltmeisterschaft eine Autobahn mitten durch ein Dorf geplant. Die Autobahn konnte nie fertig gestellt werden und musste in diesem Bereich neu geplant werden, die Trasse mit Baggerarbeiten und einigen Abrissarbeiten im Dorf war aber schon erstellt.
Bald in Castrojeriz angekommen, bin ich bis an das Ende des Ortes zur Herberge der Vereinigung der Freunde für Pilgerrefugios gegangen. Dieser Weg dauerte eine Ewigkeit, denn der Ort erstreckt sich über drei Kilometer. Zu dieser Herberge wollte ich, denn dort werden die Pilger morgens eine viertel Stunde vor Sonnenaufgang mit herrlicher, gregorianischer Kirchenmusik geweckt. Es beginnt ein ganz leiser Gesang, der dann sehr langsam immer lauter wird. Es war einfach super schön. Es war eigentlich das schönste Wecken seit langer, sehr langer Zeit. Morgens zum Frühstück gab es Kekse, Äpfel und Milchkaffee. El Resti, den alten, sehr bekannten Hospitalero, über den in der Pilgergruppe in Düsseldorf, wegen seiner Urigkeit gesprochen wurde, habe ich nicht gesehen, habe aber auch nicht nachgefragt, wo er sei. Zu erwähnen ist, das bisher alle Hospitaleros sehr freundlich und hilfsbereit waren. Sie machen ein tolles Ehrenamt.
Auf meinem 2. Jakobsweg bin ich nach einem super heißen Tag in der Meseta mit Monika zusammen nur bis Hontanas gegangen. Nach dem täglichen Ritual bei der Ankunft, (Bett machen, duschen, Wäsche waschen) gingen wir zusammen einen Becher Kaffee trinken. Wir setzten uns an einen Tisch, an dem vier Deutsche saßen. Wir machten uns bekannt. Alexandra, Alex genannt, Sandra, Georg und Hanno. Schnell kamen wir ins Gespräch, waren uns sehr sympathisch, beschlossen spontan abends zusammen zum Essen zu gehen und nach dem Essen plauderten wir noch lange und wollten die nächsten Tage zusammen bis Leon gehen. Die Vier machten nur einen Teilabschnitt des Jakobsweg von Burgos nach Leon. Wir sechs waren eine tolle Truppe, hatten viel Spaß und lachten oft.
Als wir an einem Feld mit viereckigen, abgeernteten Strohmieten vorbei kamen, baten uns die Lehrer Alex und Georg zu den Strohmieten zu kommen. Unterwegs hatten sie zwei Flaschen Rotwein und Becher gekauft. Schnell wurden Strohmieten zu Tisch und Bänke, wir prosteten uns zu und hatten eine der schönsten Pausen am Jakobsweg. Gute Ideen setzten sich fort mit einem Spagetti-Essen von Georg, einem Überraschungsessen, wo je 2 Personen drei Teile Vor-, Hauptspeise und Nachtisch einkaufen mussten, ohne das man wusste, was die anderen einkauften und an einem Abend machten wir eine gemeinsame Weinverkostung. Ich hatte eine ideale Gesprächspartnerin mit Sandra, die 26 Jahre alt war und die 2. Tennis-Bundesliga spielte. Sie kam aus Jena und spielte für Rot Weiß Erfurt. Sandra war immer lustig und spielte uns oft Streiche. Schade, das die Vier nach einem emotionalen Abschied in Leon nach Hause fuhren. Wir waren eine tolle Truppe. Jetzt ging wieder jeder seinen Weg.


12. Tag Castrojeriz nach Fromista

Früh am Morgen wurde ich von den beiden Hospitaleros per Handschlag verabschiedet, nachdem sie noch schnell nach meinem Alter fragten und mir ein Kompliment wegen meines Aussehens und meiner Fitness machten und ich mich für die gute und freundliche Aufnahme bedankt habe. Der Morgen fing gut an. Schnell kam ich zum Start des Anstiegs auf den Alto de Mostelares, auf dem Anstieg überholte ich einige Pilger unter anderem auch Urs, den Schweizer Handaufleger. Ich dachte, er sei ein Kind der Berge und ich, ein alter Mann ziehe mit Leichtigkeit an ihm vorbei. Als er mich bemerkte, fotografierte er den wunderbaren Blick zurück auf Catrojeriz mit der auf dem Berg thronenden Burg, die man jetzt bei der aufgehenden Sonne hervorragend erkannte. Wo ein Aufstieg ist, ist auch ein Abstieg. Am obersten Punkt vor diesem Abstieg sah man durch die noch sehr klare Luft die riesige Weite der Meseta. Der Horizont war ewig weit und in der Morgensonne gab es heute ein Farbspiel von morgendlichem rot über gold nach dunkelgelb und hellgelb. Eine Beschreibung ist schwierig, ja unmöglich, genau wie die Farbbeschreibung des Regenbogens, man muss es selbst gesehen haben. Heute Morgen bin ich körperlich wieder sehr gut drauf, gehe schnell und komme an der Kapelle aus dem 13. Jahrhundert vorbei, die heute eine Herberge ist, in der ich ursprünglich auch übernachten wollte.
Um sie anzusehen ging ich hinein, und war traurig, hier nicht übernachtet zu haben, denn die zwei Stunden hätte ich am Vortag noch geschafft.
Sonnenaufgang in der Meseta
Eine Bekannte, die hier nächtigte, erzählte, das am Vorabend dort gemeinsam gekocht wurde. Man hat gesungen und sie hatte das Glück, dass ein pilgernder Priester, der an diesem Abend hier übernachtete, eine Messe in kleinstem Kreis zelebrierte. Es war eine schnuckelige, uralte Herberge. Weiter geht es, denn heute wurde wieder eine große Hitze erwartet. In Itera de la Vega, wo ich frühstücke, bleibe ich nicht lange und gehe nach Boadilla del Camino einen sehr schönen Weg immer am Kanal entlang. Das Wasser in diesem Kanal liegt etwa vier Meter höher als die Felder auf beiden Seiten und ist mit hohen Dämmen eingeengt. An einem Wehr, der sehenswert ist und früher für kleine Frachtboote vierzehn Meter Wasserhöhenunterschied überwindet, verweile ich eine Zeit lang. Wenig später erreiche ich die Stadt Fromista. Dort nehme ich eine Herberge an der romanischen Kirche. Ganz schön geschafft, habe ich in der Herberge erst einmal zwei Stunden geschlafen.
Am Abend habe ich mich mit einer Spanierin unterhalten, die ich unterwegs immer mal wieder getroffen habe. Die Dame fuhr auf einem Mountainbike mit einem einachsigen Kinderanhänger, in dem ihr etwa vierjähriger Sohn und die Ausrüstung waren. Wenn ich sie sah, kämpfte sie immer bergauf, wobei der etwas pummelige Junge im Hänger sitzen blieb. Ich dachte, ihr Sohn sei vielleicht behindert und sie tat mir leid. Als ich mich an diesem Abend mit ihr unterhielt, kam der Sohn putzmunter gelaufen und wollte irgendetwas haben. Sie war mit einem deutschen Mann, einem Kölner, verheiratet. Sie sprach jedoch nur wenige Worte deutsch. Von meinem Vorschlag, den Jungen bergauf gehen zu lassen, wollte sie nichts wissen. Sie wollte nur eine leidende Mutter sein. Hier in Fromista kreisten gegen Abend noch viele Störche über die Stadt, die ich fotografieren wollte. Die Fotos sind leider nichts geworden, weil ich sie entweder verwackelt habe, die Störche zu hoch flogen, zu weit waren oder nicht als Storch erkennbar waren, beziehungsweise es schon zu dunkel wurde. Etwa zwanzig Bilder konnte ich auf meiner Kamera wieder löschen.


13. Tag Von Fromista nach Calzadilla de la Cueza

Von Fromista führt der lange, etwa zwei Meter breite Schotterweg für einige Kilometer immer neben der selten befahrenen Straße entlang. Sehr gut kann man an den Kilometersteinen der Straße seine Gehgeschwindigkeit ausrechnen. Ich habe an Kilometer 1 die Zeit genommen, es war 6:45 Uhr, bin an Kilometer 4 um 7:13 Uhr gewesen. So weiß ich, dass ich etwas schneller als 6 Km/Std. gegangen bin. Heute Morgen war es klimatisch sehr gut zu gehen. Es ist noch nicht so warm und es sind leichte, ebene Wege. Ab dem nächsten Ort gibt es zwei verschiedene Wege nach Carrion de los Condes. Einer immer an der Straße entlang, diesen Weg bin ich nicht gegangen. Alternativ habe ich den etwas weiteren, etwa 10 Km meist an einem Bach entlang führenden Weg gewählt. Dieser ist der interessantere. Die letzten sechs Kilometer bis Corrion de los Condes führen nur an der Straße entlang. Beschwerlich ist nicht nur der unattraktive Asphaltweg, auch die Hitze und die immer gleiche Landschaft der Kornfelder in der Meseta. Jetzt bekomme ich wieder Probleme mit meinen Einlagen in den Schuhen. Die unter der Rubrik ``Vorbereitung`` schon beschriebenen, wahnsinnig teuren Einlagen beginnen instabil zu werden. Die Stützen unter den Einlagen mit der Karbonverstärkung werden weich und fallen in sich zusammen. Im Café auf der Hauptstraße der Kleinstadt Carrion de los Condes ziehe ich bei einem Kaffee meine Schuhe aus und begutachte die Einlagen. Die Stützen, die dem Hohlfuß Halt geben sollen, sind blöderweise eingedrückt, so dass sich der Fuß verformt und sich durchbiegt. Damit ich keine Schmerzen mehr habe, probiere ich alles aus, um die Karboneinlage zu stabilisieren. Ich wickele ein Papiertaschentuch zu einer engen, festen Rolle, klebe mein bisher nicht benötigtes Blasenpflaster um das Papier und klebe anschließend die Rolle mit dem Rest des Blasenpflasters unter die Einlagen. So müsste es eigentlich schmerzlos weitergehen. Ich ruhe mich noch eine viertel Stunde aus und beobachte eine Deutsch sprechende Pilgerin, etwa zwischen 40 und 50 Jahre alt, super schlanke Figur und lange blonde Haare, mit einem viel jüngeren südländischen - wie sich später herausstellt - italienischen Pilgerwegpartner. Zu diesen Pilgerpaar komme ich später noch einmal. Mein weiteres Gehen mit den reparierten Einlagen machte im Augenblick keine Schwierigkeiten mehr und ich war einerseits froh, andererseits verärgert über den Orthopäden, der mir diese Einlagen wärmstens empfohlen hatte. Ich ging frohgemut weiter in Richtung Calzadilla de la Cueza. Anfangs gab es noch ein paar Bäume. Nach kurzer Zeit wurde die Via Aquitana, eine 2000 Jahre alte Römerstraße, zu einer Herausforderung. Es sind fünfzehn lange, endlos geradeaus führende Kilometer. Eine bei sengender Sonne schattenlose Strecke, die, wie ich glaube, irgendwann jeden Pilger frustig stimmt. Die Straße ist vergleichbar mit Straßen in Ostfriesland. Wenn jemand morgens losgeht, den kann man abends noch sehen, weil das Land so "platt" ist. Wenn ich den Weg entlang schaue, sehe ich die Pilger, die, je nach Entfernung optisch immer kleiner werden und bei weitester Entfernung am Ende nur noch als bunte Punkte sichtbar sind. Mein Tempo wird immer langsamer, aber ich komme noch an das ungleiche Paar heran, die ich in Corrion de los Condes beobachtete. Sie war eine Nordeuropäerin namens Liselotte und hatte lange, blonde Haare, die jetzt in der Sonne golden, wie in der Sage die Haare der Loreley am Rhein, schienen. Sie lebte in Bayern und wanderte für ihren krebskranken 15 jährigen Sohn, der nach einer Chemotherapie auf dem Weg der Besserung war. Mit ihrem jüngeren, italienischen Wegbegleiter, ging sie täglich etwa vierzig Kilometer. Unsere Unterhaltung war schon sehr traurig, stimmte mich nachdenklich und ich hoffe auf einen guten Ausgang für den Sohn der außerordentlich gut aussehenden schwedischen Dame, die früher der Liebe wegen nach Bayern kam und dort verheiratet ist.
Meine Einlagen machen mir langsam erneut Sorgen. Alles, was ich konstruierte, verrutschte und ich rücke es bei einem provisorisch errichteten Getränkeverkauf nach etwa zehn Kilometer wieder zurecht. Hoffentlich hält es jetzt länger.
Der Verkäufer war der geschäftstüchtigste Spanier auf dem Camino. Angebot und Nachfrage regulierten den Preis. Eine Dose gekühlte Cola kostet € 1.50 bei ihm, in jeder Bar kostet gleiche Dose mit Trinkglas, Eis, Zitrone und Schattenplatz nur maximal € 1.20. Das ist Marktwirtschaft. Keine Bars in der Nähe, also Angebot klein, Nachfrage groß: gutes Geschäft. Er war weit und breit der Einzige, der Getränke anbot. Auf diesem Wegstück war kein Haus, kein Baum, kein Brunnen, kein Wasser, nichts außer einer einzigen Scheune weit ab vom Weg.
Langsam schleppe ich mich noch die letzten sechs Kilometer nach Calzadilla de la Cueza, zumal für die Herberge mit Swimmingpool unterwegs auf einer Querstraße geworben wird. (Alberge mit Piscina und Bar Animo in 9 Km ) steht auf einem Straßenschild Die Alberge ist aber in Wirklichkeit nur 6 Kilometer von hier entfernt, wie sich nachher herausstellte. In Calzadilla angekommen, hänge ich die Beine erst mal in den kühlen Pool und pflege meine Füße. Heute habe ich ein Bier verdient. Nach duschen und umziehen gehe ich in die Bar Animo, bestelle ein Bier bei der Dame hinter dem Tresen und löse ein Sudoku Zahlenrätsel in einer spanischen Zeitung. Ich war neben einem Spanier der einzige Gast bis ein Deutscher die Bar betrat, zu mir kommt und mich fragt, ob er sich dazu setzen dürfe. Ich wollte zwar mein Rätsel lösen, aber man sagt ja nicht nein. Ich bin froh, Heinz Werner kennen gelernt zu haben, denn es wurde ein interessanter Abend. Wir erzählten uns gegenseitig unsere Caminogeschichten. Als ich die Geschichte des Kanadiers von meinem 11. Caminotag erzählte, der seine Tickets und Papiere verloren hatte, fragte Heinz Werner, ob es ein kleinerer, untersetzter Mann gewesen sei, was ich bejahte. Er hatte diesen Kanadier zwei Tage vor mir kennen gelernt, sie haben sich gegenseitig fotografiert und Adressen ausgetauscht. Jedenfalls suchte Heinz Werner in seiner Kamera die Aufnahme und ich erkannte den Kanadier sofort wieder. Seine Adresse bekam ich auch. Ich habe ihm sofort bei der Ankunft in der Heimat geschrieben, aber leider bis dato noch keine Antwort erhalten. Jetzt, lange Zeit später und nach Überarbeitung dieses Buches kann ich schreiben, dass die Adresse nicht stimmte. Ich habe den örtlichen Radiosender und die Zeitung für den Großraum der französisch sprechenden Bevölkerung der Stadt Quebec, in der er wohnen sollte angeschrieben, aber es gab keine positiven Ergebnisse. Eigentlich schade, ich wollte doch so gerne den Ausgang der Geschichte erfahren.
Beim dritten Bier gestand mir Heinz Werner, dass er sich von mir aus einem unerklärlichen Grund angezogen fühlte. Er meinte, dass alles im Leben vorgesehen und Fügung sei, genau wie unsere Begegnung und das gemeinsame Treffen mit dem Kanadier. Er sah darin und auch in vielen anderen Dingen, etwas Übernatürliches, ich habe es unter der Rubrik "Zufälle" eingeordnet. Wir verabredeten uns zum gemeinsamen Abendessen.
Später am Abend gesellte sich beim Essen noch ein Hotelpilger dazu. "Er übernachtet, weil er es sich leisten kann, wie er sagte , nur in Hotels oder Pensionen", Herbergen waren nicht komfortabel genug.. Er war ein leichter Aufschneider, auch bei anderen Themen, und ich musste mir eine Bewertung seiner Aussage verdrücken. Ich wunderte mich über mich selbst, dass ich nichts zu seiner Art und zu seinem Auftreten gesagt habe.
Eigentlich fand ich diese Reaktion gut von mir und ich überlegte mir, ob ich in Zukunft immer so handeln solle? Der Jakobsweg hat in meiner Denkweise ab jetzt etwas verändert. In den Zeiten zuvor habe ich folgende Meinung vertreten: Ich bin jetzt alt genug und was mir nicht passt, das sage ich.
Es gibt nun mal solche und solche Menschen. Zu diesem Thema habe ich später auf langen, einsamen Wegen des Caminos Überlegungen angestellt. Auch über die verschiedenen Charaktere in meinem Bekanntenkreis. In Zukunft werde ich in verschiedene Kategorien differenzieren und zwar in Familie, gute Freunde, Kameraden, Sportfreunde und Bekannte.
Im Nachhinein kann ich sagen, je länger der Weg zurück liegt, desto stärker fällt man wieder in seine alten Schemata und Denkweisen zurück.
An diesem Abend haben wir drei jedenfalls nach den drei Bieren vor dem Abendessen auch noch jeder eine Flasche Wein getrunken, mehr als an sonstigen Abenden und so verliefen auch am Ende unsere Philosophien. Ich schlief in dieser Nacht sehr gut.
Auf dem 2. Jakobsweg lernte ich auf der Via Aquitana wieder ein junges Paar kennen. Es waren Steffi und Wolfgang aus der Nähe von Ulm. Sie gingen den Jakobsweg nach Santiago de Compostela, um sich dort mit der gesamten Familie zu treffen und am ersten Sonntag im September zu heiraten. Ich erzähle hier die Geschichte bis zum Ende. Wir trafen uns auch immer wieder auf dem Jakobsweg. Drei Tage nach unserer ersten Begegnung erzählte Steffi mir, dass sie im 3. Monat schwanger sei. Heute in Ospital de Orbigo übernachteten wir in der gleichen Herberge. Abends ging ich hier für mich Lebensmittel für das Abendbrot einkaufen. Unter anderem kaufte ich sechs Eier, das erwähne ich nur, weil Eier noch eine besondere Rolle spielen werden. Ich kochte die Eier hart und wollte sie am nächsten Tag für unterwegs mitnehmen. Steffi, Wolfgang und ich nahmen zusammen unser Abendbrot ein. Als ich meine 3 hart gekochten Eier aß, schaute Steffi mit traurigen Augen auf diese. Als ich dieses bemerkte, bot ich ihr und Wolfgang jeweils ein Ei an. Mit Heißhunger aß sie es und auch noch mein letztes Ei. Steffi erzählte, dass sie Heißhunger auf Ei bekommen hätte, als sie es bei mir sah. Weil wir uns immer wieder tagsüber auf dem Weg sahen, kaufte ich abends immer mindestens 2 Eier, die ich hart kochte und in meinem Rucksack für Steffi mitnahm. Jedes mal war die Freude bei der Eierübergabe sehr groß. Ich mache es kurz mit meiner Erzählung. In Santiago sahen wir uns zwei, drei Mal und ich wurde zu ihrer Hochzeit und Hochzeitsfeier am ersten Septembersonntag eingeladen. Schade, dieser Sonntag war früh morgens mein Abflugtag.
Alles Gute und Gesundheit wünsche ich euch und dem zu erwartenden Kind.


14. Tag Calzadilla de la Cruz nach El Burg Ranero

Bei Dunkelheit geht es wieder los und auch heute ist der Sternenhimmel bei sehr klarer Luft gut zu beobachten. Ich erkenne den Großen Wagen, den Kleinen Wagen und den Orion. Es sind aber auch die einzigen Sternzeichen die ich kenne. Der Weg geht über Ledigos, mit 84 Einwohner und einer Bevölkerungsdichte von nicht ganz drei Einwohnern pro Km² ein fast ausgestorbener Ort. Die meisten Orte am Jakobsweg sind Einwohnerarm, denn zum Teil haben junge Leute die Orte verlassen und sind in Großstädte gezogen. Alle Orte haben jedoch immer Kirchen, die sehr schön und meist einen reich mit Gold verzierten Altar haben. Für mich war dieses auf dem Weg immer ein Widerspruch, wenn ich die oft im Europavergleich heute armen Bewohner sehe, die in ihren zerfallenen Häusern wohnen und die Gotteshäuser strotzen mit großen Goldaltären. Hieran erkennt man, wie reich diese Regionen früher waren. Das gilt auch für diese Kirche hier in Ledigos am Jakobsweg, wo ich heute früh durchgehe, Sie ist dem Hl. Jakobus geweiht und die einzige Kirche am Camino, in der Jakobus als Apostel, als Pilger und als Maurentöter, also dreifach dargestellt wird.
Ledigos verlasse ich und sehe bald auf einen Hügel Tarradillos de los Templarios. Wie aus dem Namen hervorgeht, einer der vielen Orte des früheren Templerordens, die es an allen Wegen, die nach Jerusalem führten, gab. Gegründet wurde der Templerorden etwa um 1120 von französischen Rittern, um die Pilger, die zum Heiligen Grab pilgerten, vor Plünderern, Dieben und Mördern zu schützen und die Pilgerwege zu überwachen. Die Templer sind eigentlich die Erfinder der Kreditkarte. Sie handelten mit Gold und Silber und konnten so einen Geldverkehr mit Wechseln und schriftlichen Zahlungsanweisungen in fremden Ländern schon zur damaligen Zeit organisieren. Damit sorgten die Templer am Jakobsweg für Sicherheit und Ordnung. Geld wurde zu Hause eingezahlt, auf Kreditkarten konnte man überall bei den von Templern beherrschten Gebieten Geld abheben
Weiter führt mich der Weg in Richtung Sahagun, ein 300 Seelendorf. Ich befinde mich jetzt schon in der Provinz Leon, aber auch mitten in der Meseta. Gegen Mittag wird es sehr, sehr warm, in meinem Notizbuch schreibe ich sogar, dass es ab 11:00 Uhr eine Hitzeschlacht war. Auf dem Weg nach Sahagun beginnen meine Füße nicht mehr mit den Einlagen einverstanden zu sein. Da ich kein Pflaster zum Kleben neuer Papiertaschentücher-Tampons habe, ziehe ich kurz entschlossen meine Weichgummi-Crocs an und gehe hervorragend den Rest des langwierigen Weges, immer die Autobahn sehend, mit der jetzt neuen Schuhentdeckung nach El Burgo Ranero.
Hier angekommen, gehe ich heute völlig erschöpft in die vom Jakobsverein geführte Herberge, die aber voll belegt war. Selbst ein deutscher Hostalero, wohnhaft im Kreis Heinsberg, nicht weit von Aachen entfernt, der meine frühere Firma sogar kannte, war machtlos mich noch unterzubringen. Ich sagte ihm, dass ich mich einfach irgendwo hinlegen würde, denn ich war zu erschöpft um noch weiter zu gehen. Er zeigte mir eine private Herberge, die ein paar hundert Meter weiter auf der anderen Seite lag. Ich hätte sonst gestreikt und wäre nicht weitergegangen, denn die nächste Herberge wäre 13 Km weiter in Reliegos gewesen. Eingecheckt in der privaten Herberge, setzte ich mich auf die Straßenterrasse, aß etwas, flickte meine Schuheinlagen mit neuen "Tampons", verklebte sie mit Klebeband, gekauft in dem Krämerladen und legte mich um 20.00 Uhr ins Bett. Heute war ich so geschafft, dass ich sofort einschlief. Ein Herr aus Deutschland, der eine Flasche Rotwein verzehrte, wollte mich zu einem Glas einladen, was ich dankend ablehnte, weil ich an diesem Abend fix und fertig war, obgleich die Strecke heute nur etwas über 30 Km in knapp unter 10 Stunden war.
Jeder Tag ist eben nicht wie der andere, erst recht nicht auf dem Jakobsweg.
Duplizität der Ereignisse waren beim 2. Weg wieder meine Füße respektive Schuhe, als ich auf dem Weg zwischen Sahagun und Calzada del Coto etwa 1 Km vor Calzada ein Sandkorn oder Steinchen an der linken Ferse verspürte. Es war wieder sehr warm und der Weg bietet keinen Schatten. Deshalb wollte ich den Kilometer bis zum Ort gehen und im Schatten sitzend, den Schuh und die Strümpfe kontrollieren. Es war zu spät, als ich im Ort angekommen war, hatte ich eine dicke Blase an der Ferse. In der Herberge habe ich mir eine Nähnadel und weißen Nähfaden geliehen und habe 2 Fäden durch die Haut der Blase gezogen. An der Einstichstelle und am Ausstich der Nadel habe ich jeweils ca. 1 Zentimeter Garn nach außen überstehen lassen. Aus der Blase schauten jetzt 4 Fäden die den Zweck hatten, die Blasenflüssigkeit über die Fäden abzuleiten. Am nächsten Morgen noch ein Papiertaschentuch über die Blase geklebt und los ging es. Unterwegs, es war noch keine Stunde vergangen, schmerzte es an der Ferse und ich konnte kaum weitergehen. Ein bei Pilgern bekanntes Pflaster für Blasen heißt Compeed. Dieses holte ich in der nächsten Apotheke, verarztete meine Blase mit diesem Gelpflaster und konnte einigermaßen gut gehen.
Wenn ich jetzt rechne, dann habe ich die erste Blase auf den beiden Jakobswegen nach etwa 1500 Kilometer bekommen. Und das ich sie hatte, war meine eigene Schuld, weil ich die Sandkörner nicht sofort entfernt habe. 


15. Tag El Burgo Ranero nach Puente Villarente

Es ist heute Morgen vor sieben Uhr wieder kühl. Nicht mehr als 12° C. Dieses hat den Vorteil, dass man ohne zu schwitzen besser und schneller gehen kann. Ich gehe etwas über zwei Stunden nach Reliegos durch die Einsamkeit der Kornfelder. Dieser kleine Ort wird durchwandert, um nach Mansilla de las Mulas zu gelangen. Der Weg ist leicht, es gibt nur wenig Höhenunterschiede. Hinter Mansilla de las Mulas gehe ich über eine mittelalterliche Brücke, die den Fluss Esla überquert und dann führt der Weg immer parallel zur Straße nach Puente Villarente. In diesem Ort verläuft der Weg wieder über eine uralte, immer nach einem Hochwasser reparierte Brücke über den Rio Porma. Jede durch das Hochwasser bedingte Reparatur erkennt man daran, dass die Brückenbögen alle ungleichmäßig groß sind und so keine architektonische Linie an der Brücke erkennbar ist. Es wurde immer nur notdürftig geflickt. Erklärt hat mir dieses ein älterer, deutsch sprechender Spanier, der mich bei einer Pause an der Brücke ansprach. Zuerst wunderte ich mich, dass er sofort deutsch mit mir sprach, erinnerte mich aber dann an die kleine Deutschlandflagge, die an meinem Rucksack befestigt ist. Nach dieser Brücke bemerkt man allmählich den urbanen Einfluss Leons und Gott sei Dank, die Meseta endet hier so langsam und ich hoffte auf grüne, blühende Landschaften auf meinem künftigen Weg. Ich habe heute keine Lust mehr weiter zu gehen, sehe eine Straßenwerbung für eine private Herberge, einen ehemaligen Bauernhof. In der Herberge angekommen, war ich der Erste und einzige Pilger. Da es noch früher Nachmittag war, habe ich großen Waschtag veranstaltet. Fast alles, was waschbar war, wusch ich in der vorhandenen Waschmaschine. Anschließend ging ich einkaufen. Ich dachte, die Herberge wird noch von anderen Pilgern aufgesucht, aber das war nicht der Fall. Ich war der einzige Gast und schlief allein in einem Zwanzigbettzimmer.
Heute war ich faul, bin nur etwa 25 Km gegangen. Hätte es auch noch spielend nach Leon geschafft, aber es war um 18:00 Uhr noch über 32 C. Wie warm wäre es dann erst in Leon gewesen? Ich glaube, meine Taktik, immer morgens die großen Städte zu besuchen ist richtig. Also früh raus und abends zeitig ins Bett. Als Herberge wird der umgebaute Bauernhof noch erweitert und vergrößert. Diese Herberge hat modernste Sanitäranlagen, eine große Wiese mit Liegen und befindet sich nahe am Ortskern, wobei dieser an einer sehr belebten Zufahrtsstraße nach Leon und zur Autobahn liegt.


16. Tag Puente Villarente über Leon nach Virgen del Camino

Heute ist Donnerstag, ich bin bald 500 Km unterwegs und meine Einlagen sind nach der eigenen Notreparatur weiterhin zu gebrauchen und ich fühle mich körperlich topfit. Bis Santiago de Compostela sind es noch ungefähr 300 Km und die werde ich auch noch schaffen. Heute Morgen erreiche ich Leon, die Hauptstadt der Provinz Kastilien. Diese Stadt wird ein weiterer Höhepunkt auf dem Camino sein. Gut, dass ich früh aufgestanden und die Herberge schnell verlassen habe, denn ich war vor 10:00 Uhr in Leon an der Kathedrale. Zuerst führte der Weg ab der Herberge bergan, neben einer belebten Straße nach Leon. Recht unangenehm wurde es nach zwei Stunden schnellem wandern und nach einem herrlichen Ausblick auf die Stadt im morgendlichem Sonnenlicht, als der Pilgerweg neben der als Autobahn ausgebauten Nationalstraße auf dem Seitenstreifen der Autobahn weiterführte. Ich glaubte, ich habe den falschen Weg, aber es gab keinen anderen Weg. Hier hat man vorbei geplant und nicht den einmündenden Pilgerweg bedacht. Eigentlich unglaublich. Der Pilgerweg endet auf der Autobahn. Kein Hinweis, keine andere Möglichkeit als auf dem Seitenstreifen der Autobahn 150 Meter zu einem weiteren Weg zu gehen. Ich dachte es sei eine Dummheit von mir gewesen, aber andere Pilger bemerkten diesen Planungsfehler ebenso. Mich interessiert wie es im Heiligen Jahr hier aussehen wird, wenn tausende Pilger den Autobahnseitenstreifen benutzen, wenn keine Lösung bis dahin geschaffen worden ist.
Um mich zu korrigieren, muss ich schreiben, dass bei meinem 2 Jahre späteren Jakobsweg alles zur Zufriedenheit der Pilger abgeändert wurde. Man hat eine Brücke, dort wo der Pilgerweg endete, über die Autobahn neu gebaut und eine neue Trasse als Weg erstellt.
Bald gehe ich durch die Randgebiete und der Vorstadt ins Zentrum Leons und erreiche nach der Benediktinerinnen-Herberge die Kathedrale. Diese aus der Frühgotik zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert gebaute Kathedrale Santa Maria de Regla gilt als eine der schönsten Spaniens. Im Innenraum kann man 1800 Quadratmeter bunte Glasfenster bestaunen. Ich habe ein ca. achtjähriges Mädchen beobachtet, das vor Staunen den Mund weit geöffnet hatte und fasziniert und andächtig die bunten Fenster betrachtete. Einfach sehenswert ist diese Kathedrale. Hineingehen, sich auf eine Bank setzen und eine halbe Stunde verweilen. Das zeigt Wirkung. In Leon ist nicht nur die Kathedrale besonders schön, es gibt ein von Gaudi erbautes großes Gebäude, an dem man sofort die architektonische Handschrift Gaudis erkennt. Wer schon einmal die Gaudibauten in Barcelona sah, erkennt seinen Stil sofort. Des Weiteren sehenswert sind das Museum, einige Paläste, die alten Stadtmauern und auch das Parador Hotel.
Eine persönliche Überraschung war mein Gewicht. Ich wog mich in einer Apotheke und mein Gewicht betrug mit Wanderschuhe und komplett angezogen nur 82 Kilo. Ich hatte mittlerweile gut sechs Kilo abgenommen.
Nachmittags gehe ich weiter durch die Vorstadt und dem Industrieviertel zur Herberge nach Virgen del Camino. Die städtische Herberge ist neu und modern mit guten sanitären Anlagen in einem kleinen Industriegebiet. Es sind nur wenige Pilger in der Herberge, die meisten übernachten in Leon. Die heutige Strecke betrug nur 21 Km bedingt durch den Besuch Leons, der jedoch sehr lohnenswert war.


17. Tag Virgen del Camino nach Hospital de Orbigo

Ab Virgen del Camino führt einmal ein Weg immer an der Straße entlang und ein zweiter Weg, der führt am Ende der Stadt an einem Abzweig links in ein offenes Feld. Bis zum Abzweig war der Weg beleuchtet, dann wurde es bei Dunkelheit schwierig. Vorsichtig, um nicht auf dem ausgefurchten Weg zu stolpern, ging ich etwa eine halbe Stunde bis zu einer Autobahn. Hier machte ich den größten Irrweg des ganzen Caminos. Bei der Vorbereitung hatte ich gelesen, die Autobahnbrücke müsse überquert werden und dann müsse man nahe der Autobahn weitergehen. Ich ging über die Brücke, sah die Straße rechts steil bergab, nahm diese aber nicht, weil ich in der Dunkelheit annahm, es sei die Autobahnauffahrt.
Folglich ging ich geradeaus weiter. Die gesamte Straße, die parallel zur Autobahn verlief, war frisch geteert und die Seitenbegrenzungen erneuert. Mein nächster Irrtum war die Annahme, die Jakobswegzeichen seien überteert und noch nicht erneuert worden. Aber die zur Autobahn parallel verlaufende Straße war ja, meines Erachtens, richtig. So hatte ich die Wegbeschreibung gelesen. Es war noch dunkel, der Sonnenaufgang ließ auf sich warten und ich konnte nicht ahnen, dass ein Autobahnkreuz in der Nähe war und ich somit die Straße parallel zur Autobahn Richtung Süden und nicht die Straße parallel zur Autobahn Richtung Westen nahm. Als die Sonne aufging, merkte ich die falsche Richtung. Einfaches Gebot am Jakobsweg: Morgens zeigt dein Schatten immer nach Westen in Richtung Santiago de Compostela. Also geht man immer in die Richtung, in die dein Schatten zeigt. Als die Sonne die ersten Morgenstrahlen sandte, zeigte mein Schatten nicht in die Richtung, in die ich ging, sondern nach Westen. Also merkte ich, dass ich im rechten Winkel zu meinem Schatten Richtung Süden ging. Es waren früh morgens keine Personen unterwegs, die man hätte fragen können, außer einem unbeleuchtetem Haus waren auch sonst keine Häuser oder Gebäude zu sehen und drei vorbeifahrende Autos, die ich versuchte anzuhalten, um zu fragen, reagierten nicht. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, sie gaben Gas um schnell an mir vorbei zufahren. Dem Zweiten rief ich ein paar unschöne Worte hinterher und dem Dritten noch schlimmere. Ich bin froh, dass diese Worte nicht verstanden wurden, denn sie geziemten sich nicht als Pilgergruß.
Ich ging drei Kilometer falschen Weg, ärgerte mich über mich selbst, denn ich musste ja diese drei Kilometer auch wieder zurückgehen. Summa summarum sechs Kilometer umsonst gelaufen. Es war für mich dennoch lehrreich. Ich beschwichtigte mich selbst und kam zu dem Entschluss, lieber einmal mehr zu fragen oder zu warten, als stur immer weiter zu gehen. Ich gestand mir für die Zukunft zu, auch einmal Fehler machen zu dürfen. Man muss nicht immer perfekt sein, wie ich bisher immer glaubte, es sein zu müssen. Ich bin im Sternzeichen Stier geboren und Stiere fragen nicht. Stiere gehen oder fahren immer weiter. Das war eine sehr hilfreiche Lektion. Ich denke in späteren Situationen häufig an diesen Umweg, wenn eine ähnliche Situation auf mich zukam. Jetzt habe ich manchmal das Gefühl, ich frage zu oft, um sicher zu gehen und das befriedigt mich auch nicht.
Nach mehr als einer Stunde war ich auf dem rechten Weg. In meinen Notizen stand, dass es bald ein langweiliger, kilometerweit geradeaus führender Weg wird. Nur mit wenigen Ausnahmen geht es immer an einer asphaltierten Straße entlang. Zu erwähnen bleibt noch, dass die Landschaft nach Virgen del Camino wieder grüner wird, Kornfelder wird man immer weniger sehen, flaches Land ist weiterhin angesagt. Ich habe in den letzten Tagen unterwegs wenige Pilger gesehen, so gut wie fast keine Pilger überholt und tagsüber selten Gespräche führen können. Es könnte daran gelegen haben, dass viele Pilger die Strecke zwischen Burgos und Leon auslassen, bzw. mit Bus oder Bahn fahren. Möglich ist auch, dass ab Mitte August die Spanier, Franzosen und Italiener das Ferienende (meist Ende August) auf sich zukommen sehen und keine Strapazen an den letzten Tagen vor dem Ende der Ferien auf sich nehmen. Ich habe es nicht herausgefunden, es ist nur eine Vermutung oder vielleicht war es auch nur ein Zufall, dass so wenige Pilger zu sehen waren, aber die Herbergen waren auch nicht gut belegt. Heute zum Beispiel habe ich zwei rastende deutsche Frauen überholt und es waren etwa zehn Radfahrer an mir vorbeigefahren. In Hospital de Orbigo habe ich mich für die drei Sterne Albergue San Miguel, die letzte der drei Herbergen im Ort, entschieden. Es war ein guter Entschluss, denn es herrschte eine wohltuende Ruhe. Das Abendessen konnte ich in der Herberge im Außenbereich bzw. im Hof einnehmen und so entschied ich mich, im Ort einkaufen zu gehen. In dem kleinen SB Laden kaufte ich ein Glas eingelegte Paprika, ein Stück Käse, eine Dose Thunfischsalat und eine Halbliterflasche Rioja Rotwein. Diese Speisen und Getränke nahm ich dann gemütlich mit anderen Pilgern unter freiem Himmel bei einbrechender Dunkelheit in der Herberge zu mir. Ich hatte ja keine Gewichtsprobleme mehr und habe alles aufgegessen und ausgetrunken. Mit so vollem Bauch habe ich dann auch noch gut geschlafen. Als Anmerkung an den Umweg, möchte ich hier nachtragen, dass ich nicht der einzige Irrläufer war. Im Nachhinein erzählten auch einige andere Pilger, dass es ihnen ähnlich ergangen war.


18. Tag Hospital de Orbigo über Astorga nach Rabanal del Camino

Am Ortsende gibt es heute Morgen wieder zwei Möglichkeiten um nach Astorga zu gelangen. Die Landstraße möchte ich meiden, folglich gehe ich an der Gabelung rechts und erreiche den in der Dunkelheit gut beleuchteten, kleinen Ort Villares de Orbigo. Ich glaube, hier schlafen an diesem Samstag morgen alle Einwohner den "Schlaf der Gerechten". Ich hätte angenommen, der Ort wäre ausgestorben, wenn nicht hin und wieder ein Hund mich ankläfft hätte. Rechts und links des Caminos fallen immer wieder die für die Bewässerung der Felder verlegten Wasserrinnen aus Beton auf. Hier werden Knoblauch, Zwiebeln, Lauch und Paprika angebaut. Die Landschaft wird jetzt leicht hügeliger und viel grüner. Weiter auf Pfade und Feldwege geht der Camino durch kleine Ortschaften wie San Justo de la Vega, wo mir ein Werbeschild für den Verkauf eines Grundstückes zum Quadratmeterpreis von € 40,00 auffällt. Ein 500 Quadratmeter großes Grundstück kostet 20 000.-. Euro Der Preis ist günstig, aber in dieser Gegend herrscht permanent Landflucht und wer will hier am Ende der Welt wohnen? Mit solchen Gedanken befasst sich ein Pilger, der alleine geht und seinen Gedanken auf einsamen Wegen freien Lauf lässt.
Astorga Cathedral Santa Maria
Weiter durch Felder und kleine Wälder geht es nach Astorga, das ich um 10.00 Uhr erreiche. Die Stadt liegt auf 870 Meter Meereshöhe am Fuße des Monte des Leon.
Sehenswert ist die Kathedrale mit den zwei Türmen, die man beim Anmarsch schon aus der Ferne erkennt, daneben der Bischofspalast nach Gaudiplänen erbaut und der Rathauspalast bzw. das Rathaus in dem Palast aus dem 17. Jahrhundert. Für mich der Clou aber ist das Schokoladenmuseum mit Verkostung. Da Astorga berühmt für seine Schokoladenherstellung ist, habe ich mir 100 Gramm mich anlachende Mandelbruchschokolade gekauft und sofort die Qualität geprüft. Schmeckte hervorragend und sie war in fünf Minuten, im wahrsten Sinne des Wortes, verkostet, geprüft und für gut befunden worden. Beim Kaffee in der Cafeteria auf dem Plaza de Cathedral gönnte ich meinen Füßen etwas Luft, zog die Schuhe aus und Crocs an. Es kam mir die Idee, die Crocs bis ans Ende der Stadt anzulassen. Gedacht, getan, ich ging den Rest des Weges bis nach Rabanal del Camino mit diesen geschäumten, sehr leichten Kunststoffschuhen. Eigentlich ging es sehr gut, wenn die Strecke leicht bergan geht, sobald aber Steigungen oder Pfade mit größeren Steinen zu bewältigen sind, wird es schwierig ohne meine MEINDL Wanderschuhe. Am heutigen Tag waren nur einige Male steilere Abschnitte als Wegstrecke, immer dann, wenn der Camino nicht parallel zur Straße verläuft. Ab und zu wird die Straßenführung abgekürzt, dann sind die Pfade steil bergan. Die heutige Tagesstrecke war 37,7 Km lang und mit einem Höhenunterschied von 340 Höhenmetern teilweise anstrengend (von 820 Meter auf 1160 Meter).
In Rabanal ging ich in die erste Albergue El Pilar. Dieses ist eine private, empfehlenswerte Herberge. Im offenen Hof steht eine gemütliche Bar und abends wird ein schmackhaftes Pilgermenü serviert. Dieses nahm ich mit Heidi, die hier Gast war und ich hier kennen lernte, ein. Trotz des halben Liter Weines, den ich trank, wurde es ab 21:00 Uhr im Außenbereich so kalt, dass ich zu Bett ging. Es waren heute nur fünf Pilger in dieser Herberge, wogegen ich gehört habe, dass die städtische Herberge, die preiswerter ist, fast ausgebucht war. Dazu muss ich bemerken, dass meistens Spanier die urbanen Herbergen wegen des geringen Entgeltes oder des kostenlosen Übernachten früh ansteuern und dann meistens um 17:00 Uhr belegt sind.


19. Tag Rabanal del Camino über Cruz Ferro nach Ponferrada

Heute erwartet mich eine, wie man bei der Tour de Franc sagen würde, weitere Königsetappe. Bis Ponferrada sind es nahezu 33 Km mit 400 Meter Aufstieg auf 1560 Meter über Meeresspiegel und anschließend 1100 Höhenmeter Abwärtsmarsch. In etwas mehr als einer Stunde steil bergan erreiche ich das - meinem Eindruck nach - "Einseelendorf" Foncebadon, mit einer restaurierten kleinen Kirche und einigen Ruinen. Die zwei frei laufenden Hunde, die früh morgens dort herumlungerten, waren harmlos und beachteten mich gar nicht. Nach weiteren 200 Höhenmetern Anstieg und einer weiteren Stunde wandern, erreichte ich Cruz Ferro. Froh hier bald auf dem höchsten Punkt angekommen zu sein, kann ich meinen Rucksack um 250 Gramm erleichtern. Den weißen Kieselstein, den ich bei Ausgrabungen in meinem Garten gefunden und im Rucksack mitgenommen hatte, legte ich am Fuße des Kreuzes nieder. Zu Hause hatte ich gelesen, man lege, mit dem Stein aus der Heimat, symbolisch viele Lasten von seiner Seele ab. Ich legte eine Last aus meinem Rucksack, die ich seit dem ersten Tag mitgenommen und getragen habe, dort ab. Nach einem kurzen "in sich kehren" und ein paar Fotos, frühstückte ich auf einer Bank im Windschatten, mit Ausblick auf das eiserne Kreuz.
Trotz des Sonnenscheins war es bei leichtem Wind hier auf über 1500 Meter unangenehm kühl, wenn man ein paar Minuten still gestanden oder gesessen hat. Bald ging ich weiter zum Pass, immer bergauf, und dann ging es 1100 Höhenmeter bergab auf zum Teil steinigen, steilen Trampelpfaden und unbefestigten Wegen. Wunderbare Aussichten auf die umliegenden Berge mit ihren Almwiesen und die Fauna hier oben, lassen mir heute das Herz höher schlagen. Weiße Zistrosen, Erika und Heidekraut in violett bis rosa, Ginster, Bergveilchen und Golddistel, alles miteinander bunt vermischt, bieten unvergessliche Bilder.
Besonders bei Abstiegen auf zum Teil stark ausgewaschenen Geröllwegen haben Wanderstab und Schuhe gute Dienste geleistet. Auf diesen Pfaden muss man mit guten Schuhen gehen. Ich habe MEINDL Schuhe zu Hause oft und lange getestet und für sehr gut befunden. Auf diesen schwierigeren Wegen sollten die Schnürsenkel etwas fester als auf leichten Wegen angezogen werden, um nicht in den Schuhen zu rutschen und um keine Blasen zu bekommen. Es geht immer nur bergab, viele Kilometer. Bergab gehen ist für mich schwieriger als bergauf zu gehen. Man muss alle Sinne wach halten, um nicht auszurutschen oder umzuknicken. Heute fühlte ich mich fit und der Motor (meine Beine) läuft rund. So erreiche ich Molinaseca, eine lang gezogene Stadt, in der der Camino über 4 Kilometer immer auf Wegen und Bürgersteigen durch die Stadt führt.
Froh, endlich wieder einen Nebenweg zu gehen, gelangt man bald zu dem Ort Campo und weiter geht es bis spät nachmittags in die kirchliche Herberge von Ponferrada. Es ist eine Großherberge mit über 250 Betten in verschiedenen Räumen. In der Hochsaison werden sogar im Eingangsbereich und unter freiem Himmel Schlafgelegenheiten durch Matratzen erstellt, wie mir ein Mitarbeiter erzählte. So auch in der Nacht zuvor, als Unmengen Spanier an diesem Samstag dort waren und sogar alle Radfahrer abgewiesen werden mussten, weil etwa 280 Fußpilger in der Herberge abstiegen. In städtischen und kirchlichen Herbergen haben Fußpilger Vorrecht vor berittenen Pilgern und Radfahrern, wobei Radpilger immer erst ab 18:00 Uhr eingelassen werden, wenn dann noch Plätze frei sind. Ich habe auf dem gesamten Weg nur viermal einen Pilger mit und auf einem Pferd, sowie nur einmal mit einem Esel gesehen, aber man kann Unmengen von Pferdedung auf den Wegen finden, was mich irritierte.
Der spanische Hostalero in Ponferrada war nicht flexibel. Nach der Anmeldung ging er mit mir in den Raum (es gab noch einige freie Räume mit bis zu zehn Doppelbetten) der gerade an der Reihe war, belegt zu werden und er gab mir von einem Etagenbett ein Oberbett. Unten waren alle sieben Betten belegt. Als ich auf mein Alter hinwies und um ein Unterbett im nächsten, noch leeren Raum bat, war es ihm nicht möglich, mir hier ein Unterbett zu geben. Reine Inflexibilität, ich wollte auch keine Unstimmigkeit aufkommen lassen und bezog oben Quartier. Meiner Meinung nach könnten junge Leute oben, ältere unten untergebracht werden. (Meine jetzige Meinung hat sich etwas geändert. Wer 1000 Km gehen kann, müsste auch in einem Etagenoberbett schlafen können)
Hungrig vom langen Weg gehe ich in die mit 66.000 Einwohnern zu den größeren Orten am Camino zählende Stadt, um ein Restaurant zu suchen. Vorbei an der Templerburg, gehe ich zur Stadtmitte. Optisch sieht die Burg wie die Filmkulisse einer Burg im Mittelalter aus, riesig groß und sehr gut erhalten. Hier, in der Stadtmitte, sehe ich auf einer McDonalds Werbung einen Dreifach-Burger und ich erinnere mich an Thailand zurück. Folgendes war geschehen: Wir, meine Frau und ich, machen seit einigen Jahren von Anfang November bis Anfang März Urlaub in wärmeren Regionen, so auch einige Male in Thailand. Ich glaube im zweiten Urlaub war es, als wir nach zwei Monaten "nur" Thaikost nach Pattaya kamen und auch eine McDonalds Werbung sahen. Wir schauten uns an, hatten den gleichen Gedanken gingen beide immer schneller werdend, zu dem Fastfoodladen und bestellten alles, was die Speisekarte hergab. Pommes rot/weiß, einen großen Burger und 1 Liter Cola Light sowie ein Eis, alles schmeckte nach der langen Thaikostzeit köstlich. Ergänzend muss ich sagen, wir mögen beide überhaupt keine Fastfoodkost. Als meine Tochter noch ein Kind war, bekam sie immer großen Hunger, wenn sie die McDonalds Werbung sah. Als guter Vater ging ich mit ihr zu McDonalds, ich aß meistens ein Eis und mein Kind hatte einen schönen Tag mit Fastfood. Wie es meinem Kind damals erging, erging es mir heute. Nach häufigen Pilgermenüs wollte und konnte ich mir gewichtsmäßig was kalorienhaltiges leisten. So ging ich, wie damals in Thailand, immer schneller und es wurde ein weiter Weg zu einem neu erbauten Einkaufscenter am Stadtrand. Als ich ankam, suchte ich mir auch die größte Portion aus. In meinem Tagebuch schrieb ich: es schmeckte heute köstlich.
Auf dem Heimweg zur Herberge formierte sich eine Prozession aus vielen hunderten Menschen auf der breiten, in die Innenstadt führende Straße. Es war das zum hundertsten Mal wiederkehrende Patronatsfest zu Ehren des Erscheinens Maria (Fiestade la Encina). Diese Prozession wurde von den vielen umliegenden Orten des Landkreises El Bierzo mit seiner Hauptstadt Ponferrada veranstaltet, in der die Einwohner der Orte in ihren herrlich bunten Kostümen und vielen verschiedenen Trachten, Spezialitäten aus ihrem Dorf zur Marienstatue auf dem Platz vor der Basilica de la Encina brachten. Ich sah Körbe mit Weinflaschen und Trauben, Wurstspezialitäten, einen dicken Schweinekopf garniert, Früchte, Getreide und vieles, vieles mehr. Der Prozessionszug wurde begleitet von Musik, Gesang und Tanzgruppen. Es war für mich wieder ein unvorhergesehenes, unvergessliches Erlebnis. Ponferrada ist eine schöne Stadt, die Sehenswürdigkeiten en maß hat. Für diese Stadt, die letzte größere Stadt vor Santiago, sollte man genügend Zeit einplanen. Nur ein Nachmittag ist viel zu wenig. Zu berichten ist noch Folgendes: als ich meinen Schlafraum betrat und mich hinlegen wollte, bot mir ein junger Spanier, den ich bei meiner Ankunft nicht gesehen habe und der auch nichts von meiner Bitte nach einem Unterbett wusste, sofort einen Bettentausch an. So bekam ich doch noch ein Paterrebett.


20. Tag Ponferrada nach Trabadelo

Früh ging es in gut beleuchtetem städtischen Gebiet gut voran. Nach ein paar Kilometern wurde es immer ländlicher und immer grüner. In meinem Tagebuch ist verzeichnet: Gott sei Dank, die Landschaft ist wieder sehenswerter. Bäume, Wiesen und Weinberge wechseln sich ab. Das Aufeinandertreffen vom westlichen Seeklima (Atlantik ist nicht mehr weit) und dem kontinentalen Klima der spanischen Hochebene, bewirkt das Mikroklima, das hier in der Gegend herrscht. Das heißt: sehr viel Sonne bei genügend Regen sorgt für gute landwirtschaftliche Erträge im Obst-, Gemüse- und Weinanbau. In der Ferne gen Westen sieht man wieder Gebirgsketten aufragen und im Westen liegt unser Ziel. Und über diese Gebirgsketten müssen die Pilger wandern, wenn sie Santiago erreichen wollen, eine letzte Gebirgskette, ein letztes Mal. Zu einer guten Buße in Santiago bleibt einem kein Gebirge erspart.
In Cacabelos, einer kleinen Stadt, frühstückte ich auf der Hauptstraße in einer Bar, schräg gegenüber der Markthalle. Meinen Rucksack ließ ich draußen auf einer der Bänke, die den Hauptdorfplatz säumten, aber im Blickfeld der Bar, die sehr eng und schmal war. Gepäck hätte gestört. In der Bar trank ich einen Café con Leche und aß ein Bocadillo mit Käse und Schinken. Hierfür sollte ich € 7.- bezahlen. Ungläubig fragte ich nach, denn bisher hatte ich immer in den Bars unter € 5.- bezahlt. Aber die ältere, schlecht gelaunte Barbedienung sagte "siete" und das heißt auf deutsch sieben. Ich fragte nochmals "siete" und sie bestätigte nochmals. Ich fragte nach einer Speisekarte, um den Preis zu kontrollieren, aber sie hatte heute keine. Also bezahlte ich und hatte das Gefühl, die Alte hat mich beschi.... (ein Pilger nimmt solch ein Wort nicht in den Mund). Aber was soll es, es war das erste und einzige Mal auf der gesamten Tour. Soll die Alte glücklich werden mit den € 2,- die sie jetzt mehr hat. Ich muss noch einmal wiederholen, Pilger haben mit wenigen Ausnahmen bei allen Nordspaniern eine Ausnahmestellung. Pilger werden mit Respekt, ehrlich und sehr oft bevorzugt behandelt.
Von Cacabelos gehe ich ein paar Kilometer auf kaum befahrene Straßen und dann etwa zwei Stunden Feldwege durch Weinanbaugebiete nach Villafranca del Bierzo. Durch die kühlen Gassen der kleinen Stadt gehend, überquere ich den Fluss über eine alte Brücke und dann geht es steil und steinig über 460 Höhenmetern, die Gebirgskette, die ich am Tag zuvor schon sah, auf Pfade und Feldwege nach Trabadelo. Wie ich hörte, gibt es noch einen kürzeren, aber schrecklich lauten Weg, immer an einer viel befahrenen Straße und unterhalb einer Autobahn, den die Pilger wegen einer halben Stunde Zeitersparnis nicht benutzen sollten. In Trabadelo ging ich nach dem ausgiebigen Abendessen, das ich in dem kleinen Lebensmittelladen einkaufte und in der Herberge im Innenhof aß, früh ins Bett. Es wartete ein harter neuer Tag auf mich. Es sind nur noch rund 180 km nach Santiago de Compostela. Heute bin ich fast 35 Kilometer gegangen, es fällt mir nicht mehr schwer, solch weite Strecken zu gehen. Ich würde fast sagen, das Gegenteil ist der Fall. Je näher ich nach Santiago de Compostela komme, desto motivierter und fitter fühle ich mich. Immer schneller möchte ich das Ziel Santiago erreichen. Eine innere Ruhe hat mich, trotz des Verlangens schnell nach Santiago de Compostela zu gelangen, erreicht. Ich weiß jetzt, es kann kommen was wolle, ich erreiche mein Ziel. Ich würde Santiago erreichen, schlimmstenfalls würde ich mich dorthin auf allen Vieren schleppen. Alle Sorgen, alle Mühen haben sich gelohnt. Oft denkt man im Vorhinein, was machst du, wenn du krank wirst, wenn irgendetwas Unvorhersehbares dazwischen kommt? Eine lange Zeit der Vorbereitung habe ich mir im Gegensatz zu vielen anderen Jakobspilgern genommen. Jetzt habe ich alles richtig gemacht, es hat sich gelohnt. Seit einigen Tagen gehe ich sorgenlos und beschwingt meinem Ziel entgegen. Mit vielen Pilgern habe ich über dieses Gefühl gesprochen und es gab viele, ich würde sagen, alle fühlten ebenso wie ich.


21.Tag Trabadelo über den O Cebreiro (1306 m) nach Fonfria

Angesagt waren heute sehr, sehr harte 31 Km und 8 Stunden Aufstieg bis auf 1378 m Passhöhe. Aber beginnen wir von vorne: Langsam und stetig geht es am frühen Morgen vor sieben Uhr bergauf nach Vega de Valcarce. Über der Stadt thront das Castillo de Sarracin, eine zum Templerorden gehörende Burg. Mich, als gebürtigen Aachener erfreute, dass schon einmal ein Mitbürger der Stadt Aachen hier übernachtete. Auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung nächtigte hier Kaiser Karl der Große. Ohne mir über meinen berühmten Aachener Mitbürger Gedanken zu machen, muss ich weitergehen. Das Wetter meint es gut. Es ist zwar etwas windig, aber man kommt gut voran. Bis Fonfria sind es noch 23 Km und drei Bergpässe. Hier in diesem Bereich des Jakobsweges stehen viele Herbergen. Da die kommenden Wege schwierig werden, machen viele Pilger hier einen Übernachtungsstopp, um am nächsten Tag frisch und ausgeruht die Pässe zu überqueren. Ich gehe weiter durch den 25 Seelen Ort Ruitelan, wo hinter dem Ort das Unternehmen Jakobsweg ernst wird, es wird steil, sehr steil. (Ich erinnere mich an das Lied von Xavier Naidoo: Dieser Weg, wird kein leichter sein, dieser Weg ist steinig und schwer und singe es vor mich hin. Bevor es steil ansteigt, trinke ich morgens auf der Terrasse einer Bar vor dem Anstieg im Sonnenschein zwei Tassen Café con Leche und esse etwas. Fit gehe ich nun den steilen Weg durch Wald und Wiesen. Nach gute eineinhalb Stunden erreiche ich La Faba auf etwa 920 Meter Höhe. Hier in La Faba ist eine sehr schöne Herberge, die von deutschen Hosteleros betreut wird. Auf meinem 2. Weg habe ich hier übernachtet, weil Pilger, die ich auf dem Weg getroffen habe, sagten, es sei ein " Muss" hier zu übernachten. (Erlebnisse in La Faba später) Von hier aus muss ich noch ca. 400 Höhenmeter, also auf 1378 Meter Höhe kraxeln. Weitere eineinhalb Stunden später erreicht man über Pfade, Wald- und Feldwege die Grenzsteine der Provinz Leon und Kastilien. Hier enden die Provinzen und ab dieser Grenzmarke beginnt die Provinz Galizien, mit dem ersten kleinen Ort O Cebreiro. Hier geschah der Legende nach das Wunder von O Cebreiro. Ein frommer Bauer schleppt sich zur Messe in der Kirche von O Cebreiro, wo ein an Gott zweifelnder Mönch die Messe zelebriert und während der Eucharistie wandelt sich die Hostie in Fleisch und der Messwein in Blut Christi. Dieses soll im Jahr 1300 geschehen sein. (Genau nachzulesen im Internet "Das Hostienwunder von O Cebrero").
Weiter über den 1378 Meter hohen Pass gehe ich bergauf, bergab zum Pass San Roque, wo auf der dem Weg gegenüberliegenden Straßenseite das berühmte und bekannte Pilgerdenkmal des Pilgers, der sich gegen den Sturm und Wind stemmt, auf 1270 Meter Höhe steht. Nur kurz verweile ich hier für ein Photo, weil es wirklich sehr windig ist und ich keine weitere Entzündung in meinen Ohren riskieren möchte. Weiter, immer weiter geht es mal bergauf, mal bergab und dann wieder sehr steil bergauf zum Alto do Poio. Auf diesem Steilstück, einem Schotterweg aus dem Mittelalter zur Höhe des Alto do Poio, habe ich mich total verausgabt. Am Ende der Kletterei, die mir sehr lange vorkam, begann ein Hohlweg und wiederum am Ende des Hohlweges blickte man auf eine Bar mit Terrasse, die im Sonnenschein lag. Sehr ausgelaugt und erschöpft setzte ich mich dann im Schatten eines Sonnenschirms auf diese Terrasse, als am Nebentisch eine junge Dame mir den Rat gab, ein Bier mit Zitronenlimonade zu trinken. Das wäre gut für den Mineralienhaushalt. Ich hätte alles getrunken und jedem alles geglaubt, erst recht dieser 25 Jahre alten spanischen Architekturstudentin Elvira, die mich so herzlich anlachte und Mitleid mit mir hatte. Alle diese Details von Elvira habe ich erst wesentlich später erfahren, denn auf dieser Terrasse machten wir nur einen "small talk" und Elvira ging bald den Camino weiter, während ich noch zwei Gläser von diesem hervorragenden "Mineralienhaushaltsaufbesserer" zu mir nahm. Ab sofort war Bier ein Mineralienhaushaltsaufbesserer und alle, die es tranken, schworen darauf, dass es gut für alle Pilger sei.
Nach circa einer halben Stunde Regeneration ging es weiter, im Bewusstsein, die höchste Stelle erreicht zu haben und das es jetzt nur noch leichter werden konnte. Ich ging noch etwa eine Stunde nach Fonfria und hoffte hier Elvira wiederzutreffen. Wie ich bald erkannte, war sie noch ein Refugium bis nach Tricastela weitergegangen. An diesem Nachmittag lernte ich hier in Fonfria dann Sara, eine Hamburger Ärztin und Detlef, einen Pilgerbekannten von ihr, kennen. Wir saßen auf der Terrasse der Albergue A Reboleira und tranken Kaffee und Cola. Abends um 20.00 Uhr aßen wir in einem Restaurant in der Nähe gemeinsam an einem mit Polen, Italienern, Franzosen, Spaniern und uns vier Deutschen international besetzten großen Tisch. Das für alle einheitliche Menü bestand aus vier Gängen, eine Gemüsesuppe vorab, als nächstes Möhren, Erbsen und Pilze, dann Kartoffeln mit Schweinegulasch und zum Schluss Santiago Kuchen. Dieser Tatra de Santiago oder Galizische Mandeltorte ist ein einfacher, trockener Kuchen. Traditionsgemäß wird die Oberfläche mit Puderzucker bestäubt und das Kreuz der Jakobsritter ausgespart. Das heißt, eine Schablone des Kreuzes lässt keinen Puderzucker auf die Oberfläche des Kuchens, so dass das Kreuz sehr plastisch wirkt. Wir tranken Wein und unterhielten uns bis 22.00 Uhr, gingen dann zur Herberge zurück. Es waren heute über 30 harte Kilometer und das Bett rief wie immer.
Nachzuholen habe ich noch die Erlebnisse in La Faba auf meinem 2. Jakobsweg. La Faba ist ein kleiner Ort auf 930 Meter Höhe. Die Bewohner haben den Ort verlassen, wie man überall in Spanien die Landflucht in kleinen Orten erkennen kann. Im Jahr 2000 hatte der Ort nur noch 13 Einwohner, jetzt aber wieder mit steigender Tendenz. Dafür ist hier eine der schönsten, von deutschen Hospitaleros ehrenamtlich und bestgeführten Herbergen am Jakobsweg. Einige sagten, diese Herberge sei ein Paradies unter den Herbergen. Hier habe ich die Schweizerin Andrea kennengelernt. Andrea, 22 Jahre alt, hat mich gelehrt, was Tierliebe ist. Die folgende Geschichte ist wahr. In Galizien, nicht weit vor Santiago de Compostela streunte ein Hund, ein Schäferhundmischling, würde ich nicht abwertend sagen, etwa um zwei Jahre alt. Als er Andrea sah, kam er auf sie zu, beschnupperte sie, und lief immer hinter Andrea her. Er hat sie so mit seinen traurigen Augen berührt, dass sie Fressen für ihn kaufte und der Hund es mit Treue und Anhänglichkeit dankte. Sie nannte ihn QUE PASA, was soviel heißt wie "was ist los". Andrea ging weiter, Que Pasa immer hinter ihr her. Sie kam nach Santiago, Que Pasa auch. In den Herbergen dürfen keine Tiere mitgenommen werden, Que Pasa wartete die ganze Nacht vor der Herberge bis Andrea morgens heraus kam und lief wieder mit ihr weiter. Als die Zeit der Heimreise kam, hätte der Hund nicht mit auf die Flugreise in die Schweiz gedurft. Que Pasa musste zum Arzt, alle Impfungen und Ausreisebestimmungen erfüllen, sowie vier Wochen Quarantänezeit nach dem Arztbesuch erfüllen. Andrea war berufstätig und hatte einen anspruchsvollen Job in der Schweiz. Die Liebe zu Que Pasa war größer, sie kündigte den Job und pilgerte jetzt den Weg mit Que Pasa zurück in die Schweiz . Hier in der Herberge hatte man großes Verständnis für Andrea und sie bekam einen Raum zugewiesen, in dem sie mit Que Pasa schlafen konnte. Als ich Andrea mit einem Gefühl der Bewunderung und Hochachtung in den Arm nahm und sie mich umarmte, flossen mir Tränen der Rührung über die Wangen. Es war das erste bewegende Erlebnis in La Faba.
Das nächstes Erlebnis war die Abendandacht in der alten Kirche bei der Herberge. Wir waren etwa fünfzehn Pilger in der kleinen Kirche. Die Messe fand unter dem Motto "Frieden" statt und wurde von einem Mönch, der aus dem nahe gelegenen Kloster kam, zelebriert. Zunächst wurde über den Sinn des Pilgerns ein Referat gehalten. Am Ende sagte der Predigende: "Ihr seid das Salz der Erde", und reichte jedem eine Prise Salz auf einem Stück Brot. Danach sprach er: "Ihr seid das Licht", jeder bekam eine Kerze und entzündete sie am "Ewigen Licht" in der Kirche. Die Kerze behielten wir bis zum Ende der Andacht entweder in der Hand oder stellten sie vor uns ab. Vor dem Altar wurde eine Stuhlreihe mit einem Stuhl für jeden aufgestellt und wir setzten uns im Halbkreis um den Altar. Der Mönch referierte über Demut, Hochmut, Gott und Kirche. Demut bedeutet Gottes Anerkennung durch den Menschen, aber auch eine innere Einstellung des Menschen zu Gott und eine Einstellung des Menschen zu seinen Mitmenschen.
Eine Demonstration von Demut zelebrierte der Mönch, indem er sich vor uns kniete und allen Pilgern die Füße mit Wasser und Seife wusch. Es war schon sehr emotional und brachte uns zum Nachdenken über das besprochene Thema Demut und Hochmut.
Der Höhepunkt folgte, indem jeder, der wollte, eine emotionale Geschichte aus seinem Leben oder ein Ereignis vom beziehungsweise auf dem Jakobsweg erzählen sollte. Wir standen vor dem Altar und viele von uns erzählten ihre Geschichten. Fast alle Erzähler, aber auch viele von uns Zuhörern brachen emotional in Tränen aus. Danach standen wir auf, bildeten einen Kreis und nahmen uns in die Arme. Dieses geschah an diesem Abend einige Male, es waren einige sehr bewegende Ereignisse dabei. Manche traurige Geschichten hatte ich eben gehört und einige Male standen mir Tränen in den Augen.
Jetzt war ich an der Reihe, meine Geschichte zu erzählen. Vor den Pilgern stehend, erzählte ich meine Jakobswegfreundschaft mit dem südkoreanischen Priester, der mir erst kurz vor Santiago, also am 23. Tag beziehungsweise 19 Tage später mitteilte, das er Priester sei. Wir hatten uns am 4. Tag auf meinem Weg kennengelernt. Ich ging wesentlich schneller als er, dafür ging er abends länger und zeltete irgendwo in der Natur. Wir trafen uns jeden Tag, gingen täglich plaudernd lange Zeit zusammen. Wir hatten viele Themen, sprachen über Politik, das Leben, über Gott und die Welt. Meine Einladung mit in einer Herberge zu übernachten, lehnte er ab. Ich erzählte die Geschichte von diesem, meinem Priester und vom Abschied in Santiago de Compostela. Hier hatte mein Pilgerfreund die Pilgermesse in der Kathedrale am Hauptaltar mit zelebriert und einer der bewegendsten Momente auf dieser Pilgertour erlebte ich am Ende dieser Messe. Die 18 an der großen Messe teilnehmenden Priester gehen in Zweierreihen geordnet vom Altar zur Sakristei. Als mein südkoreanischer Priester mich im Vorbeigehen in der Menge sieht, schwenkt er aus der Reihe aus, kommt zu mir, umarmt und drückt mich ganz fest und sehr lange an sich. Ich drücke ihn auch. Sagen konnten wir beide nichts. Ich hatte einen Kloß im Hals und wir hatten beide Tränen der Rührung und Freude in den Augen. Die anderen Priester waren schon lange in der Sakristei, wir verabredeten uns für nachmittags, bevor er hinterher ging. Dieses war heute nicht die letzte Begegnung mit ihm. Nach der Messe ging ich noch etwas durch die Altstadt von Santiago, probierte den trocknen Santiagokuchen, den es zum Kosten gratis vor vielen Läden gibt und schlenderte durch die Gassen. Es war etwa 15:00 Uhr als er mich sah, mich von hinten umarmte und mir erzählte, das er eine Depesche aus der Heimat erhalten hat und er müsse jetzt sofort Heim fliegen. Wir standen uns gegenüber und dicke Tränen flossen uns beiden über die Wangen. Wir hatten beide das Gefühl, einen Freund gefunden zu haben und ihn wieder zu verlieren. Er sagte mir, wie gerne er sich mit mir unterhalten habe und wie gut ihm meine Meinung zu einigen Dingen getan hätte. Manchmal fügten wir unserem Englisch die Gebärdensprache hinzu oder benutzten den Handyübersetzer bei unseren häufigen Gesprächen.
Wir sagten, wir werden uns bestimmt nie mehr wieder sehen, aber wir werden oft aneinander denken und wünschten uns gegenseitig nur das Beste, für jeden in seiner Art. Er wollte mich häufig in seine Gebete einbinden. Und wieder rollten dicke Tränen über unsere Wangen und wir schluchzten inmitten des regen Treibens in Santiagos Straßen.
Wieder mit ihm und den anderen Pilgern, mit denen ich durch die Stadt schlenderte, bildeten wir einen Kreis, umarmten uns und ich sah auch die anderen weinen. Wir hatten heute alle sehr nah am Wasser gebaut.
Noch eine unglaubliche, aber wahre Geschichte erzählte mir Inge. Sie war weit über 70 Jahre und schon sehr lange Witwe. Als sie irgendwann im Sommer schwer an Krebs, der Volkskrankheit Nummer eins erkrankte und die Diagnose war, sie würde Weihnachten nicht überleben, wollte sie den Jakobsweg noch einmal gehen. Gesagt, getan, ging sie den Jakobsweg und ihre Krankheit wurde besser und besser und wurde letztendlich fast geheilt. Inge schwor, für jedes ihrer Kinder den Jakobsweg einmal zu gehen und sie hatte 5 Kinder, also ging sie den Jakobsweg fünf Mal in ihrem hohen Alter. Inge engagierte sich als ehrenamtlicher Hostalero am Jakobsweg, hielt Vorträge in Altersheimen und arbeitete in Israel in einem Schwerstbehindertenheim. Von ihrer Krankheit war bis zu jenem Abend nichts mehr zu spüren. Sie war für mich auch eine Heldin auf dem Jakobsweg.


22. Tag Fonfria nach Sarria

Bei Dunkelheit in aller Herrgottsfrühe ging ich in Richtung Tricastela, zuerst neben der Straße de Weg entlang, dann über Pfade und schmalen Teerstraßen durch kleine, alte Ortschaften. Da Fonfria 1300 Meter hoch liegt, sind die vom Hochnebel bedeckten Täler und die Orte in den Tälern nicht zu erkennen. Du gehst und bei der morgendlichen Dunkelheit meinst du, ein riesiges Meer tut sich vor und unter einem auf und die in der Ferne aus den Wolken ragenden Bergspitzen sind nur schemenhaft zu erkennen, es könnten auch Inseln in einem Ozean sein. Bei aufgehender Sonne färbt sich alles in ein am Anfang dunkles und immer heller werdendes Rot, bis die Helligkeit durchbricht und die tiefer gelegenen Landschaften durch den Hochnebel wie mit Zuckerwatte zugedeckte Täler aussehen. Es ist ein herrlicher Eindruck, den man sonst nie erlebt, unbeschreiblich schwer diese Naturschönheit in Worte zu fassen, die ich an diesem Morgen erleben durfte. Allein dafür hat sich der Anstieg am Vortag gelohnt. Früh morgens, der Dunst hatte sich noch immer nicht aufgelöst, erreichte ich Tricastela und wählte den Weg über San Xil nach Sarria. Bis San Xil geht es zunächst 100 Höhenmeter bergan und dann 300 Höhenmeter bergab. Weiter geht es über Wege und Pfade durch eine wunderschöne Landschaft und mit vielen kleinen Ortschaften, immer bergauf und bergab. Was mir in diesen kleinen Ortschaften und in allen Orten in ganz Galizien auffällt: ich habe noch nirgendwo auf dieser der Welt - und ich bin schon viel herum gekommen - so viel mit Kuhfladen verdreckte Dorfstraßen gesehen, wie hier. Ich habe den Eindruck, nachts sind die Straßen hier die Kuhställe. Bei regnerischem Wetter hast du hier die reinsten Rutschbahnen und bei trockenem Wetter läufst du einen regelrechten Kuhfladenslalom, um die Schuhe einigermaßen sauber zu halten. Ich glaube, jeder Kleinbauer hat hier eine große Anzahl Kühe, aber warum sind die im August nicht auf der Weide? Werden die etwa jeden Abend zum Melken in den Stall geholt? Ich weiß es nicht.
Auf dem Weg von San Xil nach Calvor kam ich in eine Nebelbank, in der es sehr kühl wurde und der Nebel, der die Äste der Bäume benässte, ließ es praktisch unter den Bäumen regnen. Kälte und Nässe wurden innerhalb von Minuten abgelöst von Sonne und Hitze. Von einer Minute auf die andere endete der Nebel als wir auf eine Höhe von etwa 500 Höhenmetern kamen. Danach wurde es richtig heiß und ich musste den Vliespullover ausziehen und zog ein T-Shirt an. Die Wegweiser zeigen nur noch 120 Km nach Santiago de Compostela und jetzt bekommt man das Gefühl, es schnell und 100 Prozent zu schaffen. Komme was wolle.
In Sarria angekommen, gehe ich die große Steintreppe empor und komme auf der Hauptstraße weitergehend zur Albergue Don Alvaro. Es ist eine schöne, private Herberge mit Kaminzimmer, in der es abends beim Kaminfeuer kostenlos einige Flaschen verschiedene, einheimische, selbst gebrannte Fruchtschnäpse zur Verkostung gab. Nach mir erreichten auch Sara, ihre Begleiterin Julien, beide Ärztinnen aus dem Norden Deutschlands und Detlef, der Jakobswegbegleiter, die Herberge. Wir hatten einen gemeinsamen Raum mit 12 Betten. Sara sah mich auf meinem Bett sitzen und fragte, ob sie ein Foto von mir machen dürfte. Das Motiv "der müde Pilger, der auf seinem Bett saß und ziemlich fertig und erschöpft war", wie sie sagte.
Als sie mir das Foto auf dem Display ihrer Digitalkamera zeigte, erschrak ich mächtig. Ich war dünn geworden und glich einem Unterernährten, den man oft auf Werbungen für Geldsammlungen zur Linderung der Not in der dritten Welt sah. Sofort ging ich zur Apotheke und wog mich. Oh Schreck, ich wog angezogen nur noch 79,8 Kilogramm. Das waren über 8 Kilogramm weniger als beim Abflug in Deutschland und da hatte ich schon einige Kilos durch tägliches Training abgenommen. Ab jetzt war gut und viel essen angesagt. Es war ein Gefühl, dass ich schon einige Jahre nicht mehr kannte, ab jetzt esse ich was ich will und soviel ich will. Mehrere Jahre, seitdem ich bei einem Ernährungsberater war, esse ich kontrollierter, zuerst um einige Kilo abzunehmen und dann um das Gewicht zu halten. Ab sofort trinke ich auch mal Limo und Cola. Ich hab ja was zuzulegen. Gutes Feeling. Ich begann sofort an diesem Tag mit meinem "Mastprogramm". In meinem Tagebuch steht: Ich aß Hartwurst, Thunfischsalat, Käse, Oliven und trank eine ganze Flasche Rotwein alleine. Und das am späteren Abend nach der Schnapsverkostung - bei der ich mich zurück gehalten hatte. Es waren nur ein paar Gläschen, die ich nur halb gefüllt habe. Froh und glücklich ging ich in unser Zimmer und schlief bald ein, ohne die anderen Zimmermitbewohner zu hören, die viel später nach mir ins Zimmer kamen.


23. Tag Sarria über Portomarin nach Gonzar

Heute habe ich nach den gestrigen alkoholischen Schlafmitteln fest bis 6.00 Uhr durchgeschlafen. Sehr günstig war in der Bar neben der Albergue das Frühstück für Pilger. Nur € 2,- bezahlte ich für eine Tasse Café con Leche, ein halbes frisch getoastetes Baguette, Butter und Marmelade. Nach dem Frühstück sind wir zu sechst, unter anderem mit Sara und Julia zusammen abmarschiert. Es ging durch Nebelschwaden eine größere Strecke bergauf und wir gingen zügig etwa drei Stunden zusammen. Nach einer weiteren Tasse Kaffee auf dem Weg hinter Ferreiros haben wir uns getrennt, da die beiden Damen nur bis Portomarin gehen wollten, ich hatte heute acht Kilometer weiter bis nach Gonzar ins Auge gefasst. Nach etwa vier Stunden seit Sarria, immer leichtem bergan, kam ich kurz vor Ferreiros an den Kilometerstein, an dem es noch 100 Km bis Santiago de Compostela waren. Den Stein, der sehr mit Graffiti und Schmierereien verunstaltet war, fotografierte ich nicht, auch des großen Andranges wegen. Es waren viele Pilger aus aller Herren Länder, die diesen Stein im Bild festhalten wollten. Wie ich hörte, hat man sich sowieso um einige Kilometer vermessen, es sind ab hier noch 5 Kilometer mehr nach Santiago. Portomarin sieht man schon sehr früh auf dem abschüssigen Gelände fern unten im Tal liegen, aber der Weg zum Ortskern zieht sich noch ewige eineinhalb Stunden hin, bis man die Brücke überquert und über eine breite, vielstufige Treppe den Stadtkern erreicht. In einem Supermarkt auf der Hauptstraße, auf der alle Bürgersteige von Arkaden überdacht waren, kaufte ich heute nur Obst, weil ich in den letzten zwei Tagen keines gegessen hatte. Ich brauchte mal wieder Vitamine. Dann ging ich weiter zur Iglesia San Nicolas, setzte mich der Kirche gegenüber auf eine Bank im Schatten und verzehrte das Obst. Eine Stunde später ist Abmarsch, die beiden Damen waren noch nicht angekommen und ich musste noch einige Kilometer gehen. Eigentlich wollte ich sie überreden, weiter mit mir zu gehen. Die beiden waren sehr schnell unterwegs, ist aber auch kein Wunder, da Sara Halbmarathon läuft und sehr viel trainiert. Julia hatte ebenfalls eine sportliche Statur und eine super Kondition. Beide müssen neben ihrem Beruf als Ärzte noch irgendwelche Sportarten ausführen, um so fit zu sein. Schade, sie müssen getrödelt haben, da ich sie heute nicht mehr sah.
Da Portomarin in einem Flusstal, beziehungsweise an einem künstlich errichteten Stausee liegt, ging es in Richtung Hospital de la Cruz wieder etwa 300 Höhenmeter bergan. Der Weg, mal Schotter, mal Asphalt, verläuft immer parallel zur Landstraße, es ist heiß und kein Schatten. Es fehlen einfach Bäume an den Wegen, die etwas Schatten spenden könnten. Die Landschaft ist sehr schön, vergleichbar mit der Eifel in Deutschland. Es ist sehr grün, Eichen- und Tannenwälder wechseln sich ab mit grünen Weiden. Hier und dort mal ein Bauernhof oder ein Haus. Von Portomarin erreiche ich nach zwei Stunden die private Herberge von Gonzar. Sie war mit nur drei Personen belegt. Es ist eine gute, private Herberge, in der man zu Abendessen kann und die eine nette Bar im offenen Hof hat. Die Sanitärräume sind neu und ich habe mich wohl gefühlt.
Beim Abendessen habe ich dann Heidi, sie kommt aus dem Osten Deutschlands, ist 20 Jahre alt und beginnt ihr Studium als Tierärztin nach der Rückkehr vom Jakobsweg, wieder getroffen. Später am Abend kommt die Spanierin Elvira, nach einem Spaziergang in die Herberge. Sie gab mir vor einigen Tagen den Tipp, als ich erschöpft war, Bier mit Zitrone zur Minalienhaushaltsaufbesserung zu trinken. Das ist ein spanischer Geheimtipp. Elvira trinkt mit uns heute Abend noch ein, zwei Gläschen Wein. Sie ist in der Herberge der galizischen Landesregierung und die ist bis auf den letzten Platz belegt. Häufig ist es der Fall, das viele Pilger, vor allem junge Leute und Studenten, aus finanziellen Gründen keine privaten Herbergen nehmen. Städtische, kirchliche oder Herbergen der Landesregierungen sind entweder kostenlos, gegen eine freiwillige Spende oder kosten maximal drei bis fünf Euro. Ein Beispiel hier in Gonzar: die private Herberge in die ich eingekehrt bin kostet acht Euro für die Übernachtung, die Herberge der Landesregierung, wie überall in Galizien, nur drei Euro, die Gebühr wird aber dieses Jahr zum ersten Mal erhoben. Bisher war Übernachten in diesen Herbergen immer frei, gegen freiwillige Spenden hatten diese jedoch nichts einzuwenden bzw. waren gerne gesehen, um Reparaturen durchzuführen.
Meine Devise auf dem Jakobsweg war immer, wenn es noch alternativ zu den städtischen Herbergen private Pilgerherbergen in Orten gab, nehme ich diese. Erstens, um jungen Leuten, die günstige Schlafgelegenheit nicht zu nehmen und zweitens, weil die Schlafsäle, die meistens genau so viele Betten hatten wie die städtischen, meist nur zu fünfzig bis sechzig Prozent belegt waren. Elvira, Heidi und ich plauderten noch eine Stunde miteinander, dann war unser Wein alle, es wurde kühler und wir verabschiedeten uns von Elvira, die zur städtischen Herberge ging. Seit dem Weg nach Fonfria am 21. Tag habe ich Elvira schon viermal getroffen und wir sind einige Kilometer zusammen gegangen. Ich finde sie so nett und sie ist schlau, dass ich sie mir als Schwiegertochter wünschen würde, denn sie sieht auch noch super gut aus. Sie hat einen spanischen Akzent in ihrer englischen Sprache, dass ich immer klammheimlich schmunzeln musste, wenn wir uns unterhielten.


24. Tag Gonzar nach Melide

Nach einem starken Anstieg bis Hospital da Cruz in die Sierra de Ligonde gab es heute morgen bis nach zehn Uhr starken Nebel und als die Nebelbänke sich auflösten, kam eine drückende Schwüle. Irgendwo in der Nähe von Palas de Rei stand eine alte Bäuerin vor ihrem Bauernhof und winkte ich solle zu ihr kommen. Sie gab mir eine Schale mit Früchten, Brombeeren, Himbeeren und eine Tomate. Ich wollte die Früchte erst nicht annehmen, da ich an diesem Morgen leichte Magen- und Darmprobleme hatte, sie bestand aber darauf. Also nahm ich sie, wollte ihr einen Euro geben, weil ich ein paar Kilometer vorher einen Stand gesehen hatte, an dem die Schalen für einen Euro verkauft wurden. Fast böse gab sie mir den Euro zurück. Ich bedankte mich artig und gerührt. Bald zeigte sie mit dem Zeigefinger zum Himmel, der von Westen her ziemlich dunkel wurde und sie machte die Geste von Regen und Donner. Zehn Minuten ging ich noch immer mit meiner Schale in der Hand, als ich mich seitwärts in die Büsche schlagen musste, es war die Rache des Montezuma, es waren Magen und Darmprobleme. Dazu kam, daß Regen, Blitz und Donner in aller Heftigkeit einsetzten. Die Schale, die ich auf einer Astgabel abgestellt hatte, kippte und alle Früchte lagen auf dem Waldboden. Zum Aufsammeln hatte ich bei dem Regen keine Zeit mehr. Schade um die Früchte. Schnell zog ich den Regenponcho an, ging zum nächsten Haus in 500 Meter Entfernung, in dem die Bewohner nicht zu Hause waren und stellte mich einfach in einem Schuppen unter.
Vielleicht eine halbe Stunde dauerte der starke Regen beziehungsweise das Gewitter, als es dann weniger tropfte, ging ich weiter. Wenn der Regen stärker wurde, stellte ich mich wieder unter, wenn er nachließ ging ich weiter. Das ging eine ganze Weile so. Der Jakobsweg hätte heute ohne Regen viel Freude gemacht. Es waren gute Hohl- und Schotterwege durch eine wunderbare Landschaft. Pinien, Birken, Kiefern und Esskastanien wechselten sich ab. In meinem Tagebuch steht Folgendes: Die mit Kuhdung verschmutzten und weniger guten Wege, die mit vielen großen Steinen übersät waren, verlangten die gesamte Aufmerksamkeit. Der Regen tat ein Übriges, es war glatt wie auf einer Eisbahn. Das Wetter hier ist völlig anders als bisher. Man spürt die Nähe des Meeres. Es wird jetzt drückend warm und schwül im Gegensatz zur trockenen Hitze auf den Hochebenen. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, besonders nach dem Regen. Wir werden noch viel Regen bekommen, sagen die Einheimischen. Und dies traf auch zu.
Nachmittags treffe ich bei trockenerem Wetter in Melide ein. Bei Erreichen des Zentrums komme ich an einigen Pulpeiras (was eine Pulpeira ist wird noch erklärt) vorbei und freue mich jetzt schon auf das Abendessen. Ich erreiche beim Durchqueren der Stadtmitte die Herberge der galizischen Regierung. Nachdem ich mein Quartier bezogen und mich umgezogen hatte, ging ich zur Ortsmitte und sah auf dem Plaza Mayor eine aufgebaute Bühne, auf der heute Abend eine Musikveranstaltung stattfinden sollte. Ich wurde von einem italienischen Ehepaar mit ihrer 12-jährigen Tochter, die ich bereits am 14. Tag in Calzadilla de la Cueza am Swimmingpool vor der Herberge kennenlernte und immer wieder unterwegs traf, zum Pulpoessen eingeladen. Als ich sie in der Stadt traf, sagte ich das Essen ab, da ich die Musikveranstaltung sehen wollte. Folglich ging ich in die Pulperia Ezequil und aß eine Pulpo a feira, eine Spezialität von Melide und wie mir Elvira später sagte, es ist die beste Pulpo von Spanien. Pulpo ist eine große Krake, die gekocht, anschließend auf einem Holzteller portioniert und mit Gewürzen, Olivenöl und groben Salz serviert wird. Das Geheimnis liegt in den Gewürzen. Es schmeckt einfach köstlich. Brot und Rotwein gehören dazu und das Ganze kostete € 16,-. Es ist eine Köstlichkeit für denjenigen, der es mag und das für ganz kleines Geld.
Die Location liegt am Jakobsweg, der hier die Hauptstraße Ctra. de Santiago a Gunti in Sarria erreicht. Als ich genüsslich mein Gericht aß, kam Elvira vorbei gewandert. Es war bereits 18:00 Uhr und sie war auf dem Weg zur Herberge. Sie sah mich, setzte sich zu mir und speiste ebenfalls eine Pulpa. Im Gespräch erzählte ich ihr von meinen Gedanken am Vorabend, als ich mir wünschte, solch eine Frau wie sie als Schwiegertochter zu haben. Sie schaute mich mit ihren großen, braunen Augen an und langsam traten vor Rührung dicke Tränen in ihre Augen. Warum kann ich nicht sagen, aber bei mir kullerten auch ein paar Tränen. Wir lachten anschließend noch viel, verabredeten uns zum Musikevent auf dem Hauptplatz an diesem Abend und gingen gemeinsam zur Herberge. In der Herberge angekommen, bekam sie den letzten freien Platz und ich wollte auf der Bank vor der Herberge auf sie warten, um mit ihr zur Veranstaltung zu gehen. Hierzu kam es nicht, denn innerhalb von Minuten zog sich der Himmel zu und es gab ein Gewitter, wie ich es nur am Gardasee in Italien schon erlebt hatte. Es hagelte hühnereigroße Hagelkörner in solcher Menge, dass innerhalb von Minuten alles weiß wie in einer Winterlandschaft aussah. Alles war Zentimeter dick mit Eishagel bedeckt. Wir standen mit einigen Leuten auf der überdachten Terrasse zur Straße, beobachteten das Unwetter, als Lesch, ein polnischer Cartoonzeichner, der international bekannt ist und Auftragsarbeiten in ganz Europa macht, zu uns trat. Er lehnte sich mit dem Oberkörper über ein Geländer, um den freien Himmel zu sehen, und zu schauen, ob es aufhellte. Just zu diesem Zeitpunkt geschah, das ein dicker Eisbrocken ihn am Hinterkopf traf und sofort eine dicke Beule entstand. Na ja, was machen? Wir hoben dann einige Eisbrocken auf, packten sie in ein Taschentuch und er kühlte damit seine Beule. Lesch hatte ich zuvor und auch nachher häufiger getroffen, wir sahen uns immer wieder, so auch in Santiago, in Fenisterre und in Muxia und am Ende des Weges wieder in Santiago, wo wir gemeinsam ein Zimmer in einer Pension bewohnten. Elvira habe ich nicht mehr gesehen. Sie ging schlafen als der Regen einsetzte und die Musikveranstaltung ins Wasser fiel. Es regnete und blitzte die ganze Nacht.
Wie man in diesem Bericht häufig liest, treffen sich oft immer die gleichen Leute. Es sind die Leute, die in etwa immer gleiche oder ähnliche Kilometer am Tag zurücklegen. Einmal geht der eine, ein anderes mal der andere ein paar Kilometer mehr oder weniger. Irgendwann trifft man sich dann wieder, geht ein Stück des Weges miteinander und verabschiedet sich wieder


25. Tag Melide nach Pedrouzo / Arco do Pino

Ich habe nachts schlecht geschlafen. Dauernd krachten Donner und Blitze über die Herberge. So erging es vielen, das merkte man an der Unruhe, die diese Nacht herrschte. Alle wälzten sich in ihren Betten und kaum dusselte man ein, als ein erneuter Blitz und Donner wahnsinnig laut einschlug. Das Zentrum des Gewitters war einige Stunden lang immer in der Nähe. Die Entladungen schienen immer nur innerhalb drei Kilometer Entfernung zu sein. Am frühen Morgen ließ das Gewitter langsam nach und es regnete nur noch.
Ich marschierte im leichten Regen morgens vor sieben Uhr los, mit Regenponcho vor Regen geschützt. Es war stockdunkel. Am Stadtausgang warteten einige Pilger, um in einer größeren Gruppe mit mehreren Taschenlampen zu gehen. Dieses ist bei Dunkelheit klüger und einfacher als alleine den Weg zu suchen und dieses Warten auf andere habe ich schon ein paar mal erlebt. Wir waren jetzt 8 Personen und starteten. Ein großer Lichtkegel aus mehreren Taschenlampen wies uns den Weg. Kaum waren wir aus der Stadt, als es schlimmer regnete und wieder stärker gewitterte. Dieses Wetter hielt vier Stunden an. Es war ein stetes bergauf und ab, bei trockenem Wetter wahrscheinlich ein leichter Weg, bei Regen aber ein dauerndes Ausweichen von Pfützen, Kuhfladen und glatten Steinplatten. Auf den Waldwegen waren riesige, knöcheltiefe Pfützen, die von der rechten zur linken Böschung reichten, so dass man zum Teil Umwege durch Wald und Feld machen musste.
Es war wettermäßig der schlechteste Tag bis heute, trotzdem bin ich 33 Kilometer gelaufen, mit Umwegen bestimmt noch 2 Kilometer mehr. Unterwegs traf ich immer wieder Heidi und wir sind die letzten zehn Kilometer, auf denen es allmählich aufhörte zu regnen und trockener wurde, zusammengegangen. Wir waren so schnell, dass wir schon um 15.00 Uhr in der landeseigenen Herberge von Pedrouzo eintrafen. Als erstes haben Heidi und ich einen Kaffee getrunken und anschließend bin ich in die Herberge gegangen. Beim Ausziehen der Schuhe und Strümpfe stellte ich fest, dass kein Tropfen Wasser durch meine Schuhe gesickert war, meine MEINDL waren wasserfest, obschon ich oft Pfützen gar nicht ausweichen konnte. Es sind sehr, sehr gute Schuhe, meine MEINDL. Keine Blasen, keine Scheuerstellen, nur die Einlagen, die teurer als die Schuhe waren, taugten nichts. Die musste ich immer wieder unterfüttern, um keine Nerven- oder Sehnenschmerzen in meinen Hohl-Senk-Spreiz-Füßen zu bekommen.
Da ich das Gefühl hatte, noch weiteres Gewicht abgenommen zu haben, ging ich in die Apotheke und wog mich: 78,5 Kilogramm. Wieder hatte ich ein Kilo abgenommen, trotz reichlicher Ernährung. Dieses Gewicht hatte ich zuletzt, als ich Mitte zwanzig war. Seit der Abfahrt in Deutschland hatte ich mehr als neun Kilo abgenommen, ich war leicht wie eine Feder, ich fühlte mich körperlich und gesundheitlich fit und sehr gut.
Bei Erreichen des Ortes hatte ich auf Werbeplakaten gelesen, dass an diesem Samstag ein Auto-Slalom-Rennen stattfand. Also ging ich dort hin und sah mir das Spektakel an. Interessant, aber nicht umwerfend. Es war mehr eine Gaudi für die Jungens aus der Umgebung mit ihren Karren. Abends begann ich mit der Mästung, die ich mir wegen meines geringen Gewichtes vorordnete. Ich aß zuerst einen Hamburger, anschließend ein Stück gebratenen Hecht, French Pommes mit zwei Eier überbacken und doppelt Ketchup-Mayonnaise. Satt und voll, heute war es zu viel, ging es bei schlechter werdendem Wetter und wieder einsetzendem Regen zur Herberge. Schlaf war angesagt. Morgen sollte es in aller Frühe losgehen. Das Ziel war ganz nahe.


26. Tag Pedrouzo (Arcodo Pino) nach Santiago de Compostela

Es ist Ende August. 25 Tage war ich jetzt unterwegs.
Heute soll es ein großer Tag werden. Ich werde in Santiago de Compostela ankommen. Noch vor 5.00 Uhr am Morgen bin ich aufgestanden, als erstes ging ich aus der Herberge heraus auf den Vorplatz und habe nach dem Wetter geschaut, da sich am Abend vorher schlechtes Wetter ankündigte.
Es war stockdunkel und Nieselregen verdunkelte das Licht der Straßenlaternen. Ich absolvierte meine Morgentoilette, holte alle Anziehsachen und den Rucksack aus dem Schlafsaal und deponierte die Sachen im großen Aufenthaltsraum. Hier konnte ich mich ruhig, ohne die anderen zu stören, anziehen. In diesem Raum war ich noch alleine zu der frühen Zeit.
Fertig angezogen, schulterte ich den Rucksack und darüber den plastifizierten Poncho. So ging ich regenfest zum Abmarsch hinaus. Als ich den Vorplatz wieder betrat, hatte der Nieselregen aufgehört. Also Poncho ausziehen, am Rucksack griffbereit unter den Gurten befestigt und wieder war ich abmarschbereit. Ich ging zur Straße einen leichten Berg hinauf und wieder begann es zu regnen. Zurück zur Herberge. So wiederholte sich das Spiel, Poncho an, noch mal alles von vorne... Es regnete immer noch, als ich endlich eine halbe Stunde nach dem Aufstehen im Regen losmarschiere. Ich ging links die Straße in Richtung Santiago und dann, nach ein paar hundert Metern, rechts in den Wald. Dort suchte ich mit der Taschenlampe in der Dunkelheit die Wege, die zum Camino führten, ich hielt nach den Stellen Ausschau, wo die gelben Pfeile und die Jakobsmuschel den Camino anzeigten, den Waldweg in Richtung Westen nach Santiago de Compostela . Vor Beginn des Waldweges sah ich jemanden stehen und es stellte sich heraus, dass es ein Spanier aus La Coruna war. Dieser Pilger hatte keine Taschenlampe als Sichthilfe und bei der tiefen Dunkelheit keine Chance, den Weg im stockfinsteren Wald zu finden. Nach einigen Metern, die er hinter mir her ging, wanderten wir gemeinsam mit meiner Taschenlampe und seinem IPhone als Sichthilfe.
Wir marschierten sehr, sehr schnell, zumal der Nieselregen immer weniger wurde. Um 8:00 Uhr waren wir schon mehr als 12 Km unterwegs und am Flughafen von Santiago vorbei marschiert. Es war immer noch nicht hell. Die dichte Wolkendecke ließ es heute morgen nicht Tag werden und an einem Kreisverkehr gingen wir in Richtung Santiago, das Straßenschild zeigte es so an. Leider war es die Straße nach Santiago und die falsche Strecke. Wir hätten links in einen Wald abbiegen müssen. Bei diffusem Licht sieht man manchmal die Jakobsmuschel nicht. Der Spanier und ich gingen jedoch einfach weiter geradeaus und ich verließ mich voll auf ihn. Er fragte an einer Tankstelle und man glaubt es nicht, wir hatten noch Wegstrecke gespart, als wir nach kurzer Zeit wieder auf dem Camino waren!
Es war Frühstückszeit und vor Monte de Golzow aß ich mit einem Glücksgefühl, bald das Ziel erreicht zu haben, fürstlich. Eier, Käse, Schinken, Bocadillo sowie zwei Tassen Kaffee. Mein Spanier bekam einen Anruf und war erfreut, von seiner Familie überrascht zu werden, die an der Herberge Monte de Golzow auf ihn wartete. So trennten wir uns. Je näher ich nach Santiago de Compostela kam, desto mehr Endorphine setzte mein Körper frei und ich ging nach Santiago wie auf Wolke``SIEBEN``.
Ich flog hinab ins Tal, über die Flussbrücke zu meinem großen Ziel.
Cathedral de Santiago de Compostela
Um 10:00 Uhr war ich in Santiago de Compostela an der Kathedrale. Ich setzte mich - wie es glaube ich jeder Pilger macht - gegenüber dem Hauptportal der Kathedrale auf den Steinboden der Straße und ließ die Eindrücke auf mich wirken. Wenn jemand sagt, ich solle diese Gefühle von diesem Augenblick beschreiben, muss ich sagen, ich kann es einfach nicht. Es ist so überwältigend und so grandios, dass man es nicht in Worte kleiden kann. Mir kamen Tränen der Freude. Oder waren es vielleicht Tränen des Glücks, dass ich es so schnell und ohne Verletzungen sowie in einem physischen Zustand, der keine Erschöpfung oder Schlappheit spürte, mein Ziel Santiago di Compostela erreicht zu haben. Etwas Stolz war auch dabei. Ich will und werde versuchen, demütiger und einsichtiger zu sein und jeden Menschen so akzeptieren, wie er ist. Diese Einsicht habe ich bei langen Alleingängen und Überlegungen während des Marsches gewonnen und jetzt muss ich daran arbeiten. Ich soll meinen Stolz in Dankbarkeit umpolen und war mit dem ersten Ergebnis zufrieden. All dieses ging mir in dieser Stunde durch den Kopf. Ich saß eine dreiviertel Stunde allein und ließ meinen Buß-, Dank- und Bittweg, also meinen Camino, noch einmal Revue passieren. Ich schwebte im Glück auf einer höheren Ebene.
Vor 11:00 Uhr stellte ich mich im Treppenhaus des Pilgerbüros an, um meine "La Compostela" (Erklärung später) zu empfangen und danach, nach etwa 40 Minuten Wartezeit, eilte ich in die Kathedrale zur Pilgermesse. In der Kathedrale waren mehr Touristen und Schaulustige als man es sich nur denken kann. Sie war überfüllt und sehr, sehr laut. Es war wie auf einem Rummelplatz. Bei Beginn der Messe wurde es zwar ruhiger, aber es liefen immer Leute hin und her, schossen hier und da ein Photo und es gingen und kamen immer neue Menschen. Diese Pilgermesse hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Ich dachte, dass nur für Pilger, für die ja eigentlich die Messe um 12:00 Uhr gelesen wird, die Bänke vor dem Altar reserviert sind. Dieses ist nicht der Fall, auf diesen, für die Pilger gedachten Bänken, sitzen meist die Tagesausflügler, Auto- und Omnibustouristen, die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen, die mit Buskolonnen angekarrt werden. Für Pilger, man erkennt sie immer an Kleidung, Rucksack und Wanderstab, im Gegensatz zu den fein gekleideten Touristen. Für sie ist in der Kathedrale zur Pilgermesse der wenigste Platz. Heute stehen sie verstreut in der überfüllten Kathedrale zwischen vielen, vielen hundert Touristenkirchenbesucher. Ich stand rechts vom Altar in einem Seitengang, der zugleich der Weg der Priester zur Sakristei war. Der Ablauf der Messe ist der Gleiche wie ich es später im Kapitel Pilgermesse für den nächsten Tag beschreibe. Nur an diesem Sonntag war es eine große Messe mit achtzehn Priestern. Neben den drei Hauptpriestern war bei den fünfzehn anderen Priestern auch mein südkoreanischer Priester, der mich seit Puente la Reina immer wieder Strecken begleitete. Ebenso gehörte er zu den Priestern, die in den Landessprachen den Pilgersegen für die an dem Tag im Pilgerbüro anmelden beziehungsweise angekommenen Pilger spricht und sie in der jeweiligen Landessprache begrüßt. Er begrüßte auf koreanisch die ankommenden koreanischen Pilger. Noch etwas enttäuschend war, dass der Botafumeiro, das 50kg schwere Weihrauchgefäß heute nicht durch die Kirche geschwenkt wurde. Das wusste ich aber, ich hatte mich im Pilgerbüro schon danach erkundigt. Man gab mir die Auskunft, dass nur an sehr hohen Festtagen der Botafumeiro geschwenkt werde oder man kann es für etwa € 200.- kaufen. Es wäre ein Höhepunkt gewesen (später sehe ich es noch sehr oft) Folgende Geschichte hat mich so geprägt, daß ich sie an dieser Stelle noch einmal wiederholen muss. Es war einer der bewegendsten Momente auf dieser Pilgertour die ich am Ende der Messe erlebte. Die Priester gehen in Zweierreihen geordnet vom Altar zur Sakristei. Als mein südkoreanischer Priester mich im Vorbeigehen sieht, schwenkt er aus der Reihe aus, kommt zu mir, umarmt und drückt mich ganz fest und recht lange an sich. Ich drücke ihn auch. Sagen konnten wir beide nichts. Ich hatte einen Kloß im Hals und wir hatten beide Tränen in den Augen. Die anderen Priester waren schon lange in der Sakristei, als er hinterher ging. Dieses war heute nicht die letzte Begegnung mit ihm. Nach der Messe ging ich noch etwas durch die Altstadt von Santiago, probierte den trocknen Santiagokuchen und schlenderte durch die Gassen. Es war etwa 15:00 Uhr als er mich überholte, mich von hinten umfasste und mir erzählte, er müsse jetzt sofort heim fliegen. Wir standen uns gegenüber und dicke Tränen flossen uns beiden über die Wangen. Wir hatten beide das Gefühl, einen Freund zu verlieren. Wir sagten, wir werden uns bestimmt nie mehr wieder sehen und wünschten uns gegenseitig nur das Beste für jeden in seiner Art. Später ging ich froh und glücklich zurück in die Herberge Lazaro und ich dachte an diesem Tag, aber auch später noch, sehr oft an ihn.
Die oben erwähnte "La Compostela" ist die Bescheinigung bzw. Urkunde für Pilger. Es wird der Besuch der Kathedrale von Santiago de Compostela und und das Ende der Jakobsweg-Wallfahrt bescheinigt.
Um die Compostela zu erhalten, muss man mindestens die letzten 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt haben. Hierfür gilt der Pilgerausweis als Nachweis. Durch Stempel im Pilgerausweis werden die Stationen beziehungsweise Orte, die besucht oder durchwandert wurden, bestätigt. Ich habe mir in jeder Herberge einen Stempel in den Ausweis prägen lassen.
In meinem Ausweis sind 43 Stempel Zeuge für die einzelnen Stationen.
Die Compostela ist entgegen der oft verbreiteten Meinung keine Ablassbescheinigung. Ein Sündenablass ist nur in Jahren möglich, in denen der Namenstag des Hl. Jakobus, der am 25.Juli ist, auf einen Sonntag fällt. Das letzte heilige Jahr war 2010 und ich war 2010 zum zweiten Mal auf dem Jakobsweg gepilgert. Somit habe ich den Plenarablass erhalten.
Ein Pilger, der die "La Compostela" hatte, konnte sich ab dem 16 Jahrhundert in der Herberge nicht weit von der Kathedrale 3 Tage kostenlos erholen.
Heute ist die Herberge in das teurere und vornehme Parador Hotel umgebaut worden. Weil in der Gründungsurkunde Mildtätigkeit für die Herberge verfügt war, bekommen heute immer noch 10 Pilger täglich im Pilgerspeiseraum des Parador Hotels kostenlos Frühstück, Mittag- und Abendessen. So ist die heutige Mildtätigkeit der Pilgerspeisung nur eine Art, um der Gründungsurkunde gerecht zu werden.


27. Tag Ein Tag in Santiago de Compostela

An diesem Montag konnte ich in der Herberge Lazaro seit dem Beginn des Caminos, also nach 26 Tagen, mal richtig ausschlafen. Ich blieb liegen, als die anderen Pilger aufstanden um weiter zu gehen oder Heim zu fahren bzw. zu fliegen.
Ich genoss es und trödelte bis zum Frühstück, das ich gegenüber der Herberge in einer Bar um 9:30 Uhr einnahm, um dann wieder in die Stadtmitte und zur Kathedrale zu gehen. Auf dem Kathedralenplatz traf ich Sara. Zum ersten Mal habe ich sie in Fonfria nachmittags gesehen, wir hatten uns schon auf einigen Teilstrecken ausgetauscht. Sie ging auch sehr schnell und marschierte anfangs wie vorher schon beschrieben mit der norddeutschen Ärztin zusammen, die aber jetzt nicht mehr bei ihr war. Es war eine Wegbekanntschaft und sie hatten sich getrennt. Des Weiteren traf ich "Roadrunner". Ich fotografierte mitten auf der Plaza do Obradira, als Roadrunner mich aus 40 Metern Entfernung sah. Sie rief laut "Manfred" und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zugerannt. Ich empfing sie ebenfalls mit offenen Armen und wir drehten uns einige Male im Kreis. Ich, der alte Mann, und Roadrunner, die hübsche 24-jährige australische Studentin mit langen, blonden Haaren. Dieses waren bewegende Momente, die zeigten, wie sehr der Jakobsweg die Pilger, ob alt ob jung, ob arm ob reich, ob Mann ob Frau, egal welche Nationalität, vereint. Man wird Pilgerfreunde.
Es war Zeit zur Messe zu gehen. Santiago war heute nicht mit Touristen überfüllt und so hatte ich in der Kirche einen der vorderen Plätze, die für Pilger reserviert waren, genommen. Vor der Messe übte eine Nonne Lieder, die später in der Messe gesungen wurden, mit den Pilgern ein. Sie hatte eine Engelsstimme und ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich an das von ihr gesungene "Halleluja" denke. Ihre klare, helle Stimme ist einfach toll. In der Messe gab es dann noch eine Steigerung durch die Unterstützung der Orgel und der Tenorstimme (soll in Spanien ein bekannter Tenor sein) eines Pilgers, der im hinteren Bereich saß und dank seiner hervorragenden Stimme das Halleluja sehr laut mitsang. Diese Dreierkombination war ein unbeschreiblicher Ohrenschmaus und ist und bleibt wahrscheinlich das Beste, was meine Ohren live je zu hören bekommen haben. Man kann es nicht beschreiben, man muss es gehört haben.
Auf dem Rückweg zur Herberge verabschiedete ich mich noch von dem freundlichen italienischen Ehepaar mit ihrer 12 jährigen Tochter, mit der ich bei jedem Treffen "clap hands" machte. Kennen gelernt habe ich die drei in Calzadilla de la Cueza. Und zwar in der Herberge mit Swimmingpool, in dem die Tochter und ich nach langem Marsch uns abkühlten und wir zusammen abends unser Pilgermenü einnahmen und die mich in Melide zum Pulpoessen eingeladen hatten. Die drei fuhren mit dem Bus nach Italien zurück.
Bei all diesen Verabschiedungen hat man jedes Mal das Gefühl, eine Freundschaft oder besser gesagt, eine Pilgerfreundschaft, zu verlieren. Oft sind es Menschen, deren Vornamen man kaum kennt, die man aber auf dem Camino immer wieder sieht. Der gemeinsamen Weg, die Strapazen und die einfachen Verhältnisse auf dieser Tour, lässt die Pilger zusammen wachsen und zu Freunden auf Zeit werden.


28 Tag Santiago nach Negreira

Ein Tag ruhen und relaxen waren genug. Ich wollte und musste wieder gehen. Ich hatte mich mit der Dauer, den Jakobsweg zu gehen, verkalkuliert. In der Heimat hatte ich schon den Rückflug geordert. Zwischen 30 und 35 Tage hatte ich für den Weg von Saint Jean Piet de Port bis Santiago de Compostela eingeplant. Da es nur 25 Tage waren, hatte ich Zeit genug auch noch nach Fenisterre, im Mittelalter das Ende der Welt am Meer, weiter zu gehen.
Folglich ging ich morgens, in aller Herrgottsfrühe, wie gehabt, wieder los. Ich hatte als Erstes vor, die fünf Kilometer von der Herberge Lazaro in die Stadtmitte zu gehen. Dann an der Kathedrale vorbei, wobei ich noch ein super tolles Nachtfoto schoss, auf dem die Kathedrale als schwarze Silhouette wie ein Geisterschloss aussieht. Weiter durch San Lorenzo zum alten Eichenpark und dort endet dann langsam der urbane Einfluss Santiagos und man geht einen hügeligen Weg, der nicht schwer, aber auch nicht ganz einfach ist. Viele kleine Ortschaften wechseln sich mit Eukalyptuswäldern ab, in denen man immer noch die Schäden, die durch größere Waldbrände in der Vergangenheit erinnern, sieht
In Alto do Vento, in der Bar am Ortseingang, gab es einen guten Kaffee und leckeren Eierbocadillo (Baguette mit Schinken, Rühreier und Salat). Ich ging in diese Bar, weil ein die Bar verlassender Pilger mir riet, hier hinein zugehen, was ich auch befolgte. Dass ich diesen Pilger, Klaus aus Neuss, später noch häufig wieder sehe und ihn sogar in Düsseldorf bei einem Pilgertreff in der Düsseldorfer Altstadt treffe, konnte ich an diesem Tag nicht vorausschauen. Nach dem guten Frühstück ging es weiter durch hügeliges Gelände. Viele Hohlwege gingen durch Waldgebiete mit hohen Farnen und Esskastanienbäumen und es gab immer wieder Eukalyptuswälder. Nach den Anstrengungen der Vorwochen könnte man sagen, es wird leichter zu gehen, aber das hügelige Gelände verlangt doch schon einiges ab. Trotzdem hatte ich an diesem Tag ein inneres Glücksgefühl, das in mir aufkam. Es war so, als würde man eine Ehrenrunde nach einem Marathonlauf drehen. Man hatte das große Ziel Santiago erreicht und was jetzt kam, war Zugabe. Ich bin an diesem Tag deutlich langsamer gegangen, als an den Tagen zuvor und genoss, manchmal allein laut singend (hören darf mich niemand, weil mein Gesang grausam ist) die Sonne an diesem Vormittag.
Am frühen Nachmittag kam ich in Negreira an. Dort kaufte ich, im ersten Supermarkt, Obst, Käse, Wurst, Brot, Cola und Wein ein. Alles in allem viel zu viel, aber, wie es in meinem Reiseführer stand, es sollte ja kein Markt mehr in absehbarer Zeit kommen. Das war auch gut so, ich hatte so für den nächsten Tag noch einiges zu Essen übrig. Viel wichtiger ist und wird es in Zukunft sein, sehr früh in der Herberge von Negreira anzukommen, solange keine andere oder neue Herberge hinzukommt. Die Herberge ist viel zu klein. Es gibt nur 16 Betten und einige Zelte mit Auflagen. In der Zeit als ich dort war, begann es abends zu regnen und es dauerte die ganze Nacht hindurch. Leid taten mir die Zeltschläfer, die zu spät in der Herberge am Nachmittag angekommen sind, morgens musste sie unausgeschlafen und durchgefroren sein. Ich kann mir vorstellen, dass es diesen Leuten wenig Spaß machte, am nächsten Tag weiter zu gehen. Denn es kam eine lange Etappe auf sie zu, und wie ich noch berichten werde, eine Etappe die es an diesem Tag regenmäßig in sich hatte. In der Herberge waren die beiden Schlafsäle auf der ersten Etage, direkt unter einem flachen Schrägdach. Wer einen leichten Schlaf hat, der konnte diese Nacht nicht gut schlafen, denn der Regen tropfte unaufhörlich auf das Dach. Da es keine Isolation gab, dachte man, es sei nicht Regen sondern Hagelkörner. Es war aber immer noch besser als bei diesem starken Niederschlag im Zelt zu schlafen.


29. Tag Negreira nach Olveiroa

Nach Olveiora waren es noch 33 Km, was bei gutem Wetter kein Problem wäre, aber es regnete den ganzen Tag. Wir waren in Galicien und das Wetter ist nicht besser als es manchmal Ende August, Anfang September im verregneten Deutschland ist. Bei diesem Wetter sieht man sehr wenig von der Natur. Man achtet meistens nur auf den Weg, um Pfützen, Matsch, manchmal auch Bäche zu meiden, sowie in den Dörfern, wie schon einmal beschrieben, Rutschpartien durch Kuhfladen, zu verhindern. Bei schlechter Sicht macht der Wanderer keine oder wenige Beobachtungen und somit hat man kaum was ins Tagebuch zu schreiben. Ich schreibe heute nur, dass ich morgens bei Dunkelheit im Regen losgegangen bin und sofort den Weg links nicht erwischt habe, da meine Brille nach zwanzig Metern beschlagen und voller Regentropfen war. Es fing schon gut an. Ich bemerkte jedoch nach einigen Metern meinen Fehler, ging zurück zum richtigen Weg, der nun sofort steil bergauf verlief. Es regnete sehr stark auf den ersten Kilometern und der Pfad war mit Pfützen übersät. Zuerst geht man den Pfützen aus dem Weg, macht Slaloms, die viel Zeit kosten. Nach einer Stunde jedoch bin ich nur noch am Rand der Pfütze ins Wasser getreten, mit Ausnahme, wenn sich kleine Seen gebildet hatten, die ich dann weiträumiger umging. Das heißt, ab und zu musste ich ums umliegende Gebüsch oder im Wald eine Schleife drehen. Landschaftlich wäre es sehr schön bei trockenem Wetter gewesen, das konnte man während des Gehens ahnen, aber ich hatte mit meiner Brille zu kämpfen, die immer nass war und Zerrbilder durch Tropfen für meine Augen entstehen ließ. Dieses in den Pfützen durchs Wasser gehen, konnte ich mir deshalb erlauben, weil ich auch nach acht Stunden Regenwanderung keine nassen Füße hatte. Sie waren nur etwas feucht durchs schwitzen, was bei den meisten Personen aber auch im Alltag normal ist, wenn sie 10 Stunden in gleichen Schuhen laufen.
Es wäre bei besserem Wetter eine gute Strecke gewesen, sehr häufig waren es Feld- oder Hohlwege, nur ab und zu asphaltierte Straßen. Nach etwa vier Stunden überlegte ich, ob ich wegen des Regens in der Herberge von Vilaserio bleiben sollte und den Tag dort verbringe oder weitergehe. Also beschloss ich, einen Café con Leche in diesem Ort zu trinken und zu überlegen, wie ich weiter vorgehen soll. Bei der zweiten Tasse ging es mir so gut, dass ich nach einer halben Stunde weiter ging und mein Tagesprogramm, nach Olveiroa zu gehen, durchzog. Auf dem Rest des Weges traf ich dann Klaus, der nicht weit von meinem Wohnort Düsseldorf wohnt, und wir gingen den Rest des Weges nach Oleveiroa zusammen.
Nach guten und interessanten Gesprächen, kamen wir am Nachmittag bei weiter andauernden Regen in der Pilgerherberge von Oleveiroa an. Nach der Anmeldung zogen wir uns um, endlich trockene Sachen. Man ist, auch wenn ich einen guten Regenponcho über meinem Rucksack bis zu den Knien an hatte, feucht bis auf die Haut. Man schwitzt unter dem Plastik enorm und ab Knie ist man vom Spritzwasser und dem am Poncho herunter laufenden Wasser nass. Die feuchten Sachen wurden überall in dem Schlafraum der Herberge aufgehängt und zum Teil bis spät am Abend am Fön in der Toilette, der eigentlich für gewaschene Hände gedacht war, getrocknet. Not macht eben erfinderisch.
Nach dem Duschen gingen Klaus und ich in eine kleine Bar, die er von seinem letzten Pilgerweg nach Finisterre kannte und wir tranken und speisten. Es gab einen riesigen Salat, zwei Spiegeleier, Schinken und Kartoffeln. Zuvor hatten wir zwei Gläser Bier getrunken, beim Essen zwei Gläser Wein und es hat gut gemundet. Wenn man bedenkt, dass es nur knapp € 10.- gekostet hat, dann schmeckte es im Nachhinein noch besser. Als wir die Bar verließen, hatte es Gott sei Dank aufgehört zu regnen und wir hofften auf besseres Wetter für den nächsten Tag.


30. Tag Olveiroa nach Finisterre

Nach einer gut durchgeschlafenen Nacht bin ich morgens um kurz nach 7 Uhr aufgestanden und 30 Minuten später mit Klaus losmarschiert. Nach dem Regen des vergangenen Tages hatte die Luft noch eine sehr hohe Feuchtigkeit und es war diesig. Es hatte aber aufgehört zu regnen und das Gehen machte wieder Freude, zumal alle Kleidungsstücke trocken waren. Klaus, der nicht nach Finisterre, sondern nach Muxia gehen wollte, ging mit mir bis nach Hospital. Dort frühstückten wir in der Bar am Ortseingang zusammen. Mein Frühstück bestand -wie immer- aus zwei Tassen Café con Leche und ein Bocadillo mit verschiedenen Belägen. Eine halbe Stunde später gingen wir noch ein paar hundert Meter zusammen, dann trennten sich unsere Wege, er ging rechts nach Muxia, ich links nach Finisterre.
Der Weg war - bis auf einige steinige Geröllwege bergab und die immer noch vielen Wasserpfützen - recht einfach und auch landschaftlich sehr schön. Die Strecke zog sich wieder über 30 km und nach etwa der Hälfte sah man am Horizont das Meer, das, je weiter man ging, immer besser sichtbar wurde. Man sah den Berg mit der Stadt Fenisterre und das Kap Finisterre. Es gab wunderbare Aussichten auf die Landschaft: mal Steilküste, mal kleine weiße Sandstrände, die Stadt Cee und die Küste Praia de Langosteira. Der Weg ging bergab nach Cee und weiter an der Küste entlang nach Finisterre am Atlantik.
Nach Erreichen der Herberge und dem üblichen, täglichen Ritual: Bett aussuchen - sofern man früh genug ankommt und noch Auswahl hat - ausziehen, duschen, Tagesbekleidung waschen und zum Trocknen aufhängen, trockene Sachen für den Abend anziehen, ging ich anschließend in den Ort oder die Stadt. Hier erkundete ich die Lokalitäten, um für das Abendessen eine Bar oder ein Lokal zu finden. Das war nie besonders schwer, da alle Bewohner der Ortschaften am Jakobsweg auf Pilger und deren Wünsche ausgerichtet sind.
An diesem Nachmittag geschah etwas anderes, denn ein junger Deutscher, mit dem ich ins Gespräch kam, fragte mich, ob ich abends mit zum Kap gehen wollte? Das war der am weitesten in den Atlantik hereinragend Platz und der westlichste Punkt des spanischen Festlandes. Im Mittelalter nahm man an, hier sei das Ende der Welt, nach Westen gab es nur noch Wasser beziehungsweise Meer. Nachdem ich bejahte, mitzugehen, trafen wir uns mit Italienern, Spaniern, Polen, einer Kanadierin - die perfekt spanisch sprach - und wir zwei Deutschen, um 20 Uhr vor dem Lebensmittelladen. Wir kauften Brot, Wein, Käse, Wurst, Schinken und noch vieles mehr für ein feudales Essen am Kap.
Alle nahmen noch ein paar Sachen mit, die man zum Wandern nicht mehr benötigte, da jetzt das Ende der Pilgertour bevorstand. Nach altem Brauch werden nicht benötigte Dinge am Kap verbrannt. Pünktlich um 20 Uhr, am Treffpunkt, begann es wieder zu regnen und so gingen wir bei Regen, nach vorne gebeugt gegen den starken Sturm der vom offenen Atlantik her blies, zum Kap mit seinem hohen Leuchtfeuerhaus, es war kein Leuchtturm wie man annehmen könnte. Nach gut einer halben Stunde kamen wir an. Eine weitere internationale Gruppe mit acht Personen, die ebenfalls Essen und Wein mitgebracht hatten, entfachte schon das Feuer, das zum Verbrennen der nicht mehr benötigten Sachen gebraucht wurde. Es war nicht einfach das Feuer beim Sturm zu entzünden, erst nachdem wir eine Windschattenwand mit unseren Körpern gebildet hatten, begann das Feuer zu lodern. Einen Kreis bildend, uns Arm in Arm festhaltend, wie beim Syrtakitanz, tranken wir Wein. Alle sangen nacheinander irgendein bekanntes Lied in der Sprache ihrer Heimat und warfen die nicht mehr benötigten Sachen mit Hallo ins Feuer. Es war schon lange dunkel, der Leuchtturm warf sein sich drehendes Funklicht in 15 Sekundentakten auf unsere Gruppe als das Feuer langsam erlosch.
Nachdem alles, was wir als überflüssig empfanden, verbrannt und das Feuer ganz erloschen war, gingen wir zu einem überdachten Aufenthaltsunterstand. Wir besorgten einige Tische und alle legten das Essbare, das sie mitgebracht hatten, auf die Tischplatten. Es war von der Auswahl mit das reichhaltigste, das man sich denken kann. Selbst Schokolade und Toblerone gab es zum Nachtisch. Man muss bedenken, dass es der Einkauf von achtzehn Personen war, wobei immer zwei Personen ein Einkaufsteam bildeten. Der Platz war ideal, gegen Sturm und Regen geschützt, mit Ausblick auf das unruhig tosende Meer. Es war schnell nach 22:30 Uhr und wir mussten durch Sturm und Regen zurück zur Herberge, die, da es eine städtische Herberge war, um 23 Uhr geschlossen wurde und bei Ankunft auch geschlossen war. Wir kamen zwar viel zu spät, aber eine junge Deutsche sah die vielen noch nicht belegten Betten und wartete auf uns. Wir kamen durch einen Nebeneingang, der nur von innen zu öffnen war, hinein, der von der jungen Dame geöffnet wurde. Wir waren sehr froh,daß sie richtig und gut mitgedacht hatte.
Als wir, ohne Ärger zu bekommen, in der Herberge waren, hängten wir wieder nasse Sachen auf und niemand hatte Lust sofort ins Bett zu gehen. Also trafen sich alle in einem Raum, wo die Schlafenden nicht gestört wurden und es wurde noch miteinander geredet und trotz des Wetters war es ein wunderbarer Abend. Es schüttete immer noch wie aus Kübel.


31. Tag Ruhetag in Finisterre

Geschlafen habe ich in der durch regneten Nacht nicht gut, in der ich den Regen wie aus Kannen gießen hörte. Aus diesem Grund fasste ich kurzfristig den Entschluss, einen Ruhetag in Finisterre einzulegen. Ich stand halb acht auf. Zeit hatte ich genug, denn ich musste erst um 9 Uhr aus der Herberge. Also trödelte ich. Der Regen war zwar etwas weniger geworden als in der gesamten Nacht, aber immer noch heftig. Eine jüngere Deutsche, die keinen zeitlichen Spielraum nach hinten hatte und Muxia unbedingt heute erreichen wollte, musste im starken Regen noch über 30 Km gehen. Ich riet ihr, direkt nach Santiago zurück zu fahren, aber sie war eisern und wollte ihr gestecktes Ziel erreichen. Hut ab. Ich sah, wie sie sich regen sicher anzog.
Das sah so aus: Sie zog einen Plastikregenponcho, sowie eine Plastikregenhose an. Zwei Einkaufsplastiktüten, die sie um die Schuhe schnürte und mit Klebeband befestigte, sollten für trockene Füße sorgen. Wie lange die Plastiktüten gehalten haben, weiß ich nicht zu sagen. .
Kurz vor Schließung der Herberge um 9:00 Uhr morgens packte ich meinen Rucksack und eilte schnell 20 Meter über die Straße in die nächste Bar, in der ich frühstückte. Hier versammelten sich alle, für die Finisterre die letzte Station war. Um 12 Uhr kam der Bus und die meisten, mit denen ich abends zuvor gefeiert hatte und einige, die ich vorher auf dem langen Weg zum Teil seit Saint Jean Piet de Port kennen gelernt hatte, sah ich jetzt wieder. Es wurde eine große Verabschiedung, einige Fotos wurden geschossen und als der Bus abfuhr, war ich alleine auf weiter Flur. Alle fuhren mit dem Bus zurück nach Santiago de Compostela, von wo man in alle Welt zurück nach Hause fliegen oder fahren wird.
Man darf in einer städtischen Herberge nicht länger als eine Nacht bleiben, deshalb suchte ich mir nach der Busabfahrt in einer privaten Herberge eine Unterkunft aus, ließ meinen Rucksack dort. Der Regen wurde gegen Mittag etwas geringer und am Nachmittag hörte es ganz auf zu regnen. So ging ich noch einmal ohne Regen und leichtem Wind zum Kap. Jetzt im Tageslicht konnte ich die Pilger verstehen, die annahmen, hier sei die Welt zu Ende. Es sieht wirklich wie am Ende der Welt aus. Von drei Seiten nur Wasser, Wasser, Wasser.
Am späten Nachmittag ging ich einkaufen und setzte mich mit einem rustikalen Abendessen aus einem Stück Käse, einer halben Salamiwurst, schwarzen Oliven und eingelegten Paprika am Hafen auf die Kaimauer und ließ es mir köstlich schmecken, hin und wieder durften ein paar Möwen an meinem feudalen Essen teilhaben. Ich schmiss Stücke trockenes Brot ins Wasser und sah den Kämpfen um das Brot zu, wenn es nicht schon in der Luft aufgefangen wurde. Abends ging ich zeitig zur Herberge und legte mich ins Bett, da ich morgens in aller Frühe nach Muxia aufbrechen wollte.


32. Tag Finisterre nach Muxia

Morgens 7 Uhr bin ich bei Dunkelheit losgegangen. Hinter San Martin wanderte ich zunächst in linker Richtung, wie überall in den Wegbeschreibungen angezeigt war. Doch bei der Dunkelheit bin ich falsch abgezweigt und habe mich irgendwie verlaufen, bin dann einfach gefühlsmäßig immer Richtung Osten gegangen. Im Wanderführer steht, man geht den Weg parallel zur Küste. Dummerweise war es eine Halbinsel, und die hat von drei Seiten Küsten. Wie immer habe ich mir den falschen Küstenweg ausgesucht. Doch ich bin dann über Denle, Buxan nach Padris wieder auf den rechten Weg nach Muxia gekommen. Ob ich einen Umweg gemacht habe, weiß ich nicht, denn, als ich in Lires ankam, erschien es mir zeitlich sehr kurz. Hier in Lires frühstückte ich und ließ mir in der Bar einen Stempel in den Pilgerausweis geben. Diesen Tipp hatte mir die junge Deutsche in Finesterre gegeben, um keine Schwierigkeiten bei der Urkundenausgabe in Muxia zu bekommen. (Es gibt hier, wie auch in Finesterre, den schriftlichen Beleg, bis ans Ende der Welt gewandert zu sein). Man sagt, viele fahren mit dem Bus und wollen sich eine Urkunde abholen. Die Urkunde soll nur den Wanderern, die schon die Compostela aus Santiago erlangt haben und zu Fuß nach Muxia bzw. Fenisterre kommen, vorbehalten bleiben. Deshalb ist es ratsam, einen Stempel in dem Ort Lires abzuholen, weil von Lires kein Bus direkt nach Muxia fährt und man somit vielen Fragen aus dem Weg geht.
Am frühen Nachmittag hatte ich auch diese ca. 30 Km geschafft und mein 3. Ziel erreicht. Es war die letzte Etappe, auch diese war nicht leicht, so wie es gar keine "leichten" Etappen auf dem gesamten Jakobsweg gibt. Entweder es geht bergauf, bergab oder in der Meseta fast immer eben, dafür aber glühende Hitze. Und hier in Galizien der häufige und oft heftige Regen. Man kann es nicht mit einer Wanderung im flachen Deutschland, sofern man nicht im Gebirge oder Mittelgebirge wandert, vergleichen. Die Wege, so wie sie im Mittelalter angelegt wurden, sind häufig Geröllwege oder blanker Felsen, der rutschig ist, sowie auch mit großen Steinen gepflastert sind. Aber mir sind diese Wege zum wandern oder pilgern lieber als asphaltierte Straßen.
Es ist immer ratsam einen Wanderstab oder - womit ich viele Wanderer gesehen habe - mit zwei Nordic Walking Stöcke zu gehen. Stöcke sind immer eine Hilfe, zum abstützen, zum abbremsen oder um über Pfützen zu hüpfen.
In Muxia angekommen, habe ich mir zur Feier des Tages eine Flasche guten Gran Reserva Wein aus Rioja, sowie ein fürstliches Pilgerabendessen gekauft und dieses alles am Abend auf der Dachterrasse der Herberge im Abendrot bei untergehender Sonne getrunken und gegessen. Die Folge war, dass ich am nächsten morgen verschlafen habe.


33. Tag Ruhetag in Muxia (Sonntag)

Heute am Sonntagmorgen wollte ich eigentlich mit dem, wegen des Sonntags ohne Berufsverkehr nur morgens und abends fahrenden Bus, um 7.30 Uhr zurück nach Santiago de Compostela fahren. Aus dem oben genannten alkoholischen Grund bin ich erst um 7.30 Uhr wach geworden und noch verschlafen dachte ich, es sei 6:30 Uhr. Als ich um 8.00 Uhr losging, immer noch im Glauben, es sei eine Stunde früher, wunderte mich aber, wie hell es schon war. Jetzt sah ich das Malheur: als ich niemanden an der Bushaltestelle stehen sah schaute ich nochmals auf meine Uhr. Also, legte ich spontan noch einen Ruhetag ein und das war gut, denn ich habe heute vieles gesehen und erlebt. Da es noch früh war und die Sonne durch den mit leichten Wolken verhangenen Morgenhimmel brach, entschloss ich mich zum Heiligtum, der Virxe da Barca, zu gehen. In der alten Kirche vor dem Felsriff begann um 9.00 die große Messe, die ich besuchte. Die Kirche war überfüllt und ich wunderte mich, wie viele Menschen noch vor der nicht sehr großen Kirche standen und keinen Platz bekamen. Die Erklärung war einfach: Wir schrieben den 07.09. und morgen ist Mariä Geburt, der höchste Feiertag für Muxia mit seiner Legende.
Es begann die Woche der Wallfahrten nach Muxia. Die Legende besagt, dass die Jungfrau Mariä Jakobus an dieser Stelle, wo jetzt die Kirche steht, erschienen ist und ihn zur Weitermissionierung des Christentums ermutigte, als ihn der Mut verlassen wollte. So wurde es mir von spanischen Pilgern erzählt. Des weiteren sagten sie, dass ein Riesenstein der nahe des Kirchplatzes im Felsenriff steht und bei dem man durch einen Hohlraum krabbeln kann, was viele Leute taten, angeblich das Segel des von Mariä benutzten Steinbootes gewesen sein soll. Viele glauben, so könne man von Rheuma und Nierenkrankheiten befreit werden. Ich bin auch durchgeklettert, ich habe zwar kein Rheuma, aber wer weiß, wofür es gut ist. Vielleicht zur Prävention, damit ich später mal kein Rheuma bekomme. Je länger ich verweilte, desto mehr Menschen kamen. Einige robbten auf Knien, manchmal bis zu drei Mal, um die Kirche herum. Meiner Schätzung nach betrug eine Umrundung bestimmt 150 Meter, um dann mit blutigen und offenen Knien in die Kirche zu gehen. Ganz lustig war, das einer (wahrscheinlich ein Fliesenleger) mit Gummiknieschoner, wie die Fliesenleger ihn häufig anziehen, um die Kirche robbte.
Gegen Mittag kamen ca. 40 Reiter durch Muxia und ritten im gestreckten Galopp die letzten zwei Kilometer zur Kirche, geleitet von je einem Polizeifahrzeug am Anfang und am Ende der Reiterstaffel.
Viele der ankommenden Pilger hatten reflektierende Warnwesten an, wie wir sie als Autopannenweste kennen. Das ist eine Sicherheitsvorkehrung, da die meisten Pilger am Abend oder bei Nacht losgehen und so von den Autofahrern besser gesehen werden. Nachdem ich einige Stunden dem Treiben zugesehen habe, ging ich in den Ort zurück und traf dort den polnischen Cartoonzeichner, der überall auf der Welt in Filmstudios arbeitete und abends um 19.00 Uhr auch nach Santiago zurückfahren wollte. Wir haben uns auf dem Camino schon sehr oft gesehen. Er ging sehr oft zusammen mit Maria, einer Italienerin, die in Spanien lebte. Auch beim abendlichen Treffen mit dem Feuer und Essen auf Kap Finisterre war er dabei.
Bei herrlichem Sonnenschein tranken wir einen Kaffee auf der Flaniermeile Muxias und anschließend setzten wir uns am Hafen bis zum Abendessen auf eine Bank und sahen lange dem regen Treiben am Hafen zu. Um 19.00 fuhr der Bus nach Santiago und sollte da erst gegen 21.00 Uhr ankommen, deshalb wollten wir noch in Muxia zu Abend essen. Die Spanier essen bekanntlich immer erst nach 20.00 Uhr und in dem Restaurant, das ein Pilgermenü auf der Werbetafel draußen auf der Straße ausgeschrieben hatte, gab es dieses erst ab 20.00 Uhr. Also gingen wir hinein und fragten, ob wir früher essen könnten, was verneint wurde. Als wir unsere Gründe mit der Busfahrt darlegten, half man uns sofort sehr freundlich und wir sollten im Restaurant Platz nehmen. Es gab kein Pilgermenü, aber man improvisierte und wir bekamen einen Riesenteller Calamares mit Fritten, den wir von der Menge her nicht aufessen konnten und danach einen Riesenteller mit Schweinerippen. Diese waren lecker gegrillt und wir konnten von diesem Teller nur noch etwas essen, weil es so gut roch und ebenso gut aussah, satt waren wir schon von den vielen Calamares. Es gab noch Wein, Wasser und einen Kaffee als Nachtisch, und alles zum Pilgermenüpreis von € 10.-
Ich habe in Spanien sehr oft bemerkt, dass Pilger eine Sonderstellung genießen. Wie man in Nordspanien die Pilger behandelt, so nett, freundlich und zum Teil ohne finanzielles Interesse, das habe ich in der ganzen Welt nicht kennengelernt und ich bin weit gereist. Aus diesem Grund habe ich mich beim letzten Eintrag in ein Gästebuch am Jakobsweg bei der Nordspanischen Bevölkerung für die Achtung, Hilfe und ehrliche Freundlichkeit gegenüber Pilgern bedankt.
Das Gegenteil habe ich im Urlaub bei vielen Spaniern auf Mallorca und den Kanaren kennengelernt, die Touristen schröpfen und übervorteilen, wo sie es nur können. Ich bin aus diesem Grund seit über 20 Jahre nicht mehr nach Spanien in den Urlaub gereist. Unter anderem habe ich einmal für meine Tochter, deren Freundin, meine Frau und mich für je ein Eishörnchen mit zwei kleinen Ballen Eis an einem Straßenkiosk, also nicht in einer tollen Eisdiele, DM 16.- bezahlen müssen. Es war Wassereis, noch nicht einmal Milchspeiseeis. Eine Preisliste hatte er nicht. Zu dieser Zeit kostete auf der teuren Düsseldorfer Königsallee oder bei Häegen Dazs ein Ballen Eis eine Deutsche Mark - und das war schon teuer.
Pünktlich fuhren wir mit dem Bus abends nach Santiago. Im Busbahnhof angekommen, gingen `mein Pole` und ich noch eine halbe Stunde zu Fuß nach San Lorenzo, wo wir in einer Pension für € 10 pro Person übernachteten. Diese Pension kannte ` der Pole` als er Santiago auf dem Hinweg erreicht hatte, weil er hier mit Maria übernachtet hatte. Für Maria war der Jakobsweg hier zu Ende, am nächsten Tag ist sie nach Barcelona zurückgereist und konnte nicht mit nach Fenisterre und Muxia pilgern. Ihr Urlaub war zu Ende.
In der Nähe der Kathedrale und in deren Umgebung gibt es immer Vermittler, daher kannte er diese Pension. Lustig ist auch, als er mit Maria in dieser Pension war, musste er € 2.- pro Person und Tag mehr bezahlen, nämlich die Vermittlerprovision. Die erhält der Zimmervermittler, der an der Kathedrale steht und die Pilger anspricht, für seine Arbeit von den Pensionsinhabern ausgezahlt.


34. Tag Ruhetag in Santiago de Compostela (Montag)

Mein `Pole` musste sehr früh aufstehen, um den Bus nach Madrid für den Heimflug nach Polen zu erreichen, wo der Flieger startete. Ich hatte Zeit, frühstückte in aller Ruhe in einer Bar und ging mit meinem Rucksack in Richtung Kathedrale und über dem Praza do Obradioro, dem großen Hauptplatz vor der Kathedrale an dem auch das Parador National liegt, das älteste Hotel der Welt (Übernachtungskosten € 265.- p.P. /DZ). Ich hatte schon früher über die kostenlose Speisung von 10 Pilgern berichtet.
Wieder hörte ich meinen Namen ,,Manfred", den eine Frauenstimme aus einiger Entfernung rief. Es war die Studentin, die ich in Los Arcos nach meinem fünften Tag und 43 km zurückgelegter Strecke, beim Fußbad, kennengelernt habe, deren Freund entnervt nach dem ersten Tag aufgegeben hatte. Es war wieder so eine herzliche Begrüßung, die man so oft den ganzen Tag über auf dem Platz beobachten konnte, wenn sich Leute wiedersehen, die vorher vielleicht nur einige Sätze miteinander geredet oder nur kurze Zeit zusammen verbracht haben und sich beim Wiedersehen so sehr miteinander freuen, als bestünde engste Verwandtschaft.. Sie war heute angekommen und ich habe in 25 Tagen eine Woche zeitlich weniger als sie benötigt. Wir gingen zusammen in die Pilgermesse und anschließend verabschiedeten wir uns, weil sie direkt nach Deutschland flog.
Ich ging an diesem Montag am frühen Nachmittag zurück in die Herberge nach San Lazaro, in der man drei Nächte verweilen darf. Auf der Verlängerung der Hauptstraße Rua de San Pedro kam ich an einer Pulperia vorbei, ging hinein und setzte mich an einen rustikalen Holztisch. Es war ein Esslokal, in dem ich nur Einheimische sah. Die 60 bis 70 Plätze waren bis auf wenige Stühle alle besetzt. Ich bestellte Pulpa a la feria, Riesenkrake gekocht, sehr gut gewürzt und mit Olivenöl und groben Meersalz serviert. Es schmeckte köstlich und ich aß das ganze Brot aus dem Korb, in dem Olivenöl tunkend, auf. Noch zwei Gläser Rotwein dazu und das alles für € 15.-.
Während ich diese Zeilen schreibe und an das Essen denke, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Es war so reichlich zu essen, dass ich an diesem Abend nur noch eine halbe Flasche guten Reserva Rotwein aus der Provinz Rioja trank und mich dann zur Ruhe legte.


35. Tag Ruhetag in Santiago

Nach dem gestrigen Schönwettertag war es heute Morgen diesig und regnerisch. Ich frühstückte in der Bar gegenüber der Herberge und bestellte das Pilgerspezialfrühstück, bestehend aus Brot, Rührei, Croissant, Orangensaft und einen Riesenpott Kaffee con Leche.
Anschließend ging ich dann bei leichtem Nieselregen nach Santiago, wieder in die Pilgermesse, die mich förmlich anzog. Als die Messe beendet war, schüttete es in Santiago wie aus Eimern und es blitzte im 10 Sekundentakt. Um nicht nass zu werden, ging ich in eine Bar, trank einen Kaffee und nach über einer Stunde Wartezeit zog ich mein Regencape an und ging im Regen Richtung Herberge. Ich hatte schon lange kein Marmeladenbrot mehr gegessen und bekam unterwegs einen Heißhunger darauf. Also ging ich in einen Supermarkt einkaufen, holte mir drei Kleincroissants, leckere Erdbeermarmelade, Butter und vier Tafeln Sonderangebotsschokolade.
Die restlichen 2,5 Kilometer lief ich durch den Regen, nur an die Marmeladenbrote denkend. Angekommen in der Herberge, habe ich die Hälfte von den Croissants gegessen, von der Schokolade schaffte ich nur eine 100 Gramm Tafel weiße Milchschokolade. Der Rest war mein Frühstück am nächsten Morgen. Da man bei Regen nichts unternehmen konnte, las ich eine deutsche Illustrierte, die im Aufenthaltsraum lag und trank meine halbe Flasche Wein vom Vorabend. Nach einigen Gesprächen mit spanischen Mitbewohnern ging ich an diesem Abend früh zu Bett. Ich hatte jetzt, nachdem ich nicht mehr jeden Tag weite Strecken ging, das Gefühl Schlafnachholbedarf zu haben.
36. Tag Letzter Ruhetag in Santiago
Heute bin ich um 8:00 Uhr aufgestanden, habe die Croissants und Marmelade vom Vorabend gefrühstückt und bin anschließend langsam trottend in die Stadt gegangen. Ich wollte eigentlich, da das Wetter etwas besser geworden war, nur durch die Straßen schlendern. Es war zwar trübe, aber zumindest regnete es nicht mehr. In die Kathedrale mochte ich heute auch nicht gehen. Ich machte mir Gedanken, was ich meiner Frau, meinen Kindern und meinem einzigen Enkelkind Joana Marie als Andenken an diesen Pilgerweg mitbringen könnte. Ich bin diesen Weg, wie schon einmal beschrieben, für mein Enkelkind als Bittweg gegangen. So schlenderte ich durch die Gassen und suchte Schmuck- und Juwelierläden auf. Ich hatte vor, jedem ein kleines Pilgerkreuz in Silber, das als Talisman und Glücksbringer dient, zu schenken. In einem Schmuckgeschäft wurde ich fündig und kaufte mehrere Pilgerkreuze. Die Familie erhielt ein Pilgerkreuz mit geschliffener, roter Koralle, das rundum in Silber eingefasst war. Ich kaufte mir ein Gleiches, nur mit einem schwarzen Stein. Ich nahm meine Pilgerkreuze, die Glück und Segen bringen sollen, und ging nur deshalb in die Kathedrale, um die Pilgerkreuze segnen lzu lassen. Anschließend stellte ich mich in der langen Reihe an, die über eine Treppe in den Altarhinterraum führt. Dort umarmten und küssen die Pilger die lebensgroße Statue des Hl. Jakobus. Hier legte ich die Kreuze dem Hl. Jakobus auf die Schulter und sprach ein kurzes Bittgebet. Ich blieb über eine Minute bei der Statue, sehr lange darf man sich nicht aufhalten, da mindestens 15 bis 20 Personen warten, um ebenfalls ein Bittgebet zu sprechen oder Wünsche zu äußern.
Als ich die Kirche betrat, sah ich am Altar, dass das Seil für den Botafumeiro (berühmter Weihrauchkessel) unten hing. An allen Tagen hing es in fünf Meter Höhe mit einem Gewicht daran. Etwas muss ich noch zum Botafumeiro schreiben: Ich habe meine ganze Wegplanung ab Ponferrada mit größerer Tageskilometerleistung überdacht, weil ein deutscher ehrenamtlicher Herbergshelfer mir in dieser Herberge sagte, dass am 8. September Mariä Geburt sei. An diesem besonderen Tag würde der Kelch geschwenkt. Es stellte sich aber bei der Ankunft in Santiago und der Nachfrage im Pilgerbüro als falsch heraus.
Durch die Veränderung am Botafumeiro-Seil ahnte ich, das jemand ein "Schwenken des Weihrauchkübels" gekauft hatte. Nach Information eines Spaniers kann man kostenpflichtig, wie ich schon beschrieben habe, den Kübel schwenken lassen. Dieses kaufen oft Firmen, die einen Betriebsausflug nach Santiago machen, Ausflügler eines Kreuzfahrtschiffes, manchmal auch reiche Personen. Mir war egal, wer hierfür zahlte; ich sah am letzten Tag in Santiago das seltene Schauspiel, das der Botafumeiro geschwenkt wurde. Acht Personen zogen an dem mit Holzkohle und Weihrauch gefüllten riesigen Kelch, der durch das gesamte Kirchenschiff quer zum Hauptaltar mit hoher Geschwindigkeit geschwenkt wurde und Weihrauchfahnen hinter sich her zog. Der Schwenkradius ist über 20 Meter. Ein Mitpilger erzählte mir, dass dieses in früheren Zeiten gegen den ätzenden Körpergeruch der Pilger eingesetzt wurde, um diese Gerüche mit dem Weihrauch zu überdecken und um es in der Kirche überhaupt aushalten zu können. Dieses war noch einmal ein krönender Abschluss vor dem morgigen Heimflug. Zufrieden und glücklich ging ich in die Herberge und bereitete meine Heimreise vor.


37. Tag Die Heimreise

Hurra, heute geht es heimwärts.
Um 6:45 Uhr fuhr der Flughafenbus los, dessen Haltestelle genau vor der Herberge lag. Der Bequemlichkeit halber habe ich genau diese Herberge zum Abschluss des Weges gewählt. Es gibt keine Anschlussschwierigkeiten und man hat eine gewisse Sicherheit, den Bus nicht zu verpassen. Es klappte alles hervorragend. Bus und der Flieger waren pünktlich, so bekam ich den Anschlussbus von Frankfurt Hahn nach Köln und bin dann mit der S-Bahn nach Düsseldorf weitergefahren.
Am Flughafen von Santiago de Compostela sah ich an diesem Morgen viele Personen vom Camino, aber einige vermisste ich auch. Zum Beispiel eine Kerstin aus Bonn, zwei junge Männer aus der Nähe Düsseldorfs und zwei Geschwister aus Bayern. Diese Pilger kannte ich von Gesprächen unterwegs am Beginn des Camino.bei diesen Unterhaltungen sondierte sich heraus, dass wir alle den gemeinsamen Rückflug hatten. Mag sein, dass sie nicht durchgehalten haben, vielleicht haben sie auch umgebucht. Vorher hatten wir uns für diesen Tag am Flughafen verabredet, zumal sie die Tickets wie ich auch bereits gebucht hatten. Ich habe sie vermisst, mag gewesen sein was wolle, hoffentlich keine Krankheiten.
Wie dem auch sei, ich meldete mich am Flughafen in Hahn bei meiner Familie telefonisch an, die mich in Köln abholen wollte. Da es mit der S-Bahn schneller als mit dem Auto geht, rief ich nicht von Köln sondern erst als ich vor der Haustüre stand, an, um alle zu überraschen, was auch gelang. Es war ein sehr schöner Spätsommertag und wir saßen noch bis spät abends auf der Terrasse, aßen mein Lieblingsmenü und entgegen meiner Erwartung konnte ich ununterbrochen über den Camino reden. Einige "Camino-Gänger" die mehrfach gegangen waren, erzählten mir genau das Gegenteil, sie konnten bei der Ankunft zu Hause wenig erzählen. Sie mussten erst "Ankommen", das heißt, man muss alles verarbeiten und verinnerlichen. Dieses Gefühl hatte ich immer an den Zielen in Santiago, in Fenisterre und in Muxia. Da konnte ich nach der Ankunft nur ruhig sitzen und alles in und an mir vorüber laufen lassen.
Das war mein "Casi" (Abkürzung für Camino Santiago) . So nenne ich den Camino, wenn alles gut war, ich gute Laune hatte und ich stolz auf meine Leistung war. Lagen jedoch schlechte Wege oder Regen vor einem, dann nannte ich ihn "Höllenweg". Es sind und waren nicht viele Pilger, die mit bald 70 Jahren bzw. über 70 Jahre beim 2. Weg noch solche Strecken zurücklegten. Dieses erfuhr ich auch bei der Übergabe der La Compostela, als man mir dieses anerkennend mitteilte.
Dieses war mein Dankes-, Bitt- und Bußweg
Ein Erlebnis, das ich nie missen möchte,
eine Erfahrung, die ich nie missen möchte,
viele, viele Begegnungen, die ich nie missen möchte,
es war eine große Herausforderung in meinem Leben, die ich nie missen möchte.


Pilger auf dem Jakobsweg

Keine Aussage über die Streckenlänge. Nur Pilger die in Santiago angekommen sind.
2000 55.000 Pilger
2005 94.000 Pilger
2010 272.000 Pilger
2015 262.000 Pilger
Statistik "Mein Jakobsweg"
Insgesamt 30 Gehtage, davon 26 Tage Saint Jean Piet de Port bis Santiago, 3 Tage bis Finisterre und 1 Tag bis Muxia
Statistik "Mein Jakobsweg"
1. Tag Über die Pyrenäen nach Roncesvalles                               24,8 km 8,5 Std
2. Tag Roncesvalles nach Larrasoana                                            26,5 km 7,5 Std
3. Tag Larrasoana über Pamplona nach Cizur Menor                20,3 km 8,5 Std
4.Tag Cizur Menur nach Puenta la Reina                                       19,1 km 8,5 Std
5. Tag Puente la Reina nach Los Arcos                                           43,1 km 11,4 Std
6.Tag Los Arcos nach Logrono                                                           28,6 km 8,0 Std
7. Tag Logrono nach Azorfa                                                                36,1 km 8,45 Std
8. Tag Azorfa nach Belorado                                                               38,3 km 9,0 Std
9. Tag Belorado nach Ages                                                                  28,1 km 10,0 Std
10. Tag Ages über Burgos nach Tardajos                                         34,1 km 10,0 Std
11. Tag Tardajos nach Castrojeriz                                                      30,3 km 8,1 Std
12. Tag. Castrojeriz nach Fromista                                                     29,1 km 7,5  Std
13. Tag Fromista nach Calzadilla de la Cueza                                37,6 km 8,0 Std
14. Tag Calzadilla de la Cueza nach El Burgo Ranero                  30,7 km 9,15 Std
15. Tag El Buro Ranero nach Puente Villarente                              25,1 km 8,5 Std
16. Tag Puente Villarente nach über Leon nach Virgen d C        21,1 km 6,5 Std
17. Tag Virgen del Camino nach Hospital de Orbigo                     27,6 km 7,5 Std
18. Tag Hospital de Orbigo über Astorga nach Rabanal d C        37,7 km 9,45 Std
19. Tag Rabanal del Camino, Cruz Ferro nach Ponferrada          32,6 km 11,0 Std
20. Tag Ponferrada nach Trabadelo                                                   34,7 km 9,o Std
21. Tag Trabadelo , O Cebeiro (1308m) nach Fonfria                     30,9 km 8,15 Std
22. Tag Fonfria nach Sarria                                                                 34,1 km 7,15 Std
23. Tag Sarria über Porto Marin nach Gonzar                                30,5 km 8,0 Std
24. Tag Gonzar nach Melide                                                                32,3 km 7,15 Std
25. Tag Melide nach Pedrouzo/ Arco do Pino                                  33,2 km 7,15 Std
26. Tag Pedrouzo/Arcodo Pino nach Santiago de Compostela  21,1 km 4,15 Std
27. Tag Ein freier Tag in Santiago de Compostela
28. Tag Santiago nach Gregarine ( nach Fenisterre)                      21,1 km 6,0 Std
29. Tag Negreira nach Olveiroa                                                            33,2 km 8,0 Std
31. Tag Ruhetag in Finisterre
32. Tag Finisterre nach Muxia                                                              33,8 km 10,0 Std
33. Tag Ruhetag in Muxia
34. Tag Ruhetag in Santiago de Compostela
35. Tag Ruhetag in Santiago
36. Tag Ruhetag in Santiago
37. Tag Ruhetag Santiago
38. Tag Heimreise
Ungefähre Ausgaben pro Tag

Frühstück € täglich 5.- bis 8.-
Trinken und Obst täglich 5.- bis 8.-
Abendessen täglich 10.- bis 20.-
Übernachtung (Herberge) täglich 5.- bis 15.-
Täglich Gesamtausgaben zur Planung 25.- bis 40.-
Dieses sind Kosten für Essen und Trinken, hinzu kommen Kosten für Bus, Flug, Bahn evtl. Spenden
Mehr Statistik Camino Francaise
Ich bin 2 mal über 1000 Km Jakobsweg gegangen.
Es waren 11 960 Höhenmeter je Weg zu überbrücken
Die Strecke von Saint Jean Piet De Port bis Santiago sind etwa 800 Km.
Diese ersten 800 Km bin ich in 26 Tagen gegangen
Das sind durchschnittlich 30,8 Km täglich.
Den Weg von Saint Jean Piet De Port bis Muxia ging ich in 30 Tagen
Gehzeit gesamt etwa 250 Stunden incl. Pausen.
Das sind durchschnittlich 8,3 Stunden tägliche Gehzeit incl. Pausen
Durchschnittliche Kilometer pro Stunden : 4 Km ( incl. Pausen)
Die von mir geschätzten Altersstrukturen: August- September
Alter 20 bis 40 Jahre etwa 65 %
Alter 40 bis 60 Jahre etwa 20 %
Alter unter 20 Jahre + über 60 Jahre 15 %
Die von mir geschätzte Nationalitätenstruktur: August- September
Spanier etwa 55 %
Franzosen 15 %
Italiener 15 %
Deutsche 5 %
Sonstige 10 % Polen, Tschechen, Südkorea, Australien,
Benelux Länder, Dänen, Neuseeländer
Das Wetter: August-September
In den Regionen Navarra, Rioja, Castilla und Leon mit Ausnahme von 1 Stunde Regen in der Meseta und starken Wind in den Pyrenäen nur gutes Wetter.
In der Region Galicien sehr häufig und sehr viel Regen durch den Atlantikeinfluss.
Ähnlich wie im Regenloch Düsseldorf.
Morgendliche Abmarschzeit: Anfangs meist morgens zwischen 6:30 Uhr und 6:45 Uhr
Ab Galicien wurde es später hell, dann Abmarsch gegen 7:00 Uhr
Meine Einschätzung zur Streckenbewältigung
Nur etwa 20 % der in Santiago de Compostela ankommenden Fußpilger gehen den gesamten Camino Francaise, meistens werden Teilstücke gegangen. Radpilger sind mit wenigen Ausnahmen fast ausschließlich Spanier, ich habe nur 2 deutsche Radpilgerpaare getroffen.
Mein Gewicht
Bei der Abreise am 4. August habe ich 86,2 Kg netto morgens gewogen.
Am 10. Tag in Burgos habe ich mich zum 1. Mal gewogen. 82.0 Kg angezogen mit Schuhe
Am 22. Tag in Sarria wog ich noch 79.8 Kg
Am 25. Tag in Arco de Pino nur noch 78.5 Kg obschon ich sehr viel gegessen habe.
Einen Tag später in Santiago de Compostela waren es 77.8 Kg
Alle Orte am Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela
Ortsübersicht
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Anreise Düsseldorf - Saint-Jean-Pied-de-Port

Bin am 5. August kurz nach 2:00 Uhr aufgestanden, weil ich nicht schlafen konnte. Ich war sehr nervös. Organisiert war zwar alles hervorragend. Ich hatte etwa ein Jahr zuvor mit der Feinplanung begonnen. Die Frage war, klappte auch alles, wie ich es mir vorstellte? Habe mir einen starken Kaffee gemacht und bin um 3:45 Uhr zum Düsseldorfer Hauptbahnhof gefahren worden. Nach 4:00 Uhr kam die erste S-Bahn nach Köln, wo um 5:45 der Bus zum Flughafen Frankfurt Hahn fuhr. Dort flog um 11:00 Uhr der Ryanair Flieger nach Biarritz / Bayonne in Frankreich.

Ich kann jetzt schon sagen, dass alles hervorragend ablief. Es gab keine Verspätungen oder Pannen. Etwas mehr als zwei Stunden nach dem Abflug standen wir in Frankreich an der Flughafenbushaltestelle nach Bayonne. Um 13:40 Uhr fuhr der Bus zum Bahnhof und um 14:40 Uhr Abfahrt des Zuges nach Saint-Jean-Pied-de-Port, wo wir ca. 15:50 Uhr ankamen. In dem Flieger waren 12 Pilger, die als Gruppe bis Saint-Jean-Pied-de-Port zusammen blieben. Gemeinsam gingen wir ins Pilgerbüro, wo es Pilgerausweise und eine Einweisung, sowie Unterlagen über den Jakobsweg gab. Die Leute im Pilgerbüro waren sehr, sehr freundlich und hilfsbereit. Sie riefen in einer Herberge im Vorort von Saint-Jean-Pied-de-Port in Honto an, ob noch vier Betten frei seien. 8 der Pilger aus dem Flieger wollten, weil sie zu müde von der langen Anreise waren, im Ort bleiben. So gingen nur vier, Angelika, eine Studentin aus dem Sauerland, die in Siegen studierte und knapp über 20 Jahre alt war, zwei Männer aus Niederbayern, Erich nicht viel älter als 50 Jahre und Jo bald 60 Jahre sowie ich als Alterspräsident der Gruppe, gleich in Richtung Pyrenäen los. Es ging direkt steil bergauf und sofort trennte sich der Streu vom Weizen. Erich und ich gingen flott, Jo etwas langsamer und unsere Studentin ging den Berg noch etwas langsamer als Jo hoch. In unserer vorbestellten Herberge kamen wir nacheinander in einer Zeitspanne zwischen 30 und 45 Minuten an. Unsere junge Studentin sah unheimlich fit und sportlich aus, war auch nicht zu zart gebaut. Anfangs dachten wir, es würde uns Schwierigkeiten bereiten, mit ihr mitzuhalten. Wir drei Männer warteten anfangs oft auf sie und einer sagte "Angelika geht fast so langsam wie eine Schnecke".
Nachdem wir vier unser Fünfbettzimmer belegt hatten, geduscht und umgezogen waren, gingen wir ins Restaurant, um unser erstes Pilgermenü zu essen. Es war ein gutes Menü, Suppe, Eierkuchen - eine Spezialität aus dieser Gegend - Fleisch, Salat und Obst sowie Brot und Wein. Angelika bekam während des Essens eine SMS ihrer Mutter. Sie war hocherfreut und las uns den Text vor: "Hallo S C H N E C K E, wie geht es......" Wir Männer lachten klammheimlich.
An einem großen Esstisch saßen wir mit 15 Personen aus aller Herren Länder: Italiener, Franzosen, Polen, Österreicher und Deutsche. So stellte ich mir den Jakobsweg vor. Alle Nationen, Jung und Alt, Männlein und Weiblein, alle an einem Tisch. Erwähnenswert ist noch, dass das Restaurant der Herberge als Terrasse am Hang, mit herrlichem Ausblick auf die Berglandschaft, ausgebaut war. An diesem Abend sahen wir für mich eines der schönsten Gewitter in den Bergen, die ich je gesehen hatte. Es war wie ein schönes, langes und gewaltiges Feuerwerk vor dem Hintergrund der Pyrenäenberglandschaft. Es dauerte über eine Stunde. Die Bilder waren so gewaltig, dass ich sie mein Leben lang nicht mehr vergessen werde.
Nach dem Essen gingen wir schnell in unser Fünfbettzimmer. Ich habe nicht gut geschlafen, trotz des anstrengenden Tages und ab 1:00 Uhr in dieser Nacht nur noch beduselt, dieses ist ein rheinischer Ausdruck für einen nicht festen Schlaf oder Halbschlaf. 


1. Tag Über die Pyrenäen nach Roncesvalles / Ortega

Heute ist der zweite Mittwoch im August.
Es beginnt die große Wanderung auf dem Jakobsweg über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela. Kurz nach 7:00 Uhr ging es los. Der Weg begann tierisch steil bis zur Auberge Orisson, wo eine Serpentinenstraße, durch Querfeldein in gerader Flucht gehen, stark abgekürzt wurde. Es geht immer bergauf. Den Verlauf meines Weges auf einem Bergrücken kann ich kaum erkennen. Ich schaue nach oben, meine der Gipfel wäre bald erreicht, als ich jedoch diese fixierte Stelle erreichte, macht der Weg eine Biegung und alles begann von vorne. So erging es mir auf dem gesamten Aufstieg, es kam mir teilweise wie eine Fata Morgana vor. Ich hatte absolut kein Höhengespür mehr.
Auf 1.000 Meter Höhe hatte ich das Gefühl, auf der Zugspitze zu sein. Nachher bei 1.500 Meter war es der Mount Everest, den ich glaubte, erklommen zu haben. Aber über der Baumgrenze (die Höhe in den Bergen, in der nur noch Krüppelholz wächst) kam es noch schlimmer. Starker Wind bergab, beziehungsweise ablandiger Wind und ein paar Meter weiter um den Berg waren es sehr starke, aus dem Tal bergauf wehende Winde. Diese ließen es nicht zu, einen Hut bzw. Mütze zu tragen, da die Böen Sturmstärke erreichten.
Ein nettes Erlebnis war das Folgende: Ein Paar, Mitte 20, ging etwa 40 Meter vor mir. Ich sah, wie der junge Mann mit seinem Hut kämpfte. Plötzlich hatte der Wind gewonnen. In rasender Geschwindigkeit flog der Hut, es war eine Art Strohhut, in Richtung einer grasenden Schafherde. Als der Hut bei den Schafen angeflogen kam, der Träger des Hutes hinterher, wichen die Schafe nach rechts und links aus und machten eine Gasse für den Hut und den Hutfänger frei. Nahe am Hut, schmiss der Mann sich auf ihn - leider vergebens. Durch den gewollten Fall hatte er die Beine bis zu den Knien voller Schafsdung. Bald hatte er seinen Hut und kam total aufgelöst zurück. Seine Partnerin und ich, verfolgten das lustige Spiel und krümmten uns vor Lachen. Der Hutbesitzer stimmte ebenfalls mit lautem Lachen ein, als er angeekelt seine Beine reinigte. Von hier aus ging es immer weiter bergan, zum Teil über Geröllwege, zum Teil über ausgetretene Pfade. Der Weg war nicht einfach zu gehen und mir sollte das Lachen vergehen. Ich bekam von dem starken Wind Ohrenschmerzen. So machte ich eine Pause bis Jo kam, der eine Apotheke vom Feinsten bei sich trug. Er hatte beim Anstieg am Vortag mir aufgezählt, an was er alles gedacht hatte und was eventuell benötigt wurde. Also auch Schmerztabletten und Tropfen für meine Ohren. Kurzfristig glaubte ich, es würde besser, aber das war ein Irrtum.
Bis 14:00 Uhr ging es weiter nur bergauf. Als ich am Pass Col de Lepoeder auf ca. 1430 m zur höchsten Stelle kam, lag tatsächlich ein fast sieben Stunden langer Aufstieg hinter mir. Unterwegs gab es einige Wasserstellen und bis hier oben hatte ich sechs Liter Wasser getrunken. Aber es hat mich nur ein Mal in die Büsche verschlagen. Den Wasserverbrauch konnte ich gut kontrollieren, denn ich hatte zwei Flaschen, mit je dreiviertel Liter bei mir. Eine seitlich am Rucksack und eine in meiner Gürteltasche. Unterwegs habe ich drei Mal an Wasserstellen, von denen es in Spanien am Jakobsweg sehr viel gibt, nachgefüllt. Verdursten kann man dort nicht. Hieran konnte ich erkennen, wie viel ich geschwitzt habe.
Teilansicht des mittelalterlichen Schlafsaales in Roncesvalles
Am Pass, den Jo und ich gemeinsam erreichten, warteten wir auf "Schnecke". Diesen Namen hatte sie weg, aber Schnecke war verschollen.
Immer wieder tauchte der Satz "Wo ist Schnecke?" auf und dieses erinnerte mich stark an die Reportage von Bruno Moravetz bei den Olympischen Spielen 1980 als er sehr, sehr oft den Satz " Wo ist Behle?" fragte, und dieser trotz bester
Zwischenzeit nie im Fernsehbild erschien. Lange haben wir gewartet, Ankommende gefragt, ob sie Angelika gesehen hätten, bis jemand sagte, dass sie sich auf einer Wiese ausgeruht hätte. Wir mussten weitergehen, da noch ein 5 Km Weg bergab vor uns lag. Wenn jemand sagt, bergab wäre leichter als bergauf, der irrt. Viel mehr Verletzungen entstehen bergab, was ich auf meinem zweiten Pilgerweg nach Santiago noch erleben sollte. Irgendwann um etwa 15:45 Uhr kamen wir dann in Roncesvalles ohne Mühe an. Ich hatte jedoch immer noch Ohrenschmerzen.
Das Pilgerbüro in Roncesvalles öffnet erst um 16:00 Uhr, somit hatte ich noch eine viertel Stunde Zeit. Pünktlich ging es ins Pilgerbüro, ich füllte mein Formular aus, bezahlte meinen Obolus für das Nachtlager und ging in die Herberge. Es ist ein mittelalterlicher Pilgersaal, riesig groß, und innen standen 60 Etagenbetten, also für 120 Personen, und er war ausgebucht.
Abends, etwa zweieinhalb Stunden nach uns, sah ich dann auch Schnecke eintreffen, die sich, wie schon gesagt, unterwegs auf einer Alm lange ausgeruht hatte. Um 20:00 Uhr ging ich in die Kirche, um den Pilgersegen zu empfangen, zuvor war ich noch essen. Danach, noch früh am Abend, wollte ich in die Herberge gehen und schlafen, denn am nächsten Tag musste ich gut ausgeruht sein. Es kam anders als gedacht.
In dem riesigen Refugio standen je 20 Etagenbetten in 3 Reihen, also 120 Betten. Als das Licht um 22:00 Uhr Uhr gedimmt wurde, lag in der Mitte des Pilgergebäudes ein Schnarcher, der so was von laut und in solchen Extremtönen schnarchte, das viele nicht schlafen konnten, ebenso wie ich. Zudem hatte ich noch leichte Ohrenschmerzen. Bald pfiffen einige leise. Die, die neben dem Schnarcher lagen, stießen ihn leicht an. Es änderte sich nichts. Bis jemand ihn etwas stärker rüttelte. Der Extremschnarcher drehte sich weiter schlafend auf die Seite und eine Minute später zurück auf den Rücken und alles begann von vorne. Ich schlief in dieser Nacht nicht, sagte mir zur Beruhigung, dass allein das Liegen schon für Erholung sorgen würde. Von späteren Berichten weiß ich, das ein junger Mann wegen der schlaflosen Nacht (er lag näher am Schnarcher als ich) und des anstrengenden Anstiegs am Tag, die Pilgertour abgebrochen hat und entnervt nach Deutschland gefahren ist. Meine Informationsquelle war seine Freundin und wiederum deren Freundin, die ich einige Tage später nach meinem 43 Km Marsch kennen lernte.


 2. Tag Roncesvalles nach Larrasoana

Ich habe heute schon die dritte Nacht hintereinander nicht oder schlecht geschlafen, sei es aus Nervosität oder aus anderen Gründen. Also stand ich als einer der Ersten in der Herberge ganz leise auf und duschte mich, um fit und frisch zu werden. Danach fühlte ich mich dementsprechend, wohl kann man nicht sagen, und bin sehr früh am Morgen, noch bei Dunkelheit kurz nach 6:00 Uhr, abmarschiert. In Burguete, dem nächsten Ort, wartete der Inhaber der einzigen Bar, schon auf die ersten Pilger. Bei ihm frühstückte ich dann. Der Aufenthalt war kurz, denn ich wollte in dem nächsten größeren Ort mit meinen Ohrenschmerzen einen Arzt aufsuchen. In Zubiri, dem dann folgenden größeren Ort nach 21 Km, dachte ich, einen Arzt zu finden. Dieses war jedoch nicht der Fall, aber es gab eine Apotheke. Unterwegs, auf dem Weg zur Apotheke, verkrampften sich auch noch meine Finger, immer und immer wieder. Es war Magnesiummangel, wie die Apothekerin mir berichtete. Neben den Ohrenschmerzen noch eine Unannehmlichkeit. Es fing schon gut an mit meiner Tour...
Die Apothekerin war klasse. Wie sie mir sagte, war sie Ärztin und sprach sogar etwas deutsch. Sie schaute in mein Ohr, das fürchterlich nässte, und jetzt bekam ich erneut einen sehr starken Krampf in den Händen. Hiervon nahm sie sofort Notiz, wie verformt meine Finger in alle Richtungen zeigten und gab mir Ohrentropfen, die sie mir sofort eintröpfelte und Magnesiumtabletten, die sie mir mit einem Glas Wasser reichte. Das war für insgesamt € 6.- perfekte Pilgerhilfe.
Etwas zuversichtlicher gelaunt ging ich noch in den Lebensmittelladen um Vitamine einzukaufen. Dieses behielt ich ab jetzt auf der gesamten Tour bei. Immer wenn es möglich war, holte ich mir frisches Obst in einem Laden. Anschließend besichtigte ich den Ort Zubiri. Dort war eigentlich nichts sehenswert, außer eine mittelalterlichen Brücke, die "Brücke gegen die Tollwut". Man berichtet hierüber, dass, wenn sie in früheren Zeiten von tollwutkranken Tieren überquert wurde, waren diese Tiere angeblich von der Tollwut geheilt. Schön wäre gewesen, wenn sie auch gegen Ohrenschmerzen geholfen hätte.
An dieser Brücke lernte ich vier Studenten aus der Tschechischen Republik bei einer kurzen Fotorast kennen, die den Weg nach Santiago in nur 20 Tagen gehen wollten. Die Gruppe erinnerte mich an Japaner. Gruppenfoto vor Brücke, aufgestellt, Foto geschossen und weiter. Alles im Eiltempo. Sie liefen und ich ging weiter nach Larrasoana, wo ich am frühen Nachmittag die 27 Km hinter mich gebracht hatte.
Ich ging zur Herberge und nach dem alltäglichen Ritus beim Ankommen in einer Herberge, stellt man den Rucksack am Eingang in Reihenfolge des Ankommen ab, wenn sie noch geschlossen ist. Aber nicht so heute, denn es war später und sie war schon geöffnet. Ich zog die verschwitzte Kleidung aus, wusch derselben, dusche und zog frische Kleidung an. Danach legte ich mich zuerst einmal auf mein Bett. Es war ein 14-Bett-Zimmer. Da ich im Raum alleine war, hatte ich Ruhe und pflegte mein Ohr, indem ich jede Stunde Tropfen einträufelte. Damit man sich in der Heimat nicht beunruhigte, sagte und schrieb ich niemandem von meiner Pein.
Unser abendliches Pilgermenü nahm ich gemeinsam mit drei angehenden Studenten aus dem Cloppenburger Land in Niedersachsen zu mir. Diese Jungs, die nach dem Camino Pilgerweg ihr Studium beginnen wollten, gingen aus religiösen Gründen den Weg.
Bis Puenta la Reina gingen wir oft gemeinsame Wegabschnitte. Dann verlor ich sie aus den Augen. Als ich diese Gruppe an meinem 35. Tag in Santiago traf, also nach der Rückkehr vom Meer, sagten sie mir, sie hätten sich nicht gehetzt und seien langsam gegangen. Sie haben für die 800 Kilometer 10 Tage mehr benötigt als ich.
Bei meinem nächsten Camino Frances werde ich auch kleinere Abschnitte gehen, um mehr über Land, Menschen, Kultur, Sagen und Legenden, am und über den Weg zu erfahren. Heute habe ich nach einer dreiviertel Liter Flasche Wein, die ich beim Pilgermenü am Abend getrunken habe, sehr gut geschlafen.


3. Tag Larrasoana über Pamplona nach Cizur Menor

Als die ersten Morgenstrahlen am noch dunklen, sternenklaren Himmel durchbrachen, wanderte ich los. Heute war Pamplona auf dem Programm und da die Städte bekanntlich nachmittags sehr heiß sind, wollte ich früh zur Stadtbesichtigung dort sein. Es war ein nicht so schwieriger Weg und so war ich vor 11.00 Uhr am Ortsrand von Pamplona, mit dem herrlichen Panorama der Stadt und seinen Kirchen. Man erreicht die Stadt entlang alter Befestigungsmauern und einem alten Stadttor. Es mutet auf dem ersten Blick alles mittelalterlich an, ich gehe schnell weiter und erreichte bald die Altstadt.
Pflicht in Pamplona ist der Besuch der gotischen Kathedrale. In der Altstadt sind folgende sehenswürdige Gebäude zu finden: Die Wehrkirchen San Nicolas und San Saturnino, der Palast der Könige von Navarra, die San Fermin Kapelle, die San Lorenzo Kirche mit dem riesigen Goldaltar, das Pablo Sarasate Museum und der Plaza del Castillo. Dieser Platz ist das Herz Pamplonas, wo man in den Straßencafés etwas trinkt und das geschäftige Treiben in den Gassen erlebt. Bei mir entstand der Eindruck, als ob die ganze Stadt Urlaub machte. Nur ich nicht. Ich ging weiter.
Noch ein paar Anmerkungen von mir zu der 800 Meter langen Strecke, auf der die Stiere in die Arena von Pamplona zum Fest San Fermin am 6. Juli getrieben werden.
Die Absperrungen für Häuser und Straßen waren auch einen Monat später noch überall zu sehen. Meine Zustimmung findet nicht, dass in Pamplona immer noch Stiere unter dem Jubel der Zuschauer durch die Gassen gehetzt werden. Jedes Jahr verletzen sich Hunderte Menschen, einige sterben sogar. Das ist nicht das einzige Spektakel, das umstritten ist. Es sollte ebenso wie der Stierkampf verboten werden. Das Spektakel lockt nur Spanier und Touristen an.
Nachdem die Altstadt verlassen wurde, habe ich mir in einem Supermarkt ein großes Baguette und etwas Wurst gekauft. Es war wie immer, wenn man mit Hunger im Bauch einkauft, viel zu viel. Beim Verzehr auf einer Bank im nahe gelegenem Park, kam gerade Markus vorbei und ich gab ihm die Hälfte meines Einkaufs ab. Zusammen mit Markus schlenderte ich noch etwas umher und anschließend gingen wir in Richtung Universität, zur Herberge in das ein paar Kilometer entfernte Cizur Menor, wo wir spät am Nachmittag eintrafen. Heute bin ich nur 21 Km gegangen, Pamplona war es wert. Die private Herberge, gegenüber des Malteser Ordens, hatte einen großen Garten
Wappen von Pamplona
und so ließ ich es mir bis zum Abendessen gut gehen. Wir führten interessante Gespräche bei einer Cola im Garten der Herberge mit Pilgern aus verschiedenen Ländern, jung und alt, männlich und weiblich. Es waren einfach interessante und gute Gespräche über alles mögliche.
Abends um 20.00 Uhr gab es im nahe gelegenen Restaurant als Pilgeressen viel Pasta, ein halbes Hähnchen, Tiramisu und wie immer Brot, Wasser und Wein.
Es war an diesem Abend wieder ein international besetzter Tisch mit folgenden Nationalitäten: eine Belgierin, eine Irländerin, zwei Australier, eine Schwedin und noch ein Deutscher, außer mir. Die Schwedin hatte schon ab den Pyrenäen starke Knieprobleme, ist vier oder fünf Etappen immer mit dem Bus gefahren, um bei ihrer Gruppe zu bleiben und ab Azorfa habe ich sie nie mehr gesehen. Den Deutschen, habe ich das letzten mal in Los Arcos gesehen und dann hat er, wie ich in Santiago erfahren habe, mit größten Magenproblemen aufgeben müssen. Er war ein toller Typ. Ehemals Metzgermeister, der es, mit viel Glück und Fleiß, zu einer Fleischfabrik gebracht hat. Diese hat er mit guter Rendite verkauft und wurde zum Weltenbummler. Er war erst knapp 40 Jahre alt und konnte faszinierende Reisegeschichten erzählen. Bei mir im Kopf ist er als "Cheeky Monkey" hängen geblieben. Das war seine interessanteste Geschichte aus Australien, wobei es sich um Erlebnisse, um, über und in einer Bar am Strand handelte. Es gab Painting und Bikini Abende und mehr. Das ist auch schon alles was ich darüber schreiben möchte.
Auf meinem 2. Jakobsweg traf ich auf der Strecke nach Cizur Menor zwei Österreicherinnen. Beim Gespräch erfuhr ich eine schöne Geschichte, die mich zu Überlegungen anregte. Es waren Cousinen, wohnhaft in Klagenfurt am Wörthersee. Ich nenne sie einfach mal Karin und Sylvia, die vom Alter her beide bald 50 Jahre alt wurden. Das Interessante an der Geschichte war, das die Jüngere der beiden ihrer Cousine eine Begleitung auf dem Jakobsweg zum Geburtstag geschenkt hat. Was ich faszinierend finde, ist das man mit einem immateriellen Geschenk viel mehr Freude schenken kann, als mit einem herkömmlichen Geschenk. Wie oft zerbricht man sich den Kopf, was kann ich schenken. Bei einem immateriellen Geschenk muss ich mir auf jeden Fall Gedanken machen und das sollte vorher und frühzeitig sein. All diese Gedanken kamen mir in den nächsten Tagen und mir fielen einige Beispiele ein. Ein Bedienungstag, eine Einladung zum Komfortfrühstück, Bekochen, Auto-, Fahrrad- oder Schuhe putzen, im Garten arbeiten, Massage, Fußmassage, Weihnachtsmarktbummel, Fahrdienst oder Begleitdienst usw. Es gibt viele individuelle Geschenke, man muss nur etwas kreativ denken.


4. Tag Cizur Menor nach Puente la Reina


Wieder im Morgengrauen Abmarsch zusammen mit Markus, wir hatten uns gegenseitig gerne als Wegbegleiter, obwohl ich viele Jahre älter war. Wir gingen in Richtung in Richtung der Bergkette Sierra del Perdon (Berg der Läuterung), die ich erst bei Sonnenaufgang mit seinen vielen, vielen Windrädern erkennen konnte. Der Weg führt lange durch Felder bergan, immer zu dem am weitesten und am höchsten stehenden Windrad. Die Windräder verunstalten eigentlich die gesamte Landschaft. Nicht nur hier, sondern auf fast jedem Bergkamm sieht man manchmal bis zu 100 dieser Stromerzeuger. Manche bezeichnen eine Ansammlung von sehr, sehr vielen Windrädern als Windpark. Eine nette Beschönigung. Meiner Meinung nach, kann eine Landschaft nicht mehr verunstalten werden, als mit Unmengen dieser Windräder. Der Weg führt an einigen in Betrieb befindlichen Windrädern vorbei und durch das Zerschneiden der Luft mit dem Propeller zischt es so, das man denken kann, bei einem Düsenflugzeug würden die Motoren geprüft.
Meine Gedanken sind dahingehend, dass wir Stromenergie benötigen, hoffentlich nicht immer mehr und immer mehr. Ob nun Windräder, Atomstrom, Steinkohle, Erdöl, alles schadet der Welt und wir vernichten unsere Welt immer mehr und immer schneller.
Einige Meter vor der Passhöhe erreicht man die `Quelle der Abkehr` (Fuente de Reniega), dann das Pilgerdenkmal und auf 735 m den Pass Alto del Perdon. Das Pilgerdenkmal ist eine pilgernde Menschen- und Tiergruppe aus Eisen. Interessant, weil es vor einem steilen Hang steht und man durch das Denkmal hindurch die Bergwelt Navarras als Hintergrund sehen kann. Ein fantastisches dreidimensionales Bild, wenn man sich die Zeit nimmt, es zu genießen.
Markus und ich legen hier eine Rast ein, danach geht es einen steilen und steinigen Hohlweg, der ins Tal führt, hinunter. Über Uterga kommen wir in den Ort Muruzabal. An einem Platz mit einem Trinkwasserbrunnen, wo ich meine Flaschen wieder füllte, führt rechts ein Umweg zur alten Templerkirche Santa Maria de Eunate.
Der Umweg lohnt sich. Nach etwa 3 Km ist die Kirche erreicht. Wenn man hineingeht und sich auf eine der alten Holzbänke setzt, genießt man das warme Licht, das durch den weißem Marmor strahlt und seltsam, diffus den Innenraum beleuchtet. Diese romanische Kirche mit achteckigem Grundriss liegt an dem Aragonesischen Pilgerweg, der aus Somport kommt. Hier vereinigen sich 3 Km später in Obanos der Navarischen Weg und der Aragonesische Weg und führen weiter zu dem großen Ziel, Santiago de Compostela.
Nach der einstündigen, lohnenswerten Rast an und in der Kirche erreichten Markus und ich bald Puente la Reina. Durch die Gassen mit alten Adels- und Bürgerhäusern gehend, gelangten wir zur Santiago Kirche, die eine berühmte Holzfigur aufweist, den Santiago Peregrino mit Stab und Muschel aus dem 14. Jahrhundert. Für Pilger ein "Muss" dort vorbei zu gehen.
Die zweite Kirche ist die Templerkirche Iglesia del Crucifijo, die drei gewaltige goldene Altäre im hinteren Kirchenschiff, wie ich sie in Deutschland in solcher Größe noch nie gesehen habe, hat. Alle Altäre zogen sich bis ans Kirchendach, ich schätze mehr als 20 Meter, hoch.
Von hier ging es weiter über die berühmte Brücke aus dem 11. Jahrhundert, die der Stadt den Namen gab, Puenta la Reina, direkt zur Herberge hinter der Brücke. Ich war ziemlich müde, als ich mich auf dem Hohlweg den Berg zur Herberge hoch schleppte. Bald oben angekommen, sah ich den blauen Swimmingpool und mein Schritt wurde doppelt so schnell, ja ich hatte das Gefühl, bergauf zu rasen.
Die Herberge war geräumig, mit großem Saal, in dem gegessen wurde und geräumigen Sanitäranlagen. Die Schlafräume hatten unterschiedliche Größen. Markus und ich waren in einem 8 Betten Raum, abends traf ich den Cheeky Monkey wieder, der erkrankt war und hier lernte ich den südkoreanischen Priester kennen, den ich noch häufig sehen werde und über den ich später noch einiges berichten werde. Wieder ein international besetztes Abendessen, inklusive Bier, Fisch, Kartoffeln und als Vorspeise Pasta. Alles, Übernachtung und Essen, haben zusammen nur € 18.- gekostet.
Auf meinem 2. Jakobsweg sah ich auf der Strecke zum Pilgerdenkmal Alto Perdon, etwa 100 Höhenmeter oder 2,5 Kilometer vor dem Gipfel schon aus der Ferne zwei Frauen, die sehr, sehr langsam gingen. Immer näher kommend, sah ich, das eine der Frauen schwer verletzt sein musste. Ich beeilte mich, da ich helfen wollte und erreichte beide Damen bald. Es stellte sich heraus, das Ulla aus einer deutschen Stadt an der Mosel kommend, beide Beine gelähmt hatte. Mit größter Mühe konnte sie einen Fuß vor dem anderen setzen. Ihr größter Wunsch war den Jakobsweg zu bewältigen. Und so gingen die Frauen häufig kleinere Teilstücke über mehrere Jahre. Es ging sehr langsam voran. Alle Pilger, die des Weges kamen, halfen der Begleitung, entlasteten sie, indem sie Ulla stützten. Hier am Hang waren immer zwei Personen nötig, um ihr unter die Arme zu greifen. Als wir nach mehr als einer Stunde am Pilgerkreuz ankamen, warteten schon einige Pilger, die das Gepäck der beiden mitgenommen hatten. Ab hier wurde sie mit einem Fahrzeug abgeholt. Sie ist so eine starke Frau, gut gelaunt, freundlich und lebenslustig. Für mich ist Ulla die Heldin meines 1. Jakobsweg. Ich wünsche ihr, das sie ihr Lebensziel, Santiago zu erreichen, verwirklichen kann.


5. Tag Puente la Reina nach Los Arcos.


Heute fühlte ich mich gut ausgeschlafen und sehr wohl. Ich glaube, mein Körper hat sich an die Anstrengungen - oder soll ich Strapazen sagen - gewöhnt. Es war gerade 6:00 Uhr, als ich alleine, also ohne Markus, obwohl er eigentlich mit mir gehen wollte, abmarschierte. Markus schlief noch fest und ich wollte ihn nicht wecken. Irgendwann werden wir uns in den nächsten Tagen wiedersehen
Zunächst ging es ziemlich steil bergan, in einen Bereich, in dem man zeitweise parallel zur Autobahn geht. Hier bemerkte ich, da so früh nur wenige Autos fuhren, dass viele Autofahrer, die auf der Autobahn fuhren, Pilger anhupten und herzlich grüßten und winkten. Da der südkoreanische Priester und vor ihm noch drei Pilger und dann ich, wie Perlen an der Schnur im Abstand von etwa 100 Meter gingen, war es an diesem frühen Sonntagmorgen ein lautes Hupkonzert unterschiedlicher Hubtöne, das den Sonntag einläutete. Ich glaube, in Deutschland würde man am Sonntagmorgen dafür bestraft, wenn man fünf Pilger hintereinander anhupt. Ich fand das Morgenkonzert nicht schlimm, aber wir werden ja noch ein besseres Konzert erleben.
Die Strecke war nicht leicht, meist Trampelpfade und steinige Wege bergauf und bergab. Nach gut zwei Stunden kam ich nach Cirauqui. Dieser Ort ähnelt einer mittelalterlichen Festung, die am und auf einem Berg gelegen ist. Durch eine Passage gelangte ich in dem ebenfalls mittelalterlichen Ortskern. Bald hörte ich sehr schöne Chormusik, ein gemischter Chor, von Instrumenten begleitet. Ich ging weiter, die Musik, so dachte ich, würde als Sonntagmorgenkonzert im Radio gesendet, denn überall hörte ich sie mal leiser, mal lauter. Es war ja möglich, da die Fenster und Fensterläden geöffnet wurden und die Leute den sonnigen Sonntagmorgen begrüßten. Als ich weiter ging, sah ich am Ende einer Seitengasse einen gemischten Chor mit Akkordeon und Gitarrenspieler. ^ Diese - ich schätze 12 bis 15 Personen - gingen von Gassenende zu Gassenende, sangen ein Lied und gingen zur nächsten Gasse. Es war ein herrlicher Empfang für mich an diesem Sonntagmorgen in Cirauqui.
Gut gelaunt geht es immer bergauf, bergab, mal an der Autobahn vorbei, mal über, mal unter der Autobahn durch. Der Weg führt durch Felder und Weinanbau nach Estella. Die nächsten 10 Km ging ich mit Kerstin, ihrer Freundin und einem Italiener, die ich unterwegs traf, bis zur Herberge Estella. Die drei wollten hier bleiben, da es aber erst früher Mittag war, nahm ich mir vor, zwei Stunden bis Villamajor de Monjardin weiter zu gehen. Es folgte ein kurzer Abschied und weiter ging es.
Kurz hinter Estella kommt man an die Bodega Irache vorbei. Hier gibt es für Pilger an einem Wasser- und Weinbrunnen kostenlosen Wein zur Stärkung. Diesen hatte ich nötig. Ich trank ein "Viertel" und gut gelaunt nahm ich noch eine halbe mit Wein gefüllte Wasserflasche mit. Als Krönung des Tages wollte ich diesen Wein abends gemütlich zum Abendessen trinken.
Immer steil bergan wandernd, war ich am frühen Nachmittag in Villamajor, das oben auf einer Bergkuppe liegt. Körperlich etwas geschafft vom Anstieg (oder etwa dem Wein?), was man mir wahrscheinlich ansah, erreichte ich einen am Weg liegenden Erholungsraum für Pilger. Der ehrenamtlich tätige deutsche Hostalero reichte mir sofort ein Glas Limonade aus Naturzitrone und nach einem zweiten Glas und ein paar Minuten Rast fühlte ich mich wieder fit. Auch fit genug für weiter 12 km bis Los Arcos und mindestens 2 Stunden stramm gehen?
Ich war auf ca. 700 m Höhe und ab jetzt ging es bergab auf 450 m Höhe. Deswegen dachte ich, die 12 Km bis Los Arcos schnell und leicht auch noch bewältigen zu können. Ich füllte meinen Wasservorrat in der eineinhalb Liter Flasche wieder auf, in der anderen war ja mein Wein und los ging es. Den Verlauf des Weges sah ich von hier oben sehr gut, ich konnte sogar die Streckenführung auf 10 Km Entfernung sehen, bis zu einem Berg wo der Weg dann nicht mehr sichtbar war. Ich dachte nicht daran, dass ich den Weg nur deshalb so weit sehen konnte, weil kein Baum, höchstens mal ein Strauch dort wuchs. Wälder waren in weiter Ferne. Es wurde eine Hitzeschlacht, die Sonne brannte unerbittlich und ich hatte Durst ohne Ende. Auf halber Strecke waren 1 ½ Liter Trinkwasser verbraucht, einen Brunnen oder ein Haus bzw. eine Ortschaft gab es auch nicht.
Ich hatte nur noch den Wein in meiner 2. Flasche, trinken oder nicht trinken, das war die Frage, aber Durst ist schlimmer als Heimweh und so trank ich den Wein. Das gab mir den "Rest". Ich war fix und fertig und noch 5 Km, beziehungsweise eine Stunde bis Los Arcos hatte ich vor mir. Da es auf 16.00 Uhr zu ging, waren keine Pilger, aber auch sonst keine anderen Personen zu sehen. Ein Mähdrescher kam mir entgegen. Wäre er die gleiche Richtung gefahren, in die ich ging, ich hätte mich hinten drauf gesetzt, obwohl ich mir vorgenommen hatte, alles, wirklich alles zu wandern. Ohne Pause schleppte ich mich dann, immer langsamer werdend, bis etwa 17:30 Uhr nach Los Arcos. Ich ging in die, von Österreichern geführte, Herberge, wo man mir sofort Tee einschenkte.
Es sind über 43 Km geworden, also eine Marathonstrecke, und ich war, wie man sagt ``kaputt wie Hund``. Es war die längste Strecke, die ich je in meinem Leben bis dato gegangen bin. In der Herberge gab es einen kleinen Garten mit Brunnen und ein Fußbadebecken. Genau das Richtige zum Abhängen und Flüssigkeit, sprich Cola, aufzunehmen. Es war die erste Cola seit Jahren. Beim Fußbad im kalten Wasser setzte sich eine junge Saarländerin, sie war Studentin (ich glaube Sozialpädagogik) neben mich und wir kamen ins Gespräch. Sie war die Dame, deren Freund in Roncesvalles nach der anstrengenden Überquerung der Pyrenäen und der schlaflosen Nacht mit dem Extremschnarcher spontan abgebrochen hatte und nach Deutschland zurück gefahren war. Noch später als ich kam Cheeky Monkey an, der ehemalige Besitzer einer Fleischfabrik, von dem ich schon berichtet hatte. Er hat hinter der Weinausgabestelle den Abzweig verpasst und ist auf der anderen Autobahnseite eine noch schlechtere Strecke bei der Gluthitze gegangen. Ich glaube, ich kann sagen, der war noch "geschaffter" als ich. Natürlich wurde gefrotzelt, er habe zu viel Wein aus dem Brunnen entnommen und deshalb den Weg verpasst. Nach 20:00 Uhr gingen wir mit acht Personen, meist Deutsche, in ein sehr gutes Restaurant, in dem extra für Pilger in der ersten Etage ein Raum eingerichtet war und ein hervorragendes Pilgermenü serviert wurde. Heute Abend tranken die meisten noch eine halbe Flasche Wein mit Genuss. Auf dem Rückweg in die Herberge war unterwegs auf dem Marktplatz Tanzen angesagt, wir waren zwar gut gelaunt aber viel zu geschafft um zu verweilen. Es spielte eine Musikkapelle und die Einheimischen feierten ihr Patronatsfest.
Das Stier treiben war gerade vorbei, aber auch hier standen noch alle Absperrungen und Schutzzäune. Es gab einige Orte, in denen Stiere getrieben wurden, die allesamt genau so spektakulär waren wie Pamplona. Meine Meinung dazu habe ich schon kund getan. In der Herberge angekommen schliefen alle sehr schnell ein.


6. Tag Los Arcos nach Logrono


Gefrühstückt habe ich heute Morgen in der Herberge. Ein einfaches Pilgerfrühstück. Es gab Brot, Marmelade, Obst und lauwarmen Kaffee aus der Thermoskanne. Die Strapazen des Vortages waren vergessen und so machte ich mich auf die 29 Km lange Strecke nach Logrono. Die Strecke ist anfangs hügelig, dann ein steiler Abstieg mit einem Warnschild, ``Achtung 10% Gefälle``, es geht dann nach etwa der Hälfte der Tagesstrecke in flachere Gefilde über. Die Wege sind gut zu gehen, allerdings häufig asphaltiert, wobei ich nicht gerne auf Asphaltstrecken marschiere und heute waren große Teilstücke mit diesem Straßenbelag.
Über Sansol / Torres del Rio und Viana und durch ein üppig grünes Feuchtgebiet gehend, kam ich mittags an einem Aussichtspunkt mit herrlichem Blick auf die Stadt Logrono und deren Umland an. Es ging bergab in Richtung Ebrobrücke und hier, so hatte man mir empfohlen, sollte ich mir in dem Laden der Tochter von Dona Felisa einen der schönsten Stempel auf dem gesamten Pilgerweg in meinem Pilgerpass stempeln lassen. Leider war niemand in diesem Laden, in dem auch Souvenirs verkauft werden, vielleicht lag es an der Mittagszeit. So ging ich weiter bis zur Ebrobrücke und dann, in der Stadt angekommen, fand ich bald die beiden Herbergen der Stadt, die aber an diesem Montag um 15:00 Uhr beide belegt waren. Ersatzquartier war die Basketballhalle, nahe dem Ebro. In dieser ca. 30 m x 60 m großen Halle waren 100 Matratzen auf dem Boden verteilt und ich war der Erste, der heute in dieser Halle ankam. Freie Platzwahl hatte ich und nahm die Matratze in einer der äußeren Ecken am Notausgangstor.
Was ich nicht glaubte, traf ein, die Halle war um 18:00 Uhr voll belegt. Ich wollte etwas essen und ging in den Ort, eine nette, kleine Stadt, sehr gemütlich mit einer ansehnlichen Altstadt. Sehenswert ist die Kathedrale Santa Maria de la Redonda mit den schönen, riesigen goldenen Altären, die hell angestrahlt werden. Es blendet so sehr wie ein Blick in eine hell strahlende, goldene Sonne. Bisher hatte ich jeden Abend ein Pilgermenü eingenommen, jetzt als ich den riesengroßen Supermarkt von Carrefour sah, beschloss ich, es mir heute gut gehen zu lassen und mich selbst zu verpflegen. Eine große Ecke französischen Käse, ein Baguette, eine Dose schwarze Oliven, eine kleine Hartwurst, luftgetrocknet und mit schwarzem Pfeffer gewürzt sowie eine Flasche Bier und eine Tafel Schokolade, das hatte ich mir alles verdient. Ich holte in der Turnhalle aus dem Rucksack mein Essbesteck, setzte mich auf eine schattige Bank am Ufer des Ebro und alles schmeckte hervorragend. Es war so reichlich, dass die Schokolade für den nächsten Tag übrig blieb. Nach dem köstlichen Mahl ging wieder zurück in den Ort, vorbei an einem Gebäude, wie ein moderneres Museumsgebäude aussehend, in das viele Menschen hineingingen. Alle Personen waren gut gekleidet, so dachte ich, neugierig wie ich bin, gehe auch mal in das Museum oder in die Ausstellung hinein, auch wenn ich nicht chic angezogen war. Um nicht aufzufallen, ging ich immer hinter einer Vierpersonengruppe her, an dem Pförtner vorbei, eine Treppe hinauf. Ein Mann aus der Gruppe der erkundigte sich beim Pförtner, die anderen gingen langsam weiter, ich auch. So gingen wir eine Treppe hinauf, ich immer noch eine Ausstellung suchend. Wir kamen in einen Raum, wo viele etwa zwei Quadratmeter große Fenster in den Seitenwänden waren und als ich an eines dieser Fenster heran trat, sah ich, dass ich mich in einem moderneren Leichenaufbewahrungsraum befand und die Leute hier Abschied von den aufgebahrten, toten Personen nahmen. Mit einem nicht sehr guten Gewissen, schnell und schluckend, wegen des jetzt trockenen Halses, ging ich zügigen Schrittes wieder hinaus und zurück in die Stadt. Bis 21.00 Uhr besichtigte ich die drei Kirchen - alle drei prunkvoll und sehenswert - sowie die pulsierende Stadt mit ihren alten Gassen und Plätzen. In der Stadt war es um 20.00 Uhr noch 31 Grad Celsius warm. Was noch anzumerken ist, am heutigen Tag hatte ich zum ersten Mal Probleme mit meinen Schuheinlagen. Unter dem rechten Ballen am Fuß war die Einlage platt getreten. Ich vermerke: eine wahnsinnig teure Karboneinlage, Extraanfertigung beim Orthopäden, vorher bestellt, für den Jakobsweg. Was tun? Ich kaufte in einem Laden gepolsterte Ballenschoner, die mit einer Schlaufe um den Mittelzeh gehängt werden und hoffte auf Besserung an den nächsten Tagen. Um 21:00 Uhr ging ich zurück in die jetzt lebhafte, voll belegte Basketballhalle und habe mich bald hingelegt. Meine Überlegung, mich der frischen Luft wegen an den geöffneten Notausgang zu legen, war doch nicht so pfiffig. Die Raucher gingen bis sehr spät abends an mir vorbei, um eine Zigarette qualmen. Irgendwann vor Mitternacht schlief ich fest ein, der tiefe Schlaf dauerte bis morgens um 5:00 Uhr, als irgendwo eine leichte Unruhe mich weckte. Hätte ich alleine in einem Raum geschlafen, ich glaube, ich wäre nie aufgewacht. Trotz der vielen Personen hatte ich den Eindruck, alle schliefen sehr gut und es war keine große Unruhe und wenige Schnarcher in der Halle. Entweder war ich so müde, was ich am ehesten vermute oder aber die Akustik war hervorragend. Dadurch, dass der Raum fünfzehn Meter hoch war, hörte man keinen Schall und Lärm. Ich war angenehm überrascht und habe die fünf Stunden fest und gut geschlafen.
Auf meinem 2. Jakobsweg ging ich die Strecke nach Logrono mit Monika. Zum ersten Mal sahen wir uns in Punte La Reina. Wir hatten eine Gemeinsamkeit, wir kamen beide aus Düsseldorf und verstanden uns gut. Monika hatte eine Trennung zu verkraften und wir gingen häufig einige Abschnitte zusammen, besprachen diverse Themen und gingen dann wieder getrennt weiter. So haben wir es auf dem gesamten Weg gehalten. Den Jakobsweg ging ich alleine, aber ich war niemals alleine. In Logrono kamen wir zusammen in der katholischen Herberge an. War das ein Unterschied gegenüber der Turnhallenübernachtung auf dem ersten Weg. Freundlicher Empfang durch die beiden Hostaleros, gemeinsames Pilger-Abendessen, das die Hostaleros selbst gekocht hatten. Anschließend gingen wir durch mittelalterliche Katakomben in die neben der Herberge liegende Kathedrale. Die Katakomben waren früher Fluchtwege in beziehungsweise aus der Kirche heraus. Hier gab es für uns Pilger eine Messe und ein Pilgergebet. Anschließend ging es durch die Katakomben zurück in die Herberge, wo der wohlverdiente Schlaf bevorstand.


7. Tag Logrono nach Azorfa


Abmarsch um 6.00 Uhr morgens. Von der Basketballhalle gehe ich durch die beleuchteten Straßen Logonos. Die Jakobsmuschel, das Wegzeichen für den Weg nach Santiago, ist überall gut sichtbar, so dass ich keine Probleme habe den Weg, trotz Dunkelheit zu finden. Gut bei der Dunkelheit zu gehen ist auch der Park hinter den städtischen Häusern. Hier habe ich heute morgen um diese frühe Uhrzeit, es war noch keine 7 Uhr, nahezu 100 Jogger gesehen, die große Anzahl Jogger am Dienstagmorgen war für mich auffallend.
Bald bricht der Tag an und zu dem Stausee, der umgangen wird, kommen bald hundert Enten angeflogen und quaken laut und nach Futter suchend. Übernachtet haben die wohl an anderer Stelle. Der Weg ist heute leicht zu bewältigen und schnell komme ich voran. Über Navarete, Ventosa, immer in Nähe der Nationalstraße und Autobahn, komme ich nach Najera. Hier wollte ich über Nacht bleiben. Gegen vierzehn Uhr war ich dort, ging zur Herberge, die unten am Rio Najerilla liegt. Es war noch zu früh. Es standen bestimmt zwanzig Rucksäcke aufgereiht wie an einer Perlenschnur vor der Herberge, damit war die Reihenfolge des Einlasses in die Herberge gegeben. Ich ging zu den Cafés an der Flusspromenade zurück, setzte mich auf eine Außenterrasse und dachte, ich würde bedient. Es tat sich aber nichts. Bald wusste ich auch die Begründung. Die Bedienung war im Inneren der Bar und schaute Fernsehen, ein Spanier holte in einer Radsportdisziplin gerade eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Verständnis für die Situation habend, war für mich Selbstbedienung angesagt. Nachdem ich zwei Tassen Kaffee getrunken und bezahlt habe, ging ich wieder zur Herberge, die war jedoch immer noch nicht geöffnet. Ich glaube, man schaute auch hier die olympischen Spiele im Fernsehen. So wanderte ich dann einfach etwa 5 Kilometer weiter nach Azofra.
Es ging wieder mal bergauf auf einer unbefestigten Straße, hoch auf die Hochebene Rioja Alta und ich kam eine Stunde später in Azofra an. Ich ging zur städtischen Herberge, die einzige Herberge auf dem von mir gewanderten Weg, die über Zweibetträume verfügte. Kleine Zellen, etwa 3x3 Meter groß, aber sehr sauber und gut. Alle Wände und Türen waren in dicken Spanplatten gezimmert.
Nach dem täglichen Prozedere, (ausziehen, waschen usw.), setzte ich mich an den kleinen Pool, ließ die Füße im Wasser baumeln und trank einen Kaffee aus dem Automaten. Eine Spanierin, Naomi, die auch am Pool saß, stellte sich mir vor. Der Name war das einzige was ich verstanden habe, sie sprach kein Englisch und ich kein Spanisch. Sie war Camino - Radfahrerin und ihr Mann reparierte die Räder. Wir unterhielten uns über Belangloses mit Händen und Füßen und hatten viel Spaß dabei. Wer sich jetzt eine Spanierin im Redeschwall vorstellen kann, weiß wie lange diese Frau reden konnte, ohne eine Pause zu machen. Sie redete, redete, redete und ich hörte ihr zu, und glaubte es in etwa zu verstehen.
Als ihr Mann - der Englisch sprach - dazu kam und alles was Naomi mir sagen wollte, ins Englische übersetzte, bemerkte ich, dass ich nichts verstanden hatte. Dieses wiederum sagte ich ihrem Mann, der es ihr übersetzte und wir krümmten uns vor Lachen. Als ich meinen geringen Gesprächsstoff übersetzen ließ, hatte auch sie nichts verstanden. Am Ende liefen uns allen drei vor Lachen Tränen die Wangen herunter.
Es war schön. Man unterhält sich eine halbe Stunde und hat nichts verstanden. Manchmal wie auch im wahren Leben. Wir drei gingen zusammen zum Essen, denn Naomi hatte jetzt einen Dolmetscher und wir bekamen noch viel Spaß an diesem Abend.


8. Tag Azorfa nach Belorado

Heute Morgen habe ich in der Dunkelheit keine Weghinweise gefunden. Als eine Dreiergruppe mit Taschenlampen kam, wurde es zu viert leichter. Ich nahm mir vor, nur noch in der Morgendämmerung zu gehen, nicht mehr bei völliger Dunkelheit. Was ich aber nie einhielt und wozu es nie kam. Begründung: morgens stand ich immer als einer der ersten auf, denn dann waren die Wasch- oder Duschräume noch leer. In der Frühe hatte ich immer einen Drang nach frischer Luft und so erklärt es sich, dass ich auch immer früh los marschierte. Gefrühstückt wurde meistens irgendwo unterwegs zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr. Mittlerweile war es morgens ein Glücksgefühl für mich, meinen Rucksack geschultert zu haben und los ging es. Es war die große Freiheit morgens hinaus in die frische Luft zu gehen. Heute ging es, wie so oft, wieder längere Zeit leicht bergan und nach circa 10 Km kommt man auf einen breiten Weg, der schnurgerade nach Santo Domingo de la Calzada führte und dort endete. Der Weg führt durch eine völlig veränderte Landschaft, als die die ich bisher sah.
Waren es anfangs in der Provinz Rioja (hier wird der berühmte Rioja Wein angebaut) die Weinberge und Weinfelder, die die Landschaft prägten, so beginnt jetzt kilometerweit der Anbau von Korn und Weizen, wobei es im August nur noch abgeerntete Stoppelfelder waren. Dieses wird sich auch in der Region Castilla y Leon nicht ändern, das heißt: ich werde in der Meseta eine Woche nur abgeerntete Felder sehen. In Santo Domingo frühstückte ich und besichtigte dann die Kathedrale. Dort habe ich mir den Hahn und das Huhn, die in der Kirche in einem Käfig leben, angesehen. Diese Geschichte ist kurz, ich beschreibe sie so, wie ein Spanier sie mir erzählt hat: Ein deutsches Pilgerehepaar mit älterem Sohn kam Ende des Mittelalters nach Santo Domingo. In den Sohn verliebte sich eine Señorita aus dem Ort, die Tochter des Wirtes. Der Sohn erwiderte die Liebe nicht und was machte die Frau dann? Sie bezichtigte ihn des Diebstahls und versteckte einen Silberbecher in seinem Rucksack und holte den Büttel. So kam er vor dem Richter, der junge Mann wurde zum Tod durch Strang verurteilt. Die Eltern pilgerten nach Santiago de Compostela weiter, kamen auf dem Rückweg wieder in diesen Ort zurück und sahen den Sohn lebend am Strang auf den Schultern des Herrn Santo Domingo stehen.
Die Eltern benachrichtigten daraufhin die Richter. Da die Herren zu Tisch saßen, Huhn und Hahn speisten, sagten diese: Euer Sohn ist so tot, wie diese Brathühner und Brathähnchen auf diesem Teller. Im gleichen Moment flatterten diese gebratenen Tiere auf und davon. Der Sohn wurde abgehängt und die Wirtstochter aufgehängt. Seitdem werden je ein weißer Hahn und mindestens ein weißes Huhn in einer Mauernische in der Kathedrale gehalten. Es wird Wert darauf gelegt, dass jeden Tag neues Federvieh genommen wird. Wahrscheinlich wegen des Tierschutzes. Dieses ist die Legende des Wunders von Santo Domingo. Die Geschichte wurde so bekannt und berühmt, dass der weiße Hahn bis zum heutigen Tag eines der Wappentiere in Spanien wurde.
Am späten Vormittag ging ich weiter, immer in Richtung Westen. Am Stadtausgang musste ich über die Brücke des Flusses RIO OJA, der der Provinz RIOJA den Namen gab. Auf nicht allzu schweren Wegen komme ich schnell nach Belorado. In einer schönen, neuen Albergo mit Swimmingpool quartiere ich mich ein, setze mich an den Pool, lasse die Beine im sehr kalten Wasser baumeln und beobachte viele der vorbeigehenden Pilger. Jeder zweite Pilger ist fußkrank. Eine Frau kommt nur noch auf Strümpfen gehend, Schuhe in der Hand und Strümpfe voller Löcher, an. Sie ist zehn Kilometer ohne Schuhe gegangen, hatte viele Blasen an Fersen und Zehen. Etwas später kommt wieder eine Frau humpelnd auf Badelatschen vorbei, die Fersen voller Blasen.
Im nicht sehr großen Pool bade ich, wie schon beschrieben, meine Beine. Es ist eine Wohltat und der Pool kommt mir als" Luxus pur" vor. Da noch Zeit ist, gehe ich in den Ort Belorado. Setze mich auf dem Plaza Mayor vor einer Bodega auf die sonnige Terrasse und ein französischer Lehrer mit seinem 12 jährigen, sehr sportlichen Sohn, setzt sich zu mir. Wir unterhalten uns in englischer Sprache und er sagt, er habe mich schon vor vier Tagen auf dem Weg nach Los Arcos gesehen und ebenso am Morgen in Santo Domingo. Er ging mit seinem Sohn fast 40 Kilometer jeden Tag, aber nur eine Teilstrecke des Jakobswegs, von Legrono nach Leon, die wollen sie in etwa einer Woche zurücklegen. Beim nachrechnen, wurde mir bewusst, ich habe auch von Puente La Reina bis Belorado in 4 Tagen über 146 Kilometer zurückgelegt. Der Junge ist sehr fit, aufgeweckt und wie er mir sagte, sehr glücklich mit seinem Vater zu gehen. Zu sagen ist noch, dass der 12jährige Sohn besser englisch sprach als der Vater und somit war er der Dolmetscher. In mehreren Restaurants rund um den Markt kann man in diesem Ort gut und preiswert speisen. Schnell wird es Abend und ab 20.00 Uhr ist immer Essenszeit für Pilger, um das Pilgermenue zu erhalten. Normale Gäste erhalten kein günstiges Pilgermenü. Am Esstisch lerne ich Inge und ihre Schwester aus dem Schwabenland kennen. Beim Abendessen gab es zur Untermalung einen Pilgerfilm von der Stadt Santiago de Compostela, der Lust auf den weiteren Weg machte. Anschließend "schwätzten wir noch a bisserl" und gingen zum Schlafraum. Nach fast vierzig Kilometer Marsch am Tag zuvor, konnte ich in dieser Nacht anfangs gut schlafen, aber gegen frühen Morgen hatte ich ein leichtes Ziehen in meiner linken Wade. Es war der Ort, an dem ich so viele fußkranke Pilger gesehen habe. Sollte es jetzt auch mich erwischen?


9. Tag Belorado nach Ages


Gestern Abend hatte ich meinen Hut, eine Art runden Schlapphut mit einem Sonnenschutztuch für den Nackenbereich, wie es bei Safarihüten oft zu sehen ist, in der Rezeption vergessen. Bemerkt habe ich dieses erst heute Morgen beim allmorgendlichen Check. Die Rezeption öffnete erst um sieben Uhr, also hatte ich noch eine dreiviertel Stunde Zeit. Mein Ziehen in der Wade war heftiger geworden und es schmerzte jetzt etwas. Die Wade war hart und prall. Nachdem die Wartezeit verstrichen war, ich meinen Hut hatte, wollte ich forsch losgehen, aber forsch war ich nicht. Ich humpelte den ersten Kilometer, je länger ich jedoch ging, desto weniger Schmerzen hatte ich in der Wade. Einfache und nur leicht und sachte ansteigende Wege begünstigen mein wandern, so komme ich die 12 Kilometer nach Villafranca - Montes de Orca, trotz leichtem ziehen noch einigermaßen zügig voran. Hier in Villafranca frühstückte ich in der Bar, die auch für Fernfahrer günstig an einem großen Parkplatz lag. Einige dieser Fernfahrer setzten sich an meinem Tisch und wollten sich mit mir in spanischer Sprache unterhalten und stellten fortwährend Fragen, die ich nicht verstand und nur immer mit Achselzucken beantwortete. Pilger sind in Spanien hochgeachtet und beliebt. Aber ich war nun mal kein Spanier und konnte keine Auskunft geben.
Nachdem ich eine halbe Stunde gesessen hatte, wurde der Schmerz stärker. Meine Devise war, wieder gehen und der Schmerz lässt nach. Was ich nicht wusste, ab hier ging es einen steilen, steinigen Pfad steil einige 100 Höhenmeter bergauf. Schmerz geplagt, mit dem linken Fuß nur auf der Ferse gehend, mühte ich mich ganz langsam den Berg hinauf. Nach fünf Minuten kamen zwei nette 17 jährige italienische Schülerinnen schnell zu mir gelaufen, jede der beiden gab mir ihren hölzernen Wanderstab und sie hatten nun keine Gehhilfe. Zuerst wollte ich diese gute Tat nicht annehmen, war dann aber doch froh, die beiden Wanderstäbe zu haben. Wir gingen etwa fünf Kilometer zusammen bis zum höchsten Punkt, wobei die Schmerzen etwas weniger wurden. Ich bedankte mich und war gerührt von der echt spontanen Hilfsbereitschaft der beiden aus Turin. Die besten Kletterer waren die Mädel auch nicht und ich hatte ihre Wanderstäbe für den schwierigsten Teil auf der heutigen Tagesstrecke bekommen.
Ich habe im Nachhinein die Vermutung, die Schmerzen habe ich durch das baden der Beine in dem sehr kalten Swimmingpool der Herberge in Belorado bekommen oder aber es waren Nachwehen der Anstrengungen des Marathonmarsches am 6. Tag nach Los Arcos.
Langsam immer bergab durch breite, kahl geschlagene Feuerschneisen überholten mich, da ich heute der Langsamste war, die Geschwister aus dem Schwabenländle, mit denen ich am Vorabend gespeist hatte und die zusammen mit Markus gingen. Den Rest des Weges bis zur Herberge in Ages gingen wir gemeinsam und Markus hatte mich wieder. In der Herberge hatten wir Glück, wir vier bekamen das letzte, freie Vierbettzimmer und damit war die Herberge ausgebucht. Wir orderten gemeinsames Abendessen und Frühstück. Je länger ich zur Ruhe kam, desto stärker wurde das Zwicken in meiner Wade. Auf den trotzdem nicht verlorenen Tag, denn beim Aufstieg zum Monte de Oca dachte ich, ich müsse die Jakobsweg-Tour abbrechen, war ich froh, nicht aufgegeben zu haben. Darüber glücklich und zufrieden, gab ich den Dreien einen Kaffee aus. Zusammen setzten wir uns zu einer Gruppe deutschsprachiger Schweizer, die es sich auf der Terrasse vor dem Refugio bequem gemacht hatten und wir kamen auf meine Wade zu sprechen. Jemand aus der Schweizer Gruppe empfahl mir, den Urs, ein uriger Schweizer Typ mittleren Alters, der angeblich durch Hand auflegen heilen konnte, anzusprechen und zu fragen, ob er mir helfen könne. Er und die anderen bekamen auch einen Kaffee von mir ausgegeben und Urs und ich gingen anschließend in den Schlafraum, wo ich mich auf mein Bett legte. Ich sollte mich entspannt hinlegen und die Augen schließen. Urs schwebte mit beiden Händen von oben nach unten und zurück über mein linkes Bein. Minuten später duselte ich ein, wurde aber von einer empfundenen großen Hitze im Magenbereich wieder wach. Dieses Empfinden erzählte ich Urs und er antwortete: "Joa, des iss die Zentrale, wo alles zusamme kimmt." Ich hatte berechtigte Hoffnung, auf einen Schlag gesund zu werden. Eine halbe Stunde verging und Urs hatte genug Ströme durch mein Bein fließen lassen. Doch leider hat es nicht geholfen. Die Wärme entstand durch die starken Sonnenstrahlen, die durch das Oberlicht des Fensters auf meinem Bauch fielen.
Beim Aufstehen waren die Schmerzen durch die Ruhe wieder größer. Ich bekam von allen Seiten Hilfe in Form von Voltaren Tabletten und nahm sofort zwei und nach dem Abendessen zwei Tabletten. An diesem Abend war ich etwas down, weil ich nicht wusste, wie es in den nächsten Tagen weiter gehen würde. Erwähnenswert ist noch, dass die Privatherberge in Ages von uns allen als sehr gut und empfehlenswert empfunden wurde.


10. Tag Ages über Burgos nach Tardajos


Unsere Zimmergemeinschaft ist heute Morgen ziemlich früh aufgestanden. Ich habe zwei Voltaren genommen und meine Wade war wesentlich besser als an den Vortagen. Voltaren hatte Wirkung gezeigt. Da wir uns zu viert ein Badezimmer teilen mussten, bin ich auf die Privattoilette der beiden Hostaleri gegangen. Die Tür war offen und die beiden Besitzerinnen waren so früh noch nicht aufgestanden. Wir vier haben gemeinsam gefrühstückt. Kaffee, Brot, Kekse und Marmelade standen für uns in der Küche bereit und für Pilger war es ein gutes Selbstbedienungsfrühstück. Heute Morgen bin ich wieder mit Markus zusammen losmarschiert, wir kamen schnell voran, obwohl der Weg auf der Hochebene (Matagrande genannt, bald 1100m hoch) steinig und schwer war. Meine Wade zwickte nur noch etwas beim Gehen, es war Dank weiterer Voltaren aber sehr gut auszuhalten.
Bald konnten wir die unter einer Dunstglocke liegende Ebene von Burgos und die Stadt Burgos sehen. Nicht zu schnell und meinem Handikap angepasst gingen wir den steinigen Abstieg und dann begann schon der urbane Teil von Burgos. Markus und ich hatten uns auf Grund von Berichten einer Freundin, die den Weg vor mir gegangen war, entschieden, mit dem Bus durch die etwa 6 Km lange, sehr uninteressante Vorstadtstrecke durch Industrieviertel zu fahren. (Obwohl ich vorher immer gesagt habe, alles nur zu erwandern und keine Verkehrsmitteln zu benutzen) Elfriede sagte mir, es sei die langweiligste Strecke auf dem Weg. So gingen wir über die Autobahn nicht nach links, sondern in Richtung Flughafen nach Villafria.
Auf der Hauptstraße angekommen, fanden wir schnell die Bushaltestelle und warteten auf den Bus. Eine Zeit- oder Abfahrttabelle gab es nicht. Wir warteten und warteten, nach zwanzig Minuten fragten wir einen vorübergehenden Spanier. Er verstand uns nicht, wir verstanden ihn nicht, unser Spanisch war zu schlecht. Der Zweite, ein älterer Herr, sprach englisch und offenbarte uns, dass an diesem Freitag ein spanischer Feiertag sei. Pech für uns war, das an Sonn- und Feiertagen auf dieser Strecke keine öffentlichen Busse fuhren, sondern nur an Werktagen als Berufsverkehr. Also mussten Markus und ich jetzt den nicht sehr schönen Weg durch das Industriegebiet und durch die Vorstadt, bei sengender Sonne gehen. Ich hatte somit mein Versprechen, keinen Meter zu fahren, ungewollt eingehalten und auf dieser Pilgertour bin ich keinen Meter Pilgerweg gefahren. Gute Pilger sollten pilgern und nicht schludern und mit dem Bus fahren.
Anstatt der von uns gewählten Straße gab es einen schönen Weg durch Grünanlagen am Fluss entlang, den wir hinter der Autobahn wegen der Busfahrt nicht genommen hatten. Den Weg muss meine Ratgeberin wohl auch verpasst haben. Wir gingen also über eine Stunde in praller Sonne durch die auffallend saubere Vorstadt ins Zentrum der Stadt mit seiner mittelalterlichen Atmosphäre. Bald kommen wir zur gotischen Kathedrale mit dem Grab des spanischen Nationalhelden ``El Cid``.
Sehenswert ist vieles in Burgos, hier nur eine kleine Auswahl: Das gotische Kloster Las Huelgas, eines der wichtigsten Monumente Spaniens, die Kirche Cartuja de Miraflores aus dem 15. Jahrhundert sowie das Stadttor Puerte Santa Maria und den Torre Santa Maria, ein Turm im maurischen Stil. Teilweise noch sehr gut erhalten sind auch die mittelalterlichen Stadtmauern.
Kathedrale in Burgos
Kulinarisch probiert habe ich die Spezialität von Burgos. Die Blutwurst namens " Morcilla de Burgos", bestehend aus Blut, Fett, Reis und Gewürzen. Ich kann nur sagen: Mm lecker!
Im Rheinland und speziell in den Städten Köln und Düsseldorf gibt es auch Blutwurst als Spezialität. Hier heißt das Blutwurstgericht "Flöns" Hier mag ich eigentlich keinen Flöns. Vielleicht hat er in Burgos nur so gut geschmeckt, weil es Mittagszeit war und ich großen Hunger hatte.
Am Nachmittag, nachdem wir uns Burgos angesehen hatten, gehen wir weiter nach Tardajos. Hier in der Herberge angekommen und weil ich bis 20.00 Uhr auf das Pilgermenü abends im Restaurant warten musste, habe ich um die Zeit zu überbrücken, einige Biere getrunken. Am Abend beim Menü bediente mich ein etwa dreißigjähriger Mann mit einem riesigen Kochhut. Es war der Koch, er bediente und kochte heute persönlich für die Pilger. Er war sehr lustig, aber ohne jegliche Sprachbegabung.
Bestellt als Vorspeise laut Karte habe ich "Mix Insalata", bekommen habe ich eine Mischung aus kaltem russischem Salat und Kartoffelsalat. Das nächste Gericht war gleich das Hauptgericht. Bestellt habe ich Pollo laut Karte, bekommen habe ich ein Schnitzel paniert. War auch lecker. Was geklappt hat, waren das Eis zum Nachtisch und der Rotwein zum Essen. Mit den drei Bier und dem halben Liter Wein hatte ich bald die nötige Bettschwere an diesem Abend.
Bevor ich aber zur Herberge kam, musste ich am Marktplatz vorbei gehen, auf dem ein Dorffest, (bei uns eine Kirmes) mit einer riesigen Musikbühne, Buden und Verkaufsstände stattfand. Wäre es nicht schon spät gewesen und ich Bedenken wegen der Öffnungszeit in der Herberge gehabt hätte, wäre ich bestimmt noch etwas dort geblieben.
Auf dem 2. Jakobsweg in Richtung Tardalos lernte ich in der Meseta ein junges Ehepaar aus Kroatien kennen. Ihre Namen waren Antonia und Marian, der etwas deutsch sprach. Normalerweise hatte ich täglich sehr viele Begegnungen dieser Art. Man überholt oder wird überholt, man redet ein paar Sätze und weiter geht es. Irgendwann sieht man sich auf dem Weg wieder. Diese Begegnung erwähne ich deshalb, weil ein ungewöhnliches Ereignis ihrem Jakobsweg vorangegangen war. Heute schreiben wir Montag als Wochentag. Es war ein Ehepaar und zwar ein in der Ehe noch sehr junges Paar. Am Samstag, also vor nur 2 Tagen hatten sie geheiratet, nach der kirchlichen Hochzeit sind sie sofort nach Burgos geflogen. Nachträglich gratulierte ich und wir sahen uns bis Santiago noch einige Male.


11. Tag Tardajos nach Castrojeriz


Heute morgen bin ich, wie jeden Morgen, wieder sehr früh aufgestanden. Alle in unserem Raum schliefen noch, einschließlich Markus. Heute wollte ich wieder alleine gehen. Für mich, im Gegenteil zu vielen anderen Pilgern, gibt mir ein "Alleingang" einfach mehr. Ich achte mehr auf Natur und Landschaft, gehe in mein Inneres und denke an Vergangenheit, Zukunft und viele andere Dinge, soweit es der Weg zulässt und dieser nicht die ganze Aufmerksamkeit erfordert. Heute frühstückte ich ausnahmsweise draußen vor der Herberge alleine an einem großen Tisch. Ich trank gegen eine kleine Spende einen Kaffee und aß ein paar Kekse.
Der Hostalero setzte sich zu mir, denn er kannte meine Heimatstadt Düsseldorf von einigen Messebesuchen zu der Zeit, als er noch berufstätig war. Jetzt arbeitet er ehrenamtlich in diesem Hostal. Das ich aus Düsseldorf war, hatte er am Vortag auf meinem Pilgerausweis gelesen. Normalerweise gehe ich morgens etwa 10 bis 15 Kilometer und frühstücke dann unterwegs. Heute war es die Ausnahme so früh zu frühstücken. Lange habe ich mich beim Frühstück nicht aufgehalten, schon bald ging ich wieder los, durch Tardajos, wo die letzten Festbesucher noch nicht nach Hause gefunden hatten und die Bühne von jungen Leuten abgebaut wurde.
Hier wurde mir wieder die Sonderstellung der Pilger in Nordspanien vor Augen geführt. Beim Vorbeigehen an den jungen Leuten, die die Bühne abbauten, hielten diese inne als sie mich sahen und wünschten mir einen "Buenos Dias und Bon Camino". Eine weitere Fünfergruppe, in Deutschland würde ich sagen, Halbstarker, die in 200 Meter Entfernung blödelnd und etwas angetrunken mir entgegen kamen, stoppten die Blödelei und mit Achtung wünschten sie ebenfalls einen "Guten Tag und einen guten Weg". Um ehrlich zu sein, war ich eher auf dumme Sprüche eingestellt. Sinnierend über diesen angenehmen Vorfall ging ich weiter. Der Jugend wird schon früh im Kindesalter Ehrfurcht vor Pilgern gelehrt.
Das Wetter war an diesem diesigen Morgen umgeschlagen. Es war nicht mehr so warm. Die Temperaturen bewegten sich morgens bisher immer zwischen 16 und 18 Grad. Hier war man mit wenigen Ausnahmen, meist auf einer Höhe von über 500 Meter und oft sogar 750 bis 800 Meter über Meeresspiegel. Ab jetzt beginnt die Hochebene Meseta und ab hier kann es morgens doch etwas kühler werden als bisher.
Heute jedoch sah man nur tiefhängende Wolken und eine hohe Regenwahrscheinlichkeit wurde prophezeit. Einige Schauer gab es an diesem Morgen und so kam ich etwa gegen halb neun Uhr in Hornillos del Camino an. Hier wollte ich mein zweites Frühstück einnehmen, weil das erste Frühstück nur aus Kekse bestand. Im Gegensatz zu vielen anderen Orten öffnete hier die Frühstücksbar erst um neun Uhr, also hatte ich noch 30 Minuten Verweilzeit. Ich ging rechts die Stichstraße zur Kirche hinauf und sah vor dem überdachten Eingang der Kirche in einer regen- und windgeschützten Ecke einen Pilger sitzen. Auf ihn zugehend begrüßte er mich und ich setzte mich neben ihn. Im Gespräch sagte er mir, dass er sonst morgens, genau wie ich, immer sehr viel früher gehe, aber heute auf die Herbergsdame warten müsse, weil er wahrscheinlich seine Flugtickets und Ausweispapiere in der Herberge verloren habe.
Er war Kanadier, der in Marseille in Frankreich mit dem Flieger gelandet war und Ende September von dort wieder in seine Heimat zurück flog. Also warteten wir auf die Hostaleri, um in die Herberge zu gehen und die Papiere dort zu suchen. Alle Pilger dieser Nacht waren schon weg und unterwegs. Bald kam die Dame, der Kanadier und sie suchten ein paar Minuten, kamen aber ohne Ergebnis aus der Herberge heraus. Ich schätze den Kanadier auf 65 bis 70 Jahre, er ist etwa um die 165 cm groß und hat eine gedrungene Figur. Langsam wurde er unruhiger, kam zu mir zurück, setzte sich wieder zu mir und wirkte klein und in sich gekauert wie ein Kind. Ein paar Tränen liefen ihm die Wange herunter. Ich beruhigte ihn und sagte, dass niemand etwas mit den Papieren anfangen könne und diese bestimmt in der Bar abgegeben wurden, in der ich frühstücken wollte.
Der Ort zählt 70 Einwohner und wenn etwas gefunden wird, gibt man es dem Besitzer der Bar oder im Krämerladen ab. Im Krämerladen hatte ich vorher schon nachgefragt. Da wurde nichts abgegeben. Jetzt kam die Bedienung der Bar, öffnete diese und wir gingen die 50 Schritte von der Kirche sofort dorthin. Wir fragten die Dame nach den verlorenen Papieren. Etwas unfreundlich und zu viel der Mühe , schaute sie an einigen Stellen in der Bar, leider jedoch vergebens. Ebenso erging es uns, als der Eigentümer der Bar herein kam, auf unsere Fragen nach den Ausweisen gab er mir und dem Kanadier in nicht zu verstehender spanischer Sprache irgendeine Telefonnummer. Wir wussten nichts damit anzufangen und diese beiden Barbetreiber waren gelinde gesagt, nicht sehr freundlich. Nun setzte sich mein Kanadier, seine Adresse werde ich erst später am 13. Tag der Wanderung erfahren, mir gegenüber an meinen Tisch, wo ich das inzwischen bestellte Frühstück hingestellt bekommen habe und weinte ganz traurig vor sich hin. Die Tränen kullerten ihm die Wangen herunter. Es war ein trauriger Anblick und mir kamen auch die Tränen, mein Hunger war vergangen. Ich stand auf, versuchte ihn zu trösten. Er saß nur zusammengekauert wie ein Häufchen Elend mir gegenüber am Tisch. Volles Mitleid hatte ich mit ihm und da er wahrscheinlich nicht beholfen genug war, etwas zu unternehmen, musste ich etwas tun. Ich ging hinaus und sprach Leute aus dem Ort an, ob diese dem Kanadier helfen könnten. Ob sie jemanden kennen, der Zeit hat, gut Englisch und Spanisch spricht, Telefonate führen kann und helfen will. Die Personen, die ich fragte, konnten selbst kein Englisch, kannten auch niemanden oder zeigten Desinteresse. Etwa eine halbe Stunde war vergangen, als ein Spanier, etwa 40 Jahre alt, vor der Bar ein großes, teures Auto parkte, gut gekleidet war, in die Bar kam und einen Mocca trank. Diesen Herrn sprach ich ebenfalls an. Er antwortete, er wolle schon helfen, aber sein Englisch sei nicht sehr gut, er spreche gut Französisch. Was ich nicht wusste, mein Kanadier war Frankokanadier aus Quebec und seine Muttersprache war Französisch. Dieser Spanier - den der Himmel gesandt hatte - war beruflich unterwegs, musste noch zu einem Kunden und holte den Kanadier anschließend ab. Er wollte mit ihm nach Burgos zur Polizei fahren und bei allen spanischen Behörden helfen. Gott sei Dank. Ich fragte den Kanadier, ob er finanzielle Unterstützung benötige, was er verneinte, er habe sein Geld und seine Visa Card getrennt aufbewahrt. Jetzt hieß es Abschied nehmen. Ich stand auf und wir umarmten uns. Er legte seinen Kopf an meine Brust, fing laut an zu weinen und sagte schluchzend: "Du hast mir das Gefühl gegeben, nicht einsam und alleine zu sein. Ich danke dir für die Hilfe und werde für dich beten". Ich schluchzte ebenfalls genau so laut und so standen wir, uns gegenseitig mit den Armen umfasst, einige Zeit weinend mitten in der Bar. Es war so emotional, und es sah so aus, dass auch einige weitere Gäste Tränen in den Augen hatten. Oft an meinen Kanadier denkend, ging ich weiter in Richtung Castrojeriz. Das Wetter in der Meseta ist heute am Nachmittag noch sonnig und heiß geworden. Die Meseta zieht sich mit sanften Hügeln bis zum Horizont. Ich habe ein neues Wort erfunden. Die Meseta ist "senkig". Der Weg lässt keine Senke aus, alles was du herunter gehst, musst du auch wieder hinauf gehen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man für den Ablass in Santiago viel - ja sogar sehr viel - Nehmerqualitäten haben muss. Ich glaube nicht, dass ich so schlimme oder schwerwiegende Verfehlungen in meinem Leben begangen habe, um diesen Weg für einen Ablass gehen zu müssen. Ich gehe ihn freiwillig und ich fühle mich trotzdem (oder gerade deshalb?) sehr wohl. Aber die Wege sind ja auch mittelalterlich, heutige Wegeführungen würden anders angelegt. Eines von vielen Beispielen: Hontanas liegt in solch einer Senke, du gehst hinab, durch den Ort und sofort wieder bergauf auf das alte Höhenniveau. Man könnte auch vorher abbiegen und auf gleichem Höhenniveau um Hontanas herum gehen.
Hinter Hontanas auf dem Weg nach San Anton, kam mir ein Pilger im besten Alter entgegen. Ich schätze ihn um die vierzig Jahre. Die Begrüßung fand auf Englisch statt. Während des Gespräches erzählt er, dass er schon einige Monate unterwegs sei, von Rom über Lourdes nach Santiago und nun zurück nach Rom gehe. An dieser Stelle fragte er nach meinem Namen. Als ich den Namen "Meenfriid" englisch betont sagte, meinte er "It`s a German name, like my name. I´m Bernd from Frankfurt". Ich sagte, wir können auch gerne deutsch miteinander reden und lachten herzhaft. Keiner hat den deutschen Akzent des anderen bemerkt, vielleicht weil wir beide Schulenglisch sprachen. Schmunzelnd ging ich weiter nach San Anton und Bernd hatte noch einen weiten Weg bis nach Rom vor sich.
Die Straßenführung ging mitten durch die noch gut erhaltenen Ruinen der Kirche bzw. des Klosters. Stelle man sich vor, ein sehenswertes mittelalterliches Kloster mit noch gut erhaltenem Gemäuer steht irgendwo, wo eine Straße geplant ist. In Spanien wird die Straße quer durch die Ruinen geleitet. In Resteuropa kaum vorstellbar, man hatte Platz genug, die Straße um die Ruine herum zu führen. Hoffentlich erhebt man das Kloster vor San Anton mal zum Weltkulturerbe. Später in der Herberge bei einem Gespräch, sagte ein Pole, man habe in seiner Heimat zu einer Weltmeisterschaft eine Autobahn mitten durch ein Dorf geplant. Die Autobahn konnte nie fertig gestellt werden und musste in diesem Bereich neu geplant werden, die Trasse mit Baggerarbeiten und einigen Abrissarbeiten im Dorf war aber schon erstellt.
Bald in Castrojeriz angekommen, bin ich bis an das Ende des Ortes zur Herberge der Vereinigung der Freunde für Pilgerrefugios gegangen. Dieser Weg dauerte eine Ewigkeit, denn der Ort erstreckt sich über drei Kilometer. Zu dieser Herberge wollte ich, denn dort werden die Pilger morgens eine viertel Stunde vor Sonnenaufgang mit herrlicher, gregorianischer Kirchenmusik geweckt. Es beginnt ein ganz leiser Gesang, der dann sehr langsam immer lauter wird. Es war einfach super schön. Es war eigentlich das schönste Wecken seit langer, sehr langer Zeit. Morgens zum Frühstück gab es Kekse, Äpfel und Milchkaffee. El Resti, den alten, sehr bekannten Hospitalero, über den in der Pilgergruppe in Düsseldorf, wegen seiner Urigkeit gesprochen wurde, habe ich nicht gesehen, habe aber auch nicht nachgefragt, wo er sei. Zu erwähnen ist, das bisher alle Hospitaleros sehr freundlich und hilfsbereit waren. Sie machen ein tolles Ehrenamt.
Auf meinem 2. Jakobsweg bin ich nach einem super heißen Tag in der Meseta mit Monika zusammen nur bis Hontanas gegangen. Nach dem täglichen Ritual bei der Ankunft, (Bett machen, duschen, Wäsche waschen) gingen wir zusammen einen Becher Kaffee trinken. Wir setzten uns an einen Tisch, an dem vier Deutsche saßen. Wir machten uns bekannt. Alexandra, Alex genannt, Sandra, Georg und Hanno. Schnell kamen wir ins Gespräch, waren uns sehr sympathisch, beschlossen spontan abends zusammen zum Essen zu gehen und nach dem Essen plauderten wir noch lange und wollten die nächsten Tage zusammen bis Leon gehen. Die Vier machten nur einen Teilabschnitt des Jakobsweg von Burgos nach Leon. Wir sechs waren eine tolle Truppe, hatten viel Spaß und lachten oft.
Als wir an einem Feld mit viereckigen, abgeernteten Strohmieten vorbei kamen, baten uns die Lehrer Alex und Georg zu den Strohmieten zu kommen. Unterwegs hatten sie zwei Flaschen Rotwein und Becher gekauft. Schnell wurden Strohmieten zu Tisch und Bänke, wir prosteten uns zu und hatten eine der schönsten Pausen am Jakobsweg. Gute Ideen setzten sich fort mit einem Spagetti-Essen von Georg, einem Überraschungsessen, wo je 2 Personen drei Teile Vor-, Hauptspeise und Nachtisch einkaufen mussten, ohne das man wusste, was die anderen einkauften und an einem Abend machten wir eine gemeinsame Weinverkostung. Ich hatte eine ideale Gesprächspartnerin mit Sandra, die 26 Jahre alt war und die 2. Tennis-Bundesliga spielte. Sie kam aus Jena und spielte für Rot Weiß Erfurt. Sandra war immer lustig und spielte uns oft Streiche. Schade, das die Vier nach einem emotionalen Abschied in Leon nach Hause fuhren. Wir waren eine tolle Truppe. Jetzt ging wieder jeder seinen Weg.


12. Tag Castrojeriz nach Fromista


Früh am Morgen wurde ich von den beiden Hospitaleros per Handschlag verabschiedet, nachdem sie noch schnell nach meinem Alter fragten und mir ein Kompliment wegen meines Aussehens und meiner Fitness machten und ich mich für die gute und freundliche Aufnahme bedankt habe. Der Morgen fing gut an. Schnell kam ich zum Start des Anstiegs auf den Alto de Mostelares, auf dem Anstieg überholte ich einige Pilger unter anderem auch Urs, den Schweizer Handaufleger. Ich dachte, er sei ein Kind der Berge und ich, ein alter Mann ziehe mit Leichtigkeit an ihm vorbei. Als er mich bemerkte, fotografierte er den wunderbaren Blick zurück auf Catrojeriz mit der auf dem Berg thronenden Burg, die man jetzt bei der aufgehenden Sonne hervorragend erkannte. Wo ein Aufstieg ist, ist auch ein Abstieg. Am obersten Punkt vor diesem Abstieg sah man durch die noch sehr klare Luft die riesige Weite der Meseta. Der Horizont war ewig weit und in der Morgensonne gab es heute ein Farbspiel von morgendlichem rot über gold nach dunkelgelb und hellgelb. Eine Beschreibung ist schwierig, ja unmöglich, genau wie die Farbbeschreibung des Regenbogens, man muss es selbst gesehen haben. Heute Morgen bin ich körperlich wieder sehr gut drauf, gehe schnell und komme an der Kapelle aus dem 13. Jahrhundert vorbei, die heute eine Herberge ist, in der ich ursprünglich auch übernachten wollte.
Um sie anzusehen ging ich hinein, und war traurig, hier nicht übernachtet zu haben, denn die zwei Stunden hätte ich am Vortag noch geschafft.
Sonnenaufgang in der Meseta
Eine Bekannte, die hier nächtigte, erzählte, das am Vorabend dort gemeinsam gekocht wurde. Man hat gesungen und sie hatte das Glück, dass ein pilgernder Priester, der an diesem Abend hier übernachtete, eine Messe in kleinstem Kreis zelebrierte. Es war eine schnuckelige, uralte Herberge. Weiter geht es, denn heute wurde wieder eine große Hitze erwartet. In Itera de la Vega, wo ich frühstücke, bleibe ich nicht lange und gehe nach Boadilla del Camino einen sehr schönen Weg immer am Kanal entlang. Das Wasser in diesem Kanal liegt etwa vier Meter höher als die Felder auf beiden Seiten und ist mit hohen Dämmen eingeengt. An einem Wehr, der sehenswert ist und früher für kleine Frachtboote vierzehn Meter Wasserhöhenunterschied überwindet, verweile ich eine Zeit lang. Wenig später erreiche ich die Stadt Fromista. Dort nehme ich eine Herberge an der romanischen Kirche. Ganz schön geschafft, habe ich in der Herberge erst einmal zwei Stunden geschlafen.
Am Abend habe ich mich mit einer Spanierin unterhalten, die ich unterwegs immer mal wieder getroffen habe. Die Dame fuhr auf einem Mountainbike mit einem einachsigen Kinderanhänger, in dem ihr etwa vierjähriger Sohn und die Ausrüstung waren. Wenn ich sie sah, kämpfte sie immer bergauf, wobei der etwas pummelige Junge im Hänger sitzen blieb. Ich dachte, ihr Sohn sei vielleicht behindert und sie tat mir leid. Als ich mich an diesem Abend mit ihr unterhielt, kam der Sohn putzmunter gelaufen und wollte irgendetwas haben. Sie war mit einem deutschen Mann, einem Kölner, verheiratet. Sie sprach jedoch nur wenige Worte deutsch. Von meinem Vorschlag, den Jungen bergauf gehen zu lassen, wollte sie nichts wissen. Sie wollte nur eine leidende Mutter sein. Hier in Fromista kreisten gegen Abend noch viele Störche über die Stadt, die ich fotografieren wollte. Die Fotos sind leider nichts geworden, weil ich sie entweder verwackelt habe, die Störche zu hoch flogen, zu weit waren oder nicht als Storch erkennbar waren, beziehungsweise es schon zu dunkel wurde. Etwa zwanzig Bilder konnte ich auf meiner Kamera wieder löschen.


13. Tag Von Fromista nach Calzadilla de la Cueza


Von Fromista führt der lange, etwa zwei Meter breite Schotterweg für einige Kilometer immer neben der selten befahrenen Straße entlang. Sehr gut kann man an den Kilometersteinen der Straße seine Gehgeschwindigkeit ausrechnen. Ich habe an Kilometer 1 die Zeit genommen, es war 6:45 Uhr, bin an Kilometer 4 um 7:13 Uhr gewesen. So weiß ich, dass ich etwas schneller als 6 Km/Std. gegangen bin. Heute Morgen war es klimatisch sehr gut zu gehen. Es ist noch nicht so warm und es sind leichte, ebene Wege. Ab dem nächsten Ort gibt es zwei verschiedene Wege nach Carrion de los Condes. Einer immer an der Straße entlang, diesen Weg bin ich nicht gegangen. Alternativ habe ich den etwas weiteren, etwa 10 Km meist an einem Bach entlang führenden Weg gewählt. Dieser ist der interessantere. Die letzten sechs Kilometer bis Corrion de los Condes führen nur an der Straße entlang. Beschwerlich ist nicht nur der unattraktive Asphaltweg, auch die Hitze und die immer gleiche Landschaft der Kornfelder in der Meseta. Jetzt bekomme ich wieder Probleme mit meinen Einlagen in den Schuhen. Die unter der Rubrik ``Vorbereitung`` schon beschriebenen, wahnsinnig teuren Einlagen beginnen instabil zu werden. Die Stützen unter den Einlagen mit der Karbonverstärkung werden weich und fallen in sich zusammen. Im Café auf der Hauptstraße der Kleinstadt Carrion de los Condes ziehe ich bei einem Kaffee meine Schuhe aus und begutachte die Einlagen. Die Stützen, die dem Hohlfuß Halt geben sollen, sind blöderweise eingedrückt, so dass sich der Fuß verformt und sich durchbiegt. Damit ich keine Schmerzen mehr habe, probiere ich alles aus, um die Karboneinlage zu stabilisieren. Ich wickele ein Papiertaschentuch zu einer engen, festen Rolle, klebe mein bisher nicht benötigtes Blasenpflaster um das Papier und klebe anschließend die Rolle mit dem Rest des Blasenpflasters unter die Einlagen. So müsste es eigentlich schmerzlos weitergehen. Ich ruhe mich noch eine viertel Stunde aus und beobachte eine Deutsch sprechende Pilgerin, etwa zwischen 40 und 50 Jahre alt, super schlanke Figur und lange blonde Haare, mit einem viel jüngeren südländischen - wie sich später herausstellt - italienischen Pilgerwegpartner. Zu diesen Pilgerpaar komme ich später noch einmal. Mein weiteres Gehen mit den reparierten Einlagen machte im Augenblick keine Schwierigkeiten mehr und ich war einerseits froh, andererseits verärgert über den Orthopäden, der mir diese Einlagen wärmstens empfohlen hatte. Ich ging frohgemut weiter in Richtung Calzadilla de la Cueza. Anfangs gab es noch ein paar Bäume. Nach kurzer Zeit wurde die Via Aquitana, eine 2000 Jahre alte Römerstraße, zu einer Herausforderung. Es sind fünfzehn lange, endlos geradeaus führende Kilometer. Eine bei sengender Sonne schattenlose Strecke, die, wie ich glaube, irgendwann jeden Pilger frustig stimmt. Die Straße ist vergleichbar mit Straßen in Ostfriesland. Wenn jemand morgens losgeht, den kann man abends noch sehen, weil das Land so "platt" ist. Wenn ich den Weg entlang schaue, sehe ich die Pilger, die, je nach Entfernung optisch immer kleiner werden und bei weitester Entfernung am Ende nur noch als bunte Punkte sichtbar sind. Mein Tempo wird immer langsamer, aber ich komme noch an das ungleiche Paar heran, die ich in Corrion de los Condes beobachtete. Sie war eine Nordeuropäerin namens Liselotte und hatte lange, blonde Haare, die jetzt in der Sonne golden, wie in der Sage die Haare der Loreley am Rhein, schienen. Sie lebte in Bayern und wanderte für ihren krebskranken 15 jährigen Sohn, der nach einer Chemotherapie auf dem Weg der Besserung war. Mit ihrem jüngeren, italienischen Wegbegleiter, ging sie täglich etwa vierzig Kilometer. Unsere Unterhaltung war schon sehr traurig, stimmte mich nachdenklich und ich hoffe auf einen guten Ausgang für den Sohn der außerordentlich gut aussehenden schwedischen Dame, die früher der Liebe wegen nach Bayern kam und dort verheiratet ist.
Meine Einlagen machen mir langsam erneut Sorgen. Alles, was ich konstruierte, verrutschte und ich rücke es bei einem provisorisch errichteten Getränkeverkauf nach etwa zehn Kilometer wieder zurecht. Hoffentlich hält es jetzt länger.
Der Verkäufer war der geschäftstüchtigste Spanier auf dem Camino. Angebot und Nachfrage regulierten den Preis. Eine Dose gekühlte Cola kostet € 1.50 bei ihm, in jeder Bar kostet gleiche Dose mit Trinkglas, Eis, Zitrone und Schattenplatz nur maximal € 1.20. Das ist Marktwirtschaft. Keine Bars in der Nähe, also Angebot klein, Nachfrage groß: gutes Geschäft. Er war weit und breit der Einzige, der Getränke anbot. Auf diesem Wegstück war kein Haus, kein Baum, kein Brunnen, kein Wasser, nichts außer einer einzigen Scheune weit ab vom Weg.
Langsam schleppe ich mich noch die letzten sechs Kilometer nach Calzadilla de la Cueza, zumal für die Herberge mit Swimmingpool unterwegs auf einer Querstraße geworben wird. (Alberge mit Piscina und Bar Animo in 9 Km ) steht auf einem Straßenschild Die Alberge ist aber in Wirklichkeit nur 6 Kilometer von hier entfernt, wie sich nachher herausstellte. In Calzadilla angekommen, hänge ich die Beine erst mal in den kühlen Pool und pflege meine Füße. Heute habe ich ein Bier verdient. Nach duschen und umziehen gehe ich in die Bar Animo, bestelle ein Bier bei der Dame hinter dem Tresen und löse ein Sudoku Zahlenrätsel in einer spanischen Zeitung. Ich war neben einem Spanier der einzige Gast bis ein Deutscher die Bar betrat, zu mir kommt und mich fragt, ob er sich dazu setzen dürfe. Ich wollte zwar mein Rätsel lösen, aber man sagt ja nicht nein. Ich bin froh, Heinz Werner kennen gelernt zu haben, denn es wurde ein interessanter Abend. Wir erzählten uns gegenseitig unsere Caminogeschichten. Als ich die Geschichte des Kanadiers von meinem 11. Caminotag erzählte, der seine Tickets und Papiere verloren hatte, fragte Heinz Werner, ob es ein kleinerer, untersetzter Mann gewesen sei, was ich bejahte. Er hatte diesen Kanadier zwei Tage vor mir kennen gelernt, sie haben sich gegenseitig fotografiert und Adressen ausgetauscht. Jedenfalls suchte Heinz Werner in seiner Kamera die Aufnahme und ich erkannte den Kanadier sofort wieder. Seine Adresse bekam ich auch. Ich habe ihm sofort bei der Ankunft in der Heimat geschrieben, aber leider bis dato noch keine Antwort erhalten. Jetzt, lange Zeit später und nach Überarbeitung dieses Buches kann ich schreiben, dass die Adresse nicht stimmte. Ich habe den örtlichen Radiosender und die Zeitung für den Großraum der französisch sprechenden Bevölkerung der Stadt Quebec, in der er wohnen sollte angeschrieben, aber es gab keine positiven Ergebnisse. Eigentlich schade, ich wollte doch so gerne den Ausgang der Geschichte erfahren.
Beim dritten Bier gestand mir Heinz Werner, dass er sich von mir aus einem unerklärlichen Grund angezogen fühlte. Er meinte, dass alles im Leben vorgesehen und Fügung sei, genau wie unsere Begegnung und das gemeinsame Treffen mit dem Kanadier. Er sah darin und auch in vielen anderen Dingen, etwas Übernatürliches, ich habe es unter der Rubrik "Zufälle" eingeordnet. Wir verabredeten uns zum gemeinsamen Abendessen.
Später am Abend gesellte sich beim Essen noch ein Hotelpilger dazu. "Er übernachtet, weil er es sich leisten kann, wie er sagte , nur in Hotels oder Pensionen", Herbergen waren nicht komfortabel genug.. Er war ein leichter Aufschneider, auch bei anderen Themen, und ich musste mir eine Bewertung seiner Aussage verdrücken. Ich wunderte mich über mich selbst, dass ich nichts zu seiner Art und zu seinem Auftreten gesagt habe.
Eigentlich fand ich diese Reaktion gut von mir und ich überlegte mir, ob ich in Zukunft immer so handeln solle? Der Jakobsweg hat in meiner Denkweise ab jetzt etwas verändert. In den Zeiten zuvor habe ich folgende Meinung vertreten: Ich bin jetzt alt genug und was mir nicht passt, das sage ich.
Es gibt nun mal solche und solche Menschen. Zu diesem Thema habe ich später auf langen, einsamen Wegen des Caminos Überlegungen angestellt. Auch über die verschiedenen Charaktere in meinem Bekanntenkreis. In Zukunft werde ich in verschiedene Kategorien differenzieren und zwar in Familie, gute Freunde, Kameraden, Sportfreunde und Bekannte.
Im Nachhinein kann ich sagen, je länger der Weg zurück liegt, desto stärker fällt man wieder in seine alten Schemata und Denkweisen zurück.
An diesem Abend haben wir drei jedenfalls nach den drei Bieren vor dem Abendessen auch noch jeder eine Flasche Wein getrunken, mehr als an sonstigen Abenden und so verliefen auch am Ende unsere Philosophien. Ich schlief in dieser Nacht sehr gut.
Auf dem 2. Jakobsweg lernte ich auf der Via Aquitana wieder ein junges Paar kennen. Es waren Steffi und Wolfgang aus der Nähe von Ulm. Sie gingen den Jakobsweg nach Santiago de Compostela, um sich dort mit der gesamten Familie zu treffen und am ersten Sonntag im September zu heiraten. Ich erzähle hier die Geschichte bis zum Ende. Wir trafen uns auch immer wieder auf dem Jakobsweg. Drei Tage nach unserer ersten Begegnung erzählte Steffi mir, dass sie im 3. Monat schwanger sei. Heute in Ospital de Orbigo übernachteten wir in der gleichen Herberge. Abends ging ich hier für mich Lebensmittel für das Abendbrot einkaufen. Unter anderem kaufte ich sechs Eier, das erwähne ich nur, weil Eier noch eine besondere Rolle spielen werden. Ich kochte die Eier hart und wollte sie am nächsten Tag für unterwegs mitnehmen. Steffi, Wolfgang und ich nahmen zusammen unser Abendbrot ein. Als ich meine 3 hart gekochten Eier aß, schaute Steffi mit traurigen Augen auf diese. Als ich dieses bemerkte, bot ich ihr und Wolfgang jeweils ein Ei an. Mit Heißhunger aß sie es und auch noch mein letztes Ei. Steffi erzählte, dass sie Heißhunger auf Ei bekommen hätte, als sie es bei mir sah. Weil wir uns immer wieder tagsüber auf dem Weg sahen, kaufte ich abends immer mindestens 2 Eier, die ich hart kochte und in meinem Rucksack für Steffi mitnahm. Jedes mal war die Freude bei der Eierübergabe sehr groß. Ich mache es kurz mit meiner Erzählung. In Santiago sahen wir uns zwei, drei Mal und ich wurde zu ihrer Hochzeit und Hochzeitsfeier am ersten Septembersonntag eingeladen. Schade, dieser Sonntag war früh morgens mein Abflugtag.
Alles Gute und Gesundheit wünsche ich euch und dem zu erwartenden Kind.


14. Tag Calzadilla de la Cruz nach El Burg Ranero


Bei Dunkelheit geht es wieder los und auch heute ist der Sternenhimmel bei sehr klarer Luft gut zu beobachten. Ich erkenne den Großen Wagen, den Kleinen Wagen und den Orion. Es sind aber auch die einzigen Sternzeichen die ich kenne. Der Weg geht über Ledigos, mit 84 Einwohner und einer Bevölkerungsdichte von nicht ganz drei Einwohnern pro Km² ein fast ausgestorbener Ort. Die meisten Orte am Jakobsweg sind Einwohnerarm, denn zum Teil haben junge Leute die Orte verlassen und sind in Großstädte gezogen. Alle Orte haben jedoch immer Kirchen, die sehr schön und meist einen reich mit Gold verzierten Altar haben. Für mich war dieses auf dem Weg immer ein Widerspruch, wenn ich die oft im Europavergleich heute armen Bewohner sehe, die in ihren zerfallenen Häusern wohnen und die Gotteshäuser strotzen mit großen Goldaltären. Hieran erkennt man, wie reich diese Regionen früher waren. Das gilt auch für diese Kirche hier in Ledigos am Jakobsweg, wo ich heute früh durchgehe, Sie ist dem Hl. Jakobus geweiht und die einzige Kirche am Camino, in der Jakobus als Apostel, als Pilger und als Maurentöter, also dreifach dargestellt wird.
Ledigos verlasse ich und sehe bald auf einen Hügel Tarradillos de los Templarios. Wie aus dem Namen hervorgeht, einer der vielen Orte des früheren Templerordens, die es an allen Wegen, die nach Jerusalem führten, gab. Gegründet wurde der Templerorden etwa um 1120 von französischen Rittern, um die Pilger, die zum Heiligen Grab pilgerten, vor Plünderern, Dieben und Mördern zu schützen und die Pilgerwege zu überwachen. Die Templer sind eigentlich die Erfinder der Kreditkarte. Sie handelten mit Gold und Silber und konnten so einen Geldverkehr mit Wechseln und schriftlichen Zahlungsanweisungen in fremden Ländern schon zur damaligen Zeit organisieren. Damit sorgten die Templer am Jakobsweg für Sicherheit und Ordnung. Geld wurde zu Hause eingezahlt, auf Kreditkarten konnte man überall bei den von Templern beherrschten Gebieten Geld abheben
Weiter führt mich der Weg in Richtung Sahagun, ein 300 Seelendorf. Ich befinde mich jetzt schon in der Provinz Leon, aber auch mitten in der Meseta. Gegen Mittag wird es sehr, sehr warm, in meinem Notizbuch schreibe ich sogar, dass es ab 11:00 Uhr eine Hitzeschlacht war. Auf dem Weg nach Sahagun beginnen meine Füße nicht mehr mit den Einlagen einverstanden zu sein. Da ich kein Pflaster zum Kleben neuer Papiertaschentücher-Tampons habe, ziehe ich kurz entschlossen meine Weichgummi-Crocs an und gehe hervorragend den Rest des langwierigen Weges, immer die Autobahn sehend, mit der jetzt neuen Schuhentdeckung nach El Burgo Ranero.
Hier angekommen, gehe ich heute völlig erschöpft in die vom Jakobsverein geführte Herberge, die aber voll belegt war. Selbst ein deutscher Hostalero, wohnhaft im Kreis Heinsberg, nicht weit von Aachen entfernt, der meine frühere Firma sogar kannte, war machtlos mich noch unterzubringen. Ich sagte ihm, dass ich mich einfach irgendwo hinlegen würde, denn ich war zu erschöpft um noch weiter zu gehen. Er zeigte mir eine private Herberge, die ein paar hundert Meter weiter auf der anderen Seite lag. Ich hätte sonst gestreikt und wäre nicht weitergegangen, denn die nächste Herberge wäre 13 Km weiter in Reliegos gewesen. Eingecheckt in der privaten Herberge, setzte ich mich auf die Straßenterrasse, aß etwas, flickte meine Schuheinlagen mit neuen "Tampons", verklebte sie mit Klebeband, gekauft in dem Krämerladen und legte mich um 20.00 Uhr ins Bett. Heute war ich so geschafft, dass ich sofort einschlief. Ein Herr aus Deutschland, der eine Flasche Rotwein verzehrte, wollte mich zu einem Glas einladen, was ich dankend ablehnte, weil ich an diesem Abend fix und fertig war, obgleich die Strecke heute nur etwas über 30 Km in knapp unter 10 Stunden war.
Jeder Tag ist eben nicht wie der andere, erst recht nicht auf dem Jakobsweg.
Duplizität der Ereignisse waren beim 2. Weg wieder meine Füße respektive Schuhe, als ich auf dem Weg zwischen Sahagun und Calzada del Coto etwa 1 Km vor Calzada ein Sandkorn oder Steinchen an der linken Ferse verspürte. Es war wieder sehr warm und der Weg bietet keinen Schatten. Deshalb wollte ich den Kilometer bis zum Ort gehen und im Schatten sitzend, den Schuh und die Strümpfe kontrollieren. Es war zu spät, als ich im Ort angekommen war, hatte ich eine dicke Blase an der Ferse. In der Herberge habe ich mir eine Nähnadel und weißen Nähfaden geliehen und habe 2 Fäden durch die Haut der Blase gezogen. An der Einstichstelle und am Ausstich der Nadel habe ich jeweils ca. 1 Zentimeter Garn nach außen überstehen lassen. Aus der Blase schauten jetzt 4 Fäden die den Zweck hatten, die Blasenflüssigkeit über die Fäden abzuleiten. Am nächsten Morgen noch ein Papiertaschentuch über die Blase geklebt und los ging es. Unterwegs, es war noch keine Stunde vergangen, schmerzte es an der Ferse und ich konnte kaum weitergehen. Ein bei Pilgern bekanntes Pflaster für Blasen heißt Compeed. Dieses holte ich in der nächsten Apotheke, verarztete meine Blase mit diesem Gelpflaster und konnte einigermaßen gut gehen.
Wenn ich jetzt rechne, dann habe ich die erste Blase auf den beiden Jakobswegen nach etwa 1500 Kilometer bekommen. Und das ich sie hatte, war meine eigene Schuld, weil ich die Sandkörner nicht sofort entfernt habe. 


15. Tag El Burgo Ranero nach Puente Villarente


Es ist heute Morgen vor sieben Uhr wieder kühl. Nicht mehr als 12° C. Dieses hat den Vorteil, dass man ohne zu schwitzen besser und schneller gehen kann. Ich gehe etwas über zwei Stunden nach Reliegos durch die Einsamkeit der Kornfelder. Dieser kleine Ort wird durchwandert, um nach Mansilla de las Mulas zu gelangen. Der Weg ist leicht, es gibt nur wenig Höhenunterschiede. Hinter Mansilla de las Mulas gehe ich über eine mittelalterliche Brücke, die den Fluss Esla überquert und dann führt der Weg immer parallel zur Straße nach Puente Villarente. In diesem Ort verläuft der Weg wieder über eine uralte, immer nach einem Hochwasser reparierte Brücke über den Rio Porma. Jede durch das Hochwasser bedingte Reparatur erkennt man daran, dass die Brückenbögen alle ungleichmäßig groß sind und so keine architektonische Linie an der Brücke erkennbar ist. Es wurde immer nur notdürftig geflickt. Erklärt hat mir dieses ein älterer, deutsch sprechender Spanier, der mich bei einer Pause an der Brücke ansprach. Zuerst wunderte ich mich, dass er sofort deutsch mit mir sprach, erinnerte mich aber dann an die kleine Deutschlandflagge, die an meinem Rucksack befestigt ist. Nach dieser Brücke bemerkt man allmählich den urbanen Einfluss Leons und Gott sei Dank, die Meseta endet hier so langsam und ich hoffte auf grüne, blühende Landschaften auf meinem künftigen Weg. Ich habe heute keine Lust mehr weiter zu gehen, sehe eine Straßenwerbung für eine private Herberge, einen ehemaligen Bauernhof. In der Herberge angekommen, war ich der Erste und einzige Pilger. Da es noch früher Nachmittag war, habe ich großen Waschtag veranstaltet. Fast alles, was waschbar war, wusch ich in der vorhandenen Waschmaschine. Anschließend ging ich einkaufen. Ich dachte, die Herberge wird noch von anderen Pilgern aufgesucht, aber das war nicht der Fall. Ich war der einzige Gast und schlief allein in einem Zwanzigbettzimmer.
Heute war ich faul, bin nur etwa 25 Km gegangen. Hätte es auch noch spielend nach Leon geschafft, aber es war um 18:00 Uhr noch über 32 C. Wie warm wäre es dann erst in Leon gewesen? Ich glaube, meine Taktik, immer morgens die großen Städte zu besuchen ist richtig. Also früh raus und abends zeitig ins Bett. Als Herberge wird der umgebaute Bauernhof noch erweitert und vergrößert. Diese Herberge hat modernste Sanitäranlagen, eine große Wiese mit Liegen und befindet sich nahe am Ortskern, wobei dieser an einer sehr belebten Zufahrtsstraße nach Leon und zur Autobahn liegt.


16. Tag Puente Villarente über Leon nach Virgen del Camino


Heute ist Donnerstag, ich bin bald 500 Km unterwegs und meine Einlagen sind nach der eigenen Notreparatur weiterhin zu gebrauchen und ich fühle mich körperlich topfit. Bis Santiago de Compostela sind es noch ungefähr 300 Km und die werde ich auch noch schaffen. Heute Morgen erreiche ich Leon, die Hauptstadt der Provinz Kastilien. Diese Stadt wird ein weiterer Höhepunkt auf dem Camino sein. Gut, dass ich früh aufgestanden und die Herberge schnell verlassen habe, denn ich war vor 10:00 Uhr in Leon an der Kathedrale. Zuerst führte der Weg ab der Herberge bergan, neben einer belebten Straße nach Leon. Recht unangenehm wurde es nach zwei Stunden schnellem wandern und nach einem herrlichen Ausblick auf die Stadt im morgendlichem Sonnenlicht, als der Pilgerweg neben der als Autobahn ausgebauten Nationalstraße auf dem Seitenstreifen der Autobahn weiterführte. Ich glaubte, ich habe den falschen Weg, aber es gab keinen anderen Weg. Hier hat man vorbei geplant und nicht den einmündenden Pilgerweg bedacht. Eigentlich unglaublich. Der Pilgerweg endet auf der Autobahn. Kein Hinweis, keine andere Möglichkeit als auf dem Seitenstreifen der Autobahn 150 Meter zu einem weiteren Weg zu gehen. Ich dachte es sei eine Dummheit von mir gewesen, aber andere Pilger bemerkten diesen Planungsfehler ebenso. Mich interessiert wie es im Heiligen Jahr hier aussehen wird, wenn tausende Pilger den Autobahnseitenstreifen benutzen, wenn keine Lösung bis dahin geschaffen worden ist.
Um mich zu korrigieren, muss ich schreiben, dass bei meinem 2 Jahre späteren Jakobsweg alles zur Zufriedenheit der Pilger abgeändert wurde. Man hat eine Brücke, dort wo der Pilgerweg endete, über die Autobahn neu gebaut und eine neue Trasse als Weg erstellt.
Bald gehe ich durch die Randgebiete und der Vorstadt ins Zentrum Leons und erreiche nach der Benediktinerinnen-Herberge die Kathedrale. Diese aus der Frühgotik zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert gebaute Kathedrale Santa Maria de Regla gilt als eine der schönsten Spaniens. Im Innenraum kann man 1800 Quadratmeter bunte Glasfenster bestaunen. Ich habe ein ca. achtjähriges Mädchen beobachtet, das vor Staunen den Mund weit geöffnet hatte und fasziniert und andächtig die bunten Fenster betrachtete. Einfach sehenswert ist diese Kathedrale. Hineingehen, sich auf eine Bank setzen und eine halbe Stunde verweilen. Das zeigt Wirkung. In Leon ist nicht nur die Kathedrale besonders schön, es gibt ein von Gaudi erbautes großes Gebäude, an dem man sofort die architektonische Handschrift Gaudis erkennt. Wer schon einmal die Gaudibauten in Barcelona sah, erkennt seinen Stil sofort. Des Weiteren sehenswert sind das Museum, einige Paläste, die alten Stadtmauern und auch das Parador Hotel.
Eine persönliche Überraschung war mein Gewicht. Ich wog mich in einer Apotheke und mein Gewicht betrug mit Wanderschuhe und komplett angezogen nur 82 Kilo. Ich hatte mittlerweile gut sechs Kilo abgenommen.
Nachmittags gehe ich weiter durch die Vorstadt und dem Industrieviertel zur Herberge nach Virgen del Camino. Die städtische Herberge ist neu und modern mit guten sanitären Anlagen in einem kleinen Industriegebiet. Es sind nur wenige Pilger in der Herberge, die meisten übernachten in Leon. Die heutige Strecke betrug nur 21 Km bedingt durch den Besuch Leons, der jedoch sehr lohnenswert war.


17. Tag Virgen del Camino nach Hospital de Orbigo

Ab Virgen del Camino führt einmal ein Weg immer an der Straße entlang und ein zweiter Weg, der führt am Ende der Stadt an einem Abzweig links in ein offenes Feld. Bis zum Abzweig war der Weg beleuchtet, dann wurde es bei Dunkelheit schwierig. Vorsichtig, um nicht auf dem ausgefurchten Weg zu stolpern, ging ich etwa eine halbe Stunde bis zu einer Autobahn. Hier machte ich den größten Irrweg des ganzen Caminos. Bei der Vorbereitung hatte ich gelesen, die Autobahnbrücke müsse überquert werden und dann müsse man nahe der Autobahn weitergehen. Ich ging über die Brücke, sah die Straße rechts steil bergab, nahm diese aber nicht, weil ich in der Dunkelheit annahm, es sei die Autobahnauffahrt.
Folglich ging ich geradeaus weiter. Die gesamte Straße, die parallel zur Autobahn verlief, war frisch geteert und die Seitenbegrenzungen erneuert. Mein nächster Irrtum war die Annahme, die Jakobswegzeichen seien überteert und noch nicht erneuert worden. Aber die zur Autobahn parallel verlaufende Straße war ja, meines Erachtens, richtig. So hatte ich die Wegbeschreibung gelesen. Es war noch dunkel, der Sonnenaufgang ließ auf sich warten und ich konnte nicht ahnen, dass ein Autobahnkreuz in der Nähe war und ich somit die Straße parallel zur Autobahn Richtung Süden und nicht die Straße parallel zur Autobahn Richtung Westen nahm. Als die Sonne aufging, merkte ich die falsche Richtung. Einfaches Gebot am Jakobsweg: Morgens zeigt dein Schatten immer nach Westen in Richtung Santiago de Compostela. Also geht man immer in die Richtung, in die dein Schatten zeigt. Als die Sonne die ersten Morgenstrahlen sandte, zeigte mein Schatten nicht in die Richtung, in die ich ging, sondern nach Westen. Also merkte ich, dass ich im rechten Winkel zu meinem Schatten Richtung Süden ging. Es waren früh morgens keine Personen unterwegs, die man hätte fragen können, außer einem unbeleuchtetem Haus waren auch sonst keine Häuser oder Gebäude zu sehen und drei vorbeifahrende Autos, die ich versuchte anzuhalten, um zu fragen, reagierten nicht. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, sie gaben Gas um schnell an mir vorbei zufahren. Dem Zweiten rief ich ein paar unschöne Worte hinterher und dem Dritten noch schlimmere. Ich bin froh, dass diese Worte nicht verstanden wurden, denn sie geziemten sich nicht als Pilgergruß.
Ich ging drei Kilometer falschen Weg, ärgerte mich über mich selbst, denn ich musste ja diese drei Kilometer auch wieder zurückgehen. Summa summarum sechs Kilometer umsonst gelaufen. Es war für mich dennoch lehrreich. Ich beschwichtigte mich selbst und kam zu dem Entschluss, lieber einmal mehr zu fragen oder zu warten, als stur immer weiter zu gehen. Ich gestand mir für die Zukunft zu, auch einmal Fehler machen zu dürfen. Man muss nicht immer perfekt sein, wie ich bisher immer glaubte, es sein zu müssen. Ich bin im Sternzeichen Stier geboren und Stiere fragen nicht. Stiere gehen oder fahren immer weiter. Das war eine sehr hilfreiche Lektion. Ich denke in späteren Situationen häufig an diesen Umweg, wenn eine ähnliche Situation auf mich zukam. Jetzt habe ich manchmal das Gefühl, ich frage zu oft, um sicher zu gehen und das befriedigt mich auch nicht.
Nach mehr als einer Stunde war ich auf dem rechten Weg. In meinen Notizen stand, dass es bald ein langweiliger, kilometerweit geradeaus führender Weg wird. Nur mit wenigen Ausnahmen geht es immer an einer asphaltierten Straße entlang. Zu erwähnen bleibt noch, dass die Landschaft nach Virgen del Camino wieder grüner wird, Kornfelder wird man immer weniger sehen, flaches Land ist weiterhin angesagt. Ich habe in den letzten Tagen unterwegs wenige Pilger gesehen, so gut wie fast keine Pilger überholt und tagsüber selten Gespräche führen können. Es könnte daran gelegen haben, dass viele Pilger die Strecke zwischen Burgos und Leon auslassen, bzw. mit Bus oder Bahn fahren. Möglich ist auch, dass ab Mitte August die Spanier, Franzosen und Italiener das Ferienende (meist Ende August) auf sich zukommen sehen und keine Strapazen an den letzten Tagen vor dem Ende der Ferien auf sich nehmen. Ich habe es nicht herausgefunden, es ist nur eine Vermutung oder vielleicht war es auch nur ein Zufall, dass so wenige Pilger zu sehen waren, aber die Herbergen waren auch nicht gut belegt. Heute zum Beispiel habe ich zwei rastende deutsche Frauen überholt und es waren etwa zehn Radfahrer an mir vorbeigefahren. In Hospital de Orbigo habe ich mich für die drei Sterne Albergue San Miguel, die letzte der drei Herbergen im Ort, entschieden. Es war ein guter Entschluss, denn es herrschte eine wohltuende Ruhe. Das Abendessen konnte ich in der Herberge im Außenbereich bzw. im Hof einnehmen und so entschied ich mich, im Ort einkaufen zu gehen. In dem kleinen SB Laden kaufte ich ein Glas eingelegte Paprika, ein Stück Käse, eine Dose Thunfischsalat und eine Halbliterflasche Rioja Rotwein. Diese Speisen und Getränke nahm ich dann gemütlich mit anderen Pilgern unter freiem Himmel bei einbrechender Dunkelheit in der Herberge zu mir. Ich hatte ja keine Gewichtsprobleme mehr und habe alles aufgegessen und ausgetrunken. Mit so vollem Bauch habe ich dann auch noch gut geschlafen. Als Anmerkung an den Umweg, möchte ich hier nachtragen, dass ich nicht der einzige Irrläufer war. Im Nachhinein erzählten auch einige andere Pilger, dass es ihnen ähnlich ergangen war.


18. Tag Hospital de Orbigo über Astorga nach Rabanal del Camino


Am Ortsende gibt es heute Morgen wieder zwei Möglichkeiten um nach Astorga zu gelangen. Die Landstraße möchte ich meiden, folglich gehe ich an der Gabelung rechts und erreiche den in der Dunkelheit gut beleuchteten, kleinen Ort Villares de Orbigo. Ich glaube, hier schlafen an diesem Samstag morgen alle Einwohner den "Schlaf der Gerechten". Ich hätte angenommen, der Ort wäre ausgestorben, wenn nicht hin und wieder ein Hund mich ankläfft hätte. Rechts und links des Caminos fallen immer wieder die für die Bewässerung der Felder verlegten Wasserrinnen aus Beton auf. Hier werden Knoblauch, Zwiebeln, Lauch und Paprika angebaut. Die Landschaft wird jetzt leicht hügeliger und viel grüner. Weiter auf Pfade und Feldwege geht der Camino durch kleine Ortschaften wie San Justo de la Vega, wo mir ein Werbeschild für den Verkauf eines Grundstückes zum Quadratmeterpreis von € 40,00 auffällt. Ein 500 Quadratmeter großes Grundstück kostet 20 000.-. Euro Der Preis ist günstig, aber in dieser Gegend herrscht permanent Landflucht und wer will hier am Ende der Welt wohnen? Mit solchen Gedanken befasst sich ein Pilger, der alleine geht und seinen Gedanken auf einsamen Wegen freien Lauf lässt.
Astorga Cathedral Santa Maria
Weiter durch Felder und kleine Wälder geht es nach Astorga, das ich um 10.00 Uhr erreiche. Die Stadt liegt auf 870 Meter Meereshöhe am Fuße des Monte des Leon.
Sehenswert ist die Kathedrale mit den zwei Türmen, die man beim Anmarsch schon aus der Ferne erkennt, daneben der Bischofspalast nach Gaudiplänen erbaut und der Rathauspalast bzw. das Rathaus in dem Palast aus dem 17. Jahrhundert. Für mich der Clou aber ist das Schokoladenmuseum mit Verkostung. Da Astorga berühmt für seine Schokoladenherstellung ist, habe ich mir 100 Gramm mich anlachende Mandelbruchschokolade gekauft und sofort die Qualität geprüft. Schmeckte hervorragend und sie war in fünf Minuten, im wahrsten Sinne des Wortes, verkostet, geprüft und für gut befunden worden. Beim Kaffee in der Cafeteria auf dem Plaza de Cathedral gönnte ich meinen Füßen etwas Luft, zog die Schuhe aus und Crocs an. Es kam mir die Idee, die Crocs bis ans Ende der Stadt anzulassen. Gedacht, getan, ich ging den Rest des Weges bis nach Rabanal del Camino mit diesen geschäumten, sehr leichten Kunststoffschuhen. Eigentlich ging es sehr gut, wenn die Strecke leicht bergan geht, sobald aber Steigungen oder Pfade mit größeren Steinen zu bewältigen sind, wird es schwierig ohne meine MEINDL Wanderschuhe. Am heutigen Tag waren nur einige Male steilere Abschnitte als Wegstrecke, immer dann, wenn der Camino nicht parallel zur Straße verläuft. Ab und zu wird die Straßenführung abgekürzt, dann sind die Pfade steil bergan. Die heutige Tagesstrecke war 37,7 Km lang und mit einem Höhenunterschied von 340 Höhenmetern teilweise anstrengend (von 820 Meter auf 1160 Meter).
In Rabanal ging ich in die erste Albergue El Pilar. Dieses ist eine private, empfehlenswerte Herberge. Im offenen Hof steht eine gemütliche Bar und abends wird ein schmackhaftes Pilgermenü serviert. Dieses nahm ich mit Heidi, die hier Gast war und ich hier kennen lernte, ein. Trotz des halben Liter Weines, den ich trank, wurde es ab 21:00 Uhr im Außenbereich so kalt, dass ich zu Bett ging. Es waren heute nur fünf Pilger in dieser Herberge, wogegen ich gehört habe, dass die städtische Herberge, die preiswerter ist, fast ausgebucht war. Dazu muss ich bemerken, dass meistens Spanier die urbanen Herbergen wegen des geringen Entgeltes oder des kostenlosen Übernachten früh ansteuern und dann meistens um 17:00 Uhr belegt sind.


19. Tag Rabanal del Camino über Cruz Ferro nach Ponferrada

Heute erwartet mich eine, wie man bei der Tour de Franc sagen würde, weitere Königsetappe. Bis Ponferrada sind es nahezu 33 Km mit 400 Meter Aufstieg auf 1560 Meter über Meeresspiegel und anschließend 1100 Höhenmeter Abwärtsmarsch. In etwas mehr als einer Stunde steil bergan erreiche ich das - meinem Eindruck nach - "Einseelendorf" Foncebadon, mit einer restaurierten kleinen Kirche und einigen Ruinen. Die zwei frei laufenden Hunde, die früh morgens dort herumlungerten, waren harmlos und beachteten mich gar nicht. Nach weiteren 200 Höhenmetern Anstieg und einer weiteren Stunde wandern, erreichte ich Cruz Ferro. Froh hier bald auf dem höchsten Punkt angekommen zu sein, kann ich meinen Rucksack um 250 Gramm erleichtern. Den weißen Kieselstein, den ich bei Ausgrabungen in meinem Garten gefunden und im Rucksack mitgenommen hatte, legte ich am Fuße des Kreuzes nieder. Zu Hause hatte ich gelesen, man lege, mit dem Stein aus der Heimat, symbolisch viele Lasten von seiner Seele ab. Ich legte eine Last aus meinem Rucksack, die ich seit dem ersten Tag mitgenommen und getragen habe, dort ab. Nach einem kurzen "in sich kehren" und ein paar Fotos, frühstückte ich auf einer Bank im Windschatten, mit Ausblick auf das eiserne Kreuz.
Trotz des Sonnenscheins war es bei leichtem Wind hier auf über 1500 Meter unangenehm kühl, wenn man ein paar Minuten still gestanden oder gesessen hat. Bald ging ich weiter zum Pass, immer bergauf, und dann ging es 1100 Höhenmeter bergab auf zum Teil steinigen, steilen Trampelpfaden und unbefestigten Wegen. Wunderbare Aussichten auf die umliegenden Berge mit ihren Almwiesen und die Fauna hier oben, lassen mir heute das Herz höher schlagen. Weiße Zistrosen, Erika und Heidekraut in violett bis rosa, Ginster, Bergveilchen und Golddistel, alles miteinander bunt vermischt, bieten unvergessliche Bilder.
Besonders bei Abstiegen auf zum Teil stark ausgewaschenen Geröllwegen haben Wanderstab und Schuhe gute Dienste geleistet. Auf diesen Pfaden muss man mit guten Schuhen gehen. Ich habe MEINDL Schuhe zu Hause oft und lange getestet und für sehr gut befunden. Auf diesen schwierigeren Wegen sollten die Schnürsenkel etwas fester als auf leichten Wegen angezogen werden, um nicht in den Schuhen zu rutschen und um keine Blasen zu bekommen. Es geht immer nur bergab, viele Kilometer. Bergab gehen ist für mich schwieriger als bergauf zu gehen. Man muss alle Sinne wach halten, um nicht auszurutschen oder umzuknicken. Heute fühlte ich mich fit und der Motor (meine Beine) läuft rund. So erreiche ich Molinaseca, eine lang gezogene Stadt, in der der Camino über 4 Kilometer immer auf Wegen und Bürgersteigen durch die Stadt führt.
Froh, endlich wieder einen Nebenweg zu gehen, gelangt man bald zu dem Ort Campo und weiter geht es bis spät nachmittags in die kirchliche Herberge von Ponferrada. Es ist eine Großherberge mit über 250 Betten in verschiedenen Räumen. In der Hochsaison werden sogar im Eingangsbereich und unter freiem Himmel Schlafgelegenheiten durch Matratzen erstellt, wie mir ein Mitarbeiter erzählte. So auch in der Nacht zuvor, als Unmengen Spanier an diesem Samstag dort waren und sogar alle Radfahrer abgewiesen werden mussten, weil etwa 280 Fußpilger in der Herberge abstiegen. In städtischen und kirchlichen Herbergen haben Fußpilger Vorrecht vor berittenen Pilgern und Radfahrern, wobei Radpilger immer erst ab 18:00 Uhr eingelassen werden, wenn dann noch Plätze frei sind. Ich habe auf dem gesamten Weg nur viermal einen Pilger mit und auf einem Pferd, sowie nur einmal mit einem Esel gesehen, aber man kann Unmengen von Pferdedung auf den Wegen finden, was mich irritierte.
Der spanische Hostalero in Ponferrada war nicht flexibel. Nach der Anmeldung ging er mit mir in den Raum (es gab noch einige freie Räume mit bis zu zehn Doppelbetten) der gerade an der Reihe war, belegt zu werden und er gab mir von einem Etagenbett ein Oberbett. Unten waren alle sieben Betten belegt. Als ich auf mein Alter hinwies und um ein Unterbett im nächsten, noch leeren Raum bat, war es ihm nicht möglich, mir hier ein Unterbett zu geben. Reine Inflexibilität, ich wollte auch keine Unstimmigkeit aufkommen lassen und bezog oben Quartier. Meiner Meinung nach könnten junge Leute oben, ältere unten untergebracht werden. (Meine jetzige Meinung hat sich etwas geändert. Wer 1000 Km gehen kann, müsste auch in einem Etagenoberbett schlafen können)
Hungrig vom langen Weg gehe ich in die mit 66.000 Einwohnern zu den größeren Orten am Camino zählende Stadt, um ein Restaurant zu suchen. Vorbei an der Templerburg, gehe ich zur Stadtmitte. Optisch sieht die Burg wie die Filmkulisse einer Burg im Mittelalter aus, riesig groß und sehr gut erhalten. Hier, in der Stadtmitte, sehe ich auf einer McDonalds Werbung einen Dreifach-Burger und ich erinnere mich an Thailand zurück. Folgendes war geschehen: Wir, meine Frau und ich, machen seit einigen Jahren von Anfang November bis Anfang März Urlaub in wärmeren Regionen, so auch einige Male in Thailand. Ich glaube im zweiten Urlaub war es, als wir nach zwei Monaten "nur" Thaikost nach Pattaya kamen und auch eine McDonalds Werbung sahen. Wir schauten uns an, hatten den gleichen Gedanken gingen beide immer schneller werdend, zu dem Fastfoodladen und bestellten alles, was die Speisekarte hergab. Pommes rot/weiß, einen großen Burger und 1 Liter Cola Light sowie ein Eis, alles schmeckte nach der langen Thaikostzeit köstlich. Ergänzend muss ich sagen, wir mögen beide überhaupt keine Fastfoodkost. Als meine Tochter noch ein Kind war, bekam sie immer großen Hunger, wenn sie die McDonalds Werbung sah. Als guter Vater ging ich mit ihr zu McDonalds, ich aß meistens ein Eis und mein Kind hatte einen schönen Tag mit Fastfood. Wie es meinem Kind damals erging, erging es mir heute. Nach häufigen Pilgermenüs wollte und konnte ich mir gewichtsmäßig was kalorienhaltiges leisten. So ging ich, wie damals in Thailand, immer schneller und es wurde ein weiter Weg zu einem neu erbauten Einkaufscenter am Stadtrand. Als ich ankam, suchte ich mir auch die größte Portion aus. In meinem Tagebuch schrieb ich: es schmeckte heute köstlich.
Auf dem Heimweg zur Herberge formierte sich eine Prozession aus vielen hunderten Menschen auf der breiten, in die Innenstadt führende Straße. Es war das zum hundertsten Mal wiederkehrende Patronatsfest zu Ehren des Erscheinens Maria (Fiestade la Encina). Diese Prozession wurde von den vielen umliegenden Orten des Landkreises El Bierzo mit seiner Hauptstadt Ponferrada veranstaltet, in der die Einwohner der Orte in ihren herrlich bunten Kostümen und vielen verschiedenen Trachten, Spezialitäten aus ihrem Dorf zur Marienstatue auf dem Platz vor der Basilica de la Encina brachten. Ich sah Körbe mit Weinflaschen und Trauben, Wurstspezialitäten, einen dicken Schweinekopf garniert, Früchte, Getreide und vieles, vieles mehr. Der Prozessionszug wurde begleitet von Musik, Gesang und Tanzgruppen. Es war für mich wieder ein unvorhergesehenes, unvergessliches Erlebnis. Ponferrada ist eine schöne Stadt, die Sehenswürdigkeiten en maß hat. Für diese Stadt, die letzte größere Stadt vor Santiago, sollte man genügend Zeit einplanen. Nur ein Nachmittag ist viel zu wenig. Zu berichten ist noch Folgendes: als ich meinen Schlafraum betrat und mich hinlegen wollte, bot mir ein junger Spanier, den ich bei meiner Ankunft nicht gesehen habe und der auch nichts von meiner Bitte nach einem Unterbett wusste, sofort einen Bettentausch an. So bekam ich doch noch ein Paterrebett.


20. Tag Ponferrada nach Trabadelo


Früh ging es in gut beleuchtetem städtischen Gebiet gut voran. Nach ein paar Kilometern wurde es immer ländlicher und immer grüner. In meinem Tagebuch ist verzeichnet: Gott sei Dank, die Landschaft ist wieder sehenswerter. Bäume, Wiesen und Weinberge wechseln sich ab. Das Aufeinandertreffen vom westlichen Seeklima (Atlantik ist nicht mehr weit) und dem kontinentalen Klima der spanischen Hochebene, bewirkt das Mikroklima, das hier in der Gegend herrscht. Das heißt: sehr viel Sonne bei genügend Regen sorgt für gute landwirtschaftliche Erträge im Obst-, Gemüse- und Weinanbau. In der Ferne gen Westen sieht man wieder Gebirgsketten aufragen und im Westen liegt unser Ziel. Und über diese Gebirgsketten müssen die Pilger wandern, wenn sie Santiago erreichen wollen, eine letzte Gebirgskette, ein letztes Mal. Zu einer guten Buße in Santiago bleibt einem kein Gebirge erspart.
In Cacabelos, einer kleinen Stadt, frühstückte ich auf der Hauptstraße in einer Bar, schräg gegenüber der Markthalle. Meinen Rucksack ließ ich draußen auf einer der Bänke, die den Hauptdorfplatz säumten, aber im Blickfeld der Bar, die sehr eng und schmal war. Gepäck hätte gestört. In der Bar trank ich einen Café con Leche und aß ein Bocadillo mit Käse und Schinken. Hierfür sollte ich € 7.- bezahlen. Ungläubig fragte ich nach, denn bisher hatte ich immer in den Bars unter € 5.- bezahlt. Aber die ältere, schlecht gelaunte Barbedienung sagte "siete" und das heißt auf deutsch sieben. Ich fragte nochmals "siete" und sie bestätigte nochmals. Ich fragte nach einer Speisekarte, um den Preis zu kontrollieren, aber sie hatte heute keine. Also bezahlte ich und hatte das Gefühl, die Alte hat mich beschi.... (ein Pilger nimmt solch ein Wort nicht in den Mund). Aber was soll es, es war das erste und einzige Mal auf der gesamten Tour. Soll die Alte glücklich werden mit den € 2,- die sie jetzt mehr hat. Ich muss noch einmal wiederholen, Pilger haben mit wenigen Ausnahmen bei allen Nordspaniern eine Ausnahmestellung. Pilger werden mit Respekt, ehrlich und sehr oft bevorzugt behandelt.
Von Cacabelos gehe ich ein paar Kilometer auf kaum befahrene Straßen und dann etwa zwei Stunden Feldwege durch Weinanbaugebiete nach Villafranca del Bierzo. Durch die kühlen Gassen der kleinen Stadt gehend, überquere ich den Fluss über eine alte Brücke und dann geht es steil und steinig über 460 Höhenmetern, die Gebirgskette, die ich am Tag zuvor schon sah, auf Pfade und Feldwege nach Trabadelo. Wie ich hörte, gibt es noch einen kürzeren, aber schrecklich lauten Weg, immer an einer viel befahrenen Straße und unterhalb einer Autobahn, den die Pilger wegen einer halben Stunde Zeitersparnis nicht benutzen sollten. In Trabadelo ging ich nach dem ausgiebigen Abendessen, das ich in dem kleinen Lebensmittelladen einkaufte und in der Herberge im Innenhof aß, früh ins Bett. Es wartete ein harter neuer Tag auf mich. Es sind nur noch rund 180 km nach Santiago de Compostela. Heute bin ich fast 35 Kilometer gegangen, es fällt mir nicht mehr schwer, solch weite Strecken zu gehen. Ich würde fast sagen, das Gegenteil ist der Fall. Je näher ich nach Santiago de Compostela komme, desto motivierter und fitter fühle ich mich. Immer schneller möchte ich das Ziel Santiago erreichen. Eine innere Ruhe hat mich, trotz des Verlangens schnell nach Santiago de Compostela zu gelangen, erreicht. Ich weiß jetzt, es kann kommen was wolle, ich erreiche mein Ziel. Ich würde Santiago erreichen, schlimmstenfalls würde ich mich dorthin auf allen Vieren schleppen. Alle Sorgen, alle Mühen haben sich gelohnt. Oft denkt man im Vorhinein, was machst du, wenn du krank wirst, wenn irgendetwas Unvorhersehbares dazwischen kommt? Eine lange Zeit der Vorbereitung habe ich mir im Gegensatz zu vielen anderen Jakobspilgern genommen. Jetzt habe ich alles richtig gemacht, es hat sich gelohnt. Seit einigen Tagen gehe ich sorgenlos und beschwingt meinem Ziel entgegen. Mit vielen Pilgern habe ich über dieses Gefühl gesprochen und es gab viele, ich würde sagen, alle fühlten ebenso wie ich.


21.Tag Trabadelo über den O Cebreiro (1306 m) nach Fonfria


Angesagt waren heute sehr, sehr harte 31 Km und 8 Stunden Aufstieg bis auf 1378 m Passhöhe. Aber beginnen wir von vorne: Langsam und stetig geht es am frühen Morgen vor sieben Uhr bergauf nach Vega de Valcarce. Über der Stadt thront das Castillo de Sarracin, eine zum Templerorden gehörende Burg. Mich, als gebürtigen Aachener erfreute, dass schon einmal ein Mitbürger der Stadt Aachen hier übernachtete. Auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung nächtigte hier Kaiser Karl der Große. Ohne mir über meinen berühmten Aachener Mitbürger Gedanken zu machen, muss ich weitergehen. Das Wetter meint es gut. Es ist zwar etwas windig, aber man kommt gut voran. Bis Fonfria sind es noch 23 Km und drei Bergpässe. Hier in diesem Bereich des Jakobsweges stehen viele Herbergen. Da die kommenden Wege schwierig werden, machen viele Pilger hier einen Übernachtungsstopp, um am nächsten Tag frisch und ausgeruht die Pässe zu überqueren. Ich gehe weiter durch den 25 Seelen Ort Ruitelan, wo hinter dem Ort das Unternehmen Jakobsweg ernst wird, es wird steil, sehr steil. (Ich erinnere mich an das Lied von Xavier Naidoo: Dieser Weg, wird kein leichter sein, dieser Weg ist steinig und schwer und singe es vor mich hin. Bevor es steil ansteigt, trinke ich morgens auf der Terrasse einer Bar vor dem Anstieg im Sonnenschein zwei Tassen Café con Leche und esse etwas. Fit gehe ich nun den steilen Weg durch Wald und Wiesen. Nach gute eineinhalb Stunden erreiche ich La Faba auf etwa 920 Meter Höhe. Hier in La Faba ist eine sehr schöne Herberge, die von deutschen Hosteleros betreut wird. Auf meinem 2. Weg habe ich hier übernachtet, weil Pilger, die ich auf dem Weg getroffen habe, sagten, es sei ein " Muss" hier zu übernachten. (Erlebnisse in La Faba später) Von hier aus muss ich noch ca. 400 Höhenmeter, also auf 1378 Meter Höhe kraxeln. Weitere eineinhalb Stunden später erreicht man über Pfade, Wald- und Feldwege die Grenzsteine der Provinz Leon und Kastilien. Hier enden die Provinzen und ab dieser Grenzmarke beginnt die Provinz Galizien, mit dem ersten kleinen Ort O Cebreiro. Hier geschah der Legende nach das Wunder von O Cebreiro. Ein frommer Bauer schleppt sich zur Messe in der Kirche von O Cebreiro, wo ein an Gott zweifelnder Mönch die Messe zelebriert und während der Eucharistie wandelt sich die Hostie in Fleisch und der Messwein in Blut Christi. Dieses soll im Jahr 1300 geschehen sein. (Genau nachzulesen im Internet "Das Hostienwunder von O Cebrero").
Weiter über den 1378 Meter hohen Pass gehe ich bergauf, bergab zum Pass San Roque, wo auf der dem Weg gegenüberliegenden Straßenseite das berühmte und bekannte Pilgerdenkmal des Pilgers, der sich gegen den Sturm und Wind stemmt, auf 1270 Meter Höhe steht. Nur kurz verweile ich hier für ein Photo, weil es wirklich sehr windig ist und ich keine weitere Entzündung in meinen Ohren riskieren möchte. Weiter, immer weiter geht es mal bergauf, mal bergab und dann wieder sehr steil bergauf zum Alto do Poio. Auf diesem Steilstück, einem Schotterweg aus dem Mittelalter zur Höhe des Alto do Poio, habe ich mich total verausgabt. Am Ende der Kletterei, die mir sehr lange vorkam, begann ein Hohlweg und wiederum am Ende des Hohlweges blickte man auf eine Bar mit Terrasse, die im Sonnenschein lag. Sehr ausgelaugt und erschöpft setzte ich mich dann im Schatten eines Sonnenschirms auf diese Terrasse, als am Nebentisch eine junge Dame mir den Rat gab, ein Bier mit Zitronenlimonade zu trinken. Das wäre gut für den Mineralienhaushalt. Ich hätte alles getrunken und jedem alles geglaubt, erst recht dieser 25 Jahre alten spanischen Architekturstudentin Elvira, die mich so herzlich anlachte und Mitleid mit mir hatte. Alle diese Details von Elvira habe ich erst wesentlich später erfahren, denn auf dieser Terrasse machten wir nur einen "small talk" und Elvira ging bald den Camino weiter, während ich noch zwei Gläser von diesem hervorragenden "Mineralienhaushaltsaufbesserer" zu mir nahm. Ab sofort war Bier ein Mineralienhaushaltsaufbesserer und alle, die es tranken, schworen darauf, dass es gut für alle Pilger sei.
Nach circa einer halben Stunde Regeneration ging es weiter, im Bewusstsein, die höchste Stelle erreicht zu haben und das es jetzt nur noch leichter werden konnte. Ich ging noch etwa eine Stunde nach Fonfria und hoffte hier Elvira wiederzutreffen. Wie ich bald erkannte, war sie noch ein Refugium bis nach Tricastela weitergegangen. An diesem Nachmittag lernte ich hier in Fonfria dann Sara, eine Hamburger Ärztin und Detlef, einen Pilgerbekannten von ihr, kennen. Wir saßen auf der Terrasse der Albergue A Reboleira und tranken Kaffee und Cola. Abends um 20.00 Uhr aßen wir in einem Restaurant in der Nähe gemeinsam an einem mit Polen, Italienern, Franzosen, Spaniern und uns vier Deutschen international besetzten großen Tisch. Das für alle einheitliche Menü bestand aus vier Gängen, eine Gemüsesuppe vorab, als nächstes Möhren, Erbsen und Pilze, dann Kartoffeln mit Schweinegulasch und zum Schluss Santiago Kuchen. Dieser Tatra de Santiago oder Galizische Mandeltorte ist ein einfacher, trockener Kuchen. Traditionsgemäß wird die Oberfläche mit Puderzucker bestäubt und das Kreuz der Jakobsritter ausgespart. Das heißt, eine Schablone des Kreuzes lässt keinen Puderzucker auf die Oberfläche des Kuchens, so dass das Kreuz sehr plastisch wirkt. Wir tranken Wein und unterhielten uns bis 22.00 Uhr, gingen dann zur Herberge zurück. Es waren heute über 30 harte Kilometer und das Bett rief wie immer.
Nachzuholen habe ich noch die Erlebnisse in La Faba auf meinem 2. Jakobsweg. La Faba ist ein kleiner Ort auf 930 Meter Höhe. Die Bewohner haben den Ort verlassen, wie man überall in Spanien die Landflucht in kleinen Orten erkennen kann. Im Jahr 2000 hatte der Ort nur noch 13 Einwohner, jetzt aber wieder mit steigender Tendenz. Dafür ist hier eine der schönsten, von deutschen Hospitaleros ehrenamtlich und bestgeführten Herbergen am Jakobsweg. Einige sagten, diese Herberge sei ein Paradies unter den Herbergen. Hier habe ich die Schweizerin Andrea kennengelernt. Andrea, 22 Jahre alt, hat mich gelehrt, was Tierliebe ist. Die folgende Geschichte ist wahr. In Galizien, nicht weit vor Santiago de Compostela streunte ein Hund, ein Schäferhundmischling, würde ich nicht abwertend sagen, etwa um zwei Jahre alt. Als er Andrea sah, kam er auf sie zu, beschnupperte sie, und lief immer hinter Andrea her. Er hat sie so mit seinen traurigen Augen berührt, dass sie Fressen für ihn kaufte und der Hund es mit Treue und Anhänglichkeit dankte. Sie nannte ihn QUE PASA, was soviel heißt wie "was ist los". Andrea ging weiter, Que Pasa immer hinter ihr her. Sie kam nach Santiago, Que Pasa auch. In den Herbergen dürfen keine Tiere mitgenommen werden, Que Pasa wartete die ganze Nacht vor der Herberge bis Andrea morgens heraus kam und lief wieder mit ihr weiter. Als die Zeit der Heimreise kam, hätte der Hund nicht mit auf die Flugreise in die Schweiz gedurft. Que Pasa musste zum Arzt, alle Impfungen und Ausreisebestimmungen erfüllen, sowie vier Wochen Quarantänezeit nach dem Arztbesuch erfüllen. Andrea war berufstätig und hatte einen anspruchsvollen Job in der Schweiz. Die Liebe zu Que Pasa war größer, sie kündigte den Job und pilgerte jetzt den Weg mit Que Pasa zurück in die Schweiz . Hier in der Herberge hatte man großes Verständnis für Andrea und sie bekam einen Raum zugewiesen, in dem sie mit Que Pasa schlafen konnte. Als ich Andrea mit einem Gefühl der Bewunderung und Hochachtung in den Arm nahm und sie mich umarmte, flossen mir Tränen der Rührung über die Wangen. Es war das erste bewegende Erlebnis in La Faba.
Das nächstes Erlebnis war die Abendandacht in der alten Kirche bei der Herberge. Wir waren etwa fünfzehn Pilger in der kleinen Kirche. Die Messe fand unter dem Motto "Frieden" statt und wurde von einem Mönch, der aus dem nahe gelegenen Kloster kam, zelebriert. Zunächst wurde über den Sinn des Pilgerns ein Referat gehalten. Am Ende sagte der Predigende: "Ihr seid das Salz der Erde", und reichte jedem eine Prise Salz auf einem Stück Brot. Danach sprach er: "Ihr seid das Licht", jeder bekam eine Kerze und entzündete sie am "Ewigen Licht" in der Kirche. Die Kerze behielten wir bis zum Ende der Andacht entweder in der Hand oder stellten sie vor uns ab. Vor dem Altar wurde eine Stuhlreihe mit einem Stuhl für jeden aufgestellt und wir setzten uns im Halbkreis um den Altar. Der Mönch referierte über Demut, Hochmut, Gott und Kirche. Demut bedeutet Gottes Anerkennung durch den Menschen, aber auch eine innere Einstellung des Menschen zu Gott und eine Einstellung des Menschen zu seinen Mitmenschen.
Eine Demonstration von Demut zelebrierte der Mönch, indem er sich vor uns kniete und allen Pilgern die Füße mit Wasser und Seife wusch. Es war schon sehr emotional und brachte uns zum Nachdenken über das besprochene Thema Demut und Hochmut.
Der Höhepunkt folgte, indem jeder, der wollte, eine emotionale Geschichte aus seinem Leben oder ein Ereignis vom beziehungsweise auf dem Jakobsweg erzählen sollte. Wir standen vor dem Altar und viele von uns erzählten ihre Geschichten. Fast alle Erzähler, aber auch viele von uns Zuhörern brachen emotional in Tränen aus. Danach standen wir auf, bildeten einen Kreis und nahmen uns in die Arme. Dieses geschah an diesem Abend einige Male, es waren einige sehr bewegende Ereignisse dabei. Manche traurige Geschichten hatte ich eben gehört und einige Male standen mir Tränen in den Augen.
Jetzt war ich an der Reihe, meine Geschichte zu erzählen. Vor den Pilgern stehend, erzählte ich meine Jakobswegfreundschaft mit dem südkoreanischen Priester, der mir erst kurz vor Santiago, also am 23. Tag beziehungsweise 19 Tage später mitteilte, das er Priester sei. Wir hatten uns am 4. Tag auf meinem Weg kennengelernt. Ich ging wesentlich schneller als er, dafür ging er abends länger und zeltete irgendwo in der Natur. Wir trafen uns jeden Tag, gingen täglich plaudernd lange Zeit zusammen. Wir hatten viele Themen, sprachen über Politik, das Leben, über Gott und die Welt. Meine Einladung mit in einer Herberge zu übernachten, lehnte er ab. Ich erzählte die Geschichte von diesem, meinem Priester und vom Abschied in Santiago de Compostela. Hier hatte mein Pilgerfreund die Pilgermesse in der Kathedrale am Hauptaltar mit zelebriert und einer der bewegendsten Momente auf dieser Pilgertour erlebte ich am Ende dieser Messe. Die 18 an der großen Messe teilnehmenden Priester gehen in Zweierreihen geordnet vom Altar zur Sakristei. Als mein südkoreanischer Priester mich im Vorbeigehen in der Menge sieht, schwenkt er aus der Reihe aus, kommt zu mir, umarmt und drückt mich ganz fest und sehr lange an sich. Ich drücke ihn auch. Sagen konnten wir beide nichts. Ich hatte einen Kloß im Hals und wir hatten beide Tränen der Rührung und Freude in den Augen. Die anderen Priester waren schon lange in der Sakristei, wir verabredeten uns für nachmittags, bevor er hinterher ging. Dieses war heute nicht die letzte Begegnung mit ihm. Nach der Messe ging ich noch etwas durch die Altstadt von Santiago, probierte den trocknen Santiagokuchen, den es zum Kosten gratis vor vielen Läden gibt und schlenderte durch die Gassen. Es war etwa 15:00 Uhr als er mich sah, mich von hinten umarmte und mir erzählte, das er eine Depesche aus der Heimat erhalten hat und er müsse jetzt sofort Heim fliegen. Wir standen uns gegenüber und dicke Tränen flossen uns beiden über die Wangen. Wir hatten beide das Gefühl, einen Freund gefunden zu haben und ihn wieder zu verlieren. Er sagte mir, wie gerne er sich mit mir unterhalten habe und wie gut ihm meine Meinung zu einigen Dingen getan hätte. Manchmal fügten wir unserem Englisch die Gebärdensprache hinzu oder benutzten den Handyübersetzer bei unseren häufigen Gesprächen.
Wir sagten, wir werden uns bestimmt nie mehr wieder sehen, aber wir werden oft aneinander denken und wünschten uns gegenseitig nur das Beste, für jeden in seiner Art. Er wollte mich häufig in seine Gebete einbinden. Und wieder rollten dicke Tränen über unsere Wangen und wir schluchzten inmitten des regen Treibens in Santiagos Straßen.
Wieder mit ihm und den anderen Pilgern, mit denen ich durch die Stadt schlenderte, bildeten wir einen Kreis, umarmten uns und ich sah auch die anderen weinen. Wir hatten heute alle sehr nah am Wasser gebaut.
Noch eine unglaubliche, aber wahre Geschichte erzählte mir Inge. Sie war weit über 70 Jahre und schon sehr lange Witwe. Als sie irgendwann im Sommer schwer an Krebs, der Volkskrankheit Nummer eins erkrankte und die Diagnose war, sie würde Weihnachten nicht überleben, wollte sie den Jakobsweg noch einmal gehen. Gesagt, getan, ging sie den Jakobsweg und ihre Krankheit wurde besser und besser und wurde letztendlich fast geheilt. Inge schwor, für jedes ihrer Kinder den Jakobsweg einmal zu gehen und sie hatte 5 Kinder, also ging sie den Jakobsweg fünf Mal in ihrem hohen Alter. Inge engagierte sich als ehrenamtlicher Hostalero am Jakobsweg, hielt Vorträge in Altersheimen und arbeitete in Israel in einem Schwerstbehindertenheim. Von ihrer Krankheit war bis zu jenem Abend nichts mehr zu spüren. Sie war für mich auch eine Heldin auf dem Jakobsweg.


22. Tag Fonfria nach Sarria

Bei Dunkelheit in aller Herrgottsfrühe ging ich in Richtung Tricastela, zuerst neben der Straße de Weg entlang, dann über Pfade und schmalen Teerstraßen durch kleine, alte Ortschaften. Da Fonfria 1300 Meter hoch liegt, sind die vom Hochnebel bedeckten Täler und die Orte in den Tälern nicht zu erkennen. Du gehst und bei der morgendlichen Dunkelheit meinst du, ein riesiges Meer tut sich vor und unter einem auf und die in der Ferne aus den Wolken ragenden Bergspitzen sind nur schemenhaft zu erkennen, es könnten auch Inseln in einem Ozean sein. Bei aufgehender Sonne färbt sich alles in ein am Anfang dunkles und immer heller werdendes Rot, bis die Helligkeit durchbricht und die tiefer gelegenen Landschaften durch den Hochnebel wie mit Zuckerwatte zugedeckte Täler aussehen. Es ist ein herrlicher Eindruck, den man sonst nie erlebt, unbeschreiblich schwer diese Naturschönheit in Worte zu fassen, die ich an diesem Morgen erleben durfte. Allein dafür hat sich der Anstieg am Vortag gelohnt. Früh morgens, der Dunst hatte sich noch immer nicht aufgelöst, erreichte ich Tricastela und wählte den Weg über San Xil nach Sarria. Bis San Xil geht es zunächst 100 Höhenmeter bergan und dann 300 Höhenmeter bergab. Weiter geht es über Wege und Pfade durch eine wunderschöne Landschaft und mit vielen kleinen Ortschaften, immer bergauf und bergab. Was mir in diesen kleinen Ortschaften und in allen Orten in ganz Galizien auffällt: ich habe noch nirgendwo auf dieser der Welt - und ich bin schon viel herum gekommen - so viel mit Kuhfladen verdreckte Dorfstraßen gesehen, wie hier. Ich habe den Eindruck, nachts sind die Straßen hier die Kuhställe. Bei regnerischem Wetter hast du hier die reinsten Rutschbahnen und bei trockenem Wetter läufst du einen regelrechten Kuhfladenslalom, um die Schuhe einigermaßen sauber zu halten. Ich glaube, jeder Kleinbauer hat hier eine große Anzahl Kühe, aber warum sind die im August nicht auf der Weide? Werden die etwa jeden Abend zum Melken in den Stall geholt? Ich weiß es nicht.
Auf dem Weg von San Xil nach Calvor kam ich in eine Nebelbank, in der es sehr kühl wurde und der Nebel, der die Äste der Bäume benässte, ließ es praktisch unter den Bäumen regnen. Kälte und Nässe wurden innerhalb von Minuten abgelöst von Sonne und Hitze. Von einer Minute auf die andere endete der Nebel als wir auf eine Höhe von etwa 500 Höhenmetern kamen. Danach wurde es richtig heiß und ich musste den Vliespullover ausziehen und zog ein T-Shirt an. Die Wegweiser zeigen nur noch 120 Km nach Santiago de Compostela und jetzt bekommt man das Gefühl, es schnell und 100 Prozent zu schaffen. Komme was wolle.
In Sarria angekommen, gehe ich die große Steintreppe empor und komme auf der Hauptstraße weitergehend zur Albergue Don Alvaro. Es ist eine schöne, private Herberge mit Kaminzimmer, in der es abends beim Kaminfeuer kostenlos einige Flaschen verschiedene, einheimische, selbst gebrannte Fruchtschnäpse zur Verkostung gab. Nach mir erreichten auch Sara, ihre Begleiterin Julien, beide Ärztinnen aus dem Norden Deutschlands und Detlef, der Jakobswegbegleiter, die Herberge. Wir hatten einen gemeinsamen Raum mit 12 Betten. Sara sah mich auf meinem Bett sitzen und fragte, ob sie ein Foto von mir machen dürfte. Das Motiv "der müde Pilger, der auf seinem Bett saß und ziemlich fertig und erschöpft war", wie sie sagte.
Als sie mir das Foto auf dem Display ihrer Digitalkamera zeigte, erschrak ich mächtig. Ich war dünn geworden und glich einem Unterernährten, den man oft auf Werbungen für Geldsammlungen zur Linderung der Not in der dritten Welt sah. Sofort ging ich zur Apotheke und wog mich. Oh Schreck, ich wog angezogen nur noch 79,8 Kilogramm. Das waren über 8 Kilogramm weniger als beim Abflug in Deutschland und da hatte ich schon einige Kilos durch tägliches Training abgenommen. Ab jetzt war gut und viel essen angesagt. Es war ein Gefühl, dass ich schon einige Jahre nicht mehr kannte, ab jetzt esse ich was ich will und soviel ich will. Mehrere Jahre, seitdem ich bei einem Ernährungsberater war, esse ich kontrollierter, zuerst um einige Kilo abzunehmen und dann um das Gewicht zu halten. Ab sofort trinke ich auch mal Limo und Cola. Ich hab ja was zuzulegen. Gutes Feeling. Ich begann sofort an diesem Tag mit meinem "Mastprogramm". In meinem Tagebuch steht: Ich aß Hartwurst, Thunfischsalat, Käse, Oliven und trank eine ganze Flasche Rotwein alleine. Und das am späteren Abend nach der Schnapsverkostung - bei der ich mich zurück gehalten hatte. Es waren nur ein paar Gläschen, die ich nur halb gefüllt habe. Froh und glücklich ging ich in unser Zimmer und schlief bald ein, ohne die anderen Zimmermitbewohner zu hören, die viel später nach mir ins Zimmer kamen.


23. Tag Sarria über Portomarin nach Gonzar


Heute habe ich nach den gestrigen alkoholischen Schlafmitteln fest bis 6.00 Uhr durchgeschlafen. Sehr günstig war in der Bar neben der Albergue das Frühstück für Pilger. Nur € 2,- bezahlte ich für eine Tasse Café con Leche, ein halbes frisch getoastetes Baguette, Butter und Marmelade. Nach dem Frühstück sind wir zu sechst, unter anderem mit Sara und Julia zusammen abmarschiert. Es ging durch Nebelschwaden eine größere Strecke bergauf und wir gingen zügig etwa drei Stunden zusammen. Nach einer weiteren Tasse Kaffee auf dem Weg hinter Ferreiros haben wir uns getrennt, da die beiden Damen nur bis Portomarin gehen wollten, ich hatte heute acht Kilometer weiter bis nach Gonzar ins Auge gefasst. Nach etwa vier Stunden seit Sarria, immer leichtem bergan, kam ich kurz vor Ferreiros an den Kilometerstein, an dem es noch 100 Km bis Santiago de Compostela waren. Den Stein, der sehr mit Graffiti und Schmierereien verunstaltet war, fotografierte ich nicht, auch des großen Andranges wegen. Es waren viele Pilger aus aller Herren Länder, die diesen Stein im Bild festhalten wollten. Wie ich hörte, hat man sich sowieso um einige Kilometer vermessen, es sind ab hier noch 5 Kilometer mehr nach Santiago. Portomarin sieht man schon sehr früh auf dem abschüssigen Gelände fern unten im Tal liegen, aber der Weg zum Ortskern zieht sich noch ewige eineinhalb Stunden hin, bis man die Brücke überquert und über eine breite, vielstufige Treppe den Stadtkern erreicht. In einem Supermarkt auf der Hauptstraße, auf der alle Bürgersteige von Arkaden überdacht waren, kaufte ich heute nur Obst, weil ich in den letzten zwei Tagen keines gegessen hatte. Ich brauchte mal wieder Vitamine. Dann ging ich weiter zur Iglesia San Nicolas, setzte mich der Kirche gegenüber auf eine Bank im Schatten und verzehrte das Obst. Eine Stunde später ist Abmarsch, die beiden Damen waren noch nicht angekommen und ich musste noch einige Kilometer gehen. Eigentlich wollte ich sie überreden, weiter mit mir zu gehen. Die beiden waren sehr schnell unterwegs, ist aber auch kein Wunder, da Sara Halbmarathon läuft und sehr viel trainiert. Julia hatte ebenfalls eine sportliche Statur und eine super Kondition. Beide müssen neben ihrem Beruf als Ärzte noch irgendwelche Sportarten ausführen, um so fit zu sein. Schade, sie müssen getrödelt haben, da ich sie heute nicht mehr sah.
Da Portomarin in einem Flusstal, beziehungsweise an einem künstlich errichteten Stausee liegt, ging es in Richtung Hospital de la Cruz wieder etwa 300 Höhenmeter bergan. Der Weg, mal Schotter, mal Asphalt, verläuft immer parallel zur Landstraße, es ist heiß und kein Schatten. Es fehlen einfach Bäume an den Wegen, die etwas Schatten spenden könnten. Die Landschaft ist sehr schön, vergleichbar mit der Eifel in Deutschland. Es ist sehr grün, Eichen- und Tannenwälder wechseln sich ab mit grünen Weiden. Hier und dort mal ein Bauernhof oder ein Haus. Von Portomarin erreiche ich nach zwei Stunden die private Herberge von Gonzar. Sie war mit nur drei Personen belegt. Es ist eine gute, private Herberge, in der man zu Abendessen kann und die eine nette Bar im offenen Hof hat. Die Sanitärräume sind neu und ich habe mich wohl gefühlt.
Beim Abendessen habe ich dann Heidi, sie kommt aus dem Osten Deutschlands, ist 20 Jahre alt und beginnt ihr Studium als Tierärztin nach der Rückkehr vom Jakobsweg, wieder getroffen. Später am Abend kommt die Spanierin Elvira, nach einem Spaziergang in die Herberge. Sie gab mir vor einigen Tagen den Tipp, als ich erschöpft war, Bier mit Zitrone zur Minalienhaushaltsaufbesserung zu trinken. Das ist ein spanischer Geheimtipp. Elvira trinkt mit uns heute Abend noch ein, zwei Gläschen Wein. Sie ist in der Herberge der galizischen Landesregierung und die ist bis auf den letzten Platz belegt. Häufig ist es der Fall, das viele Pilger, vor allem junge Leute und Studenten, aus finanziellen Gründen keine privaten Herbergen nehmen. Städtische, kirchliche oder Herbergen der Landesregierungen sind entweder kostenlos, gegen eine freiwillige Spende oder kosten maximal drei bis fünf Euro. Ein Beispiel hier in Gonzar: die private Herberge in die ich eingekehrt bin kostet acht Euro für die Übernachtung, die Herberge der Landesregierung, wie überall in Galizien, nur drei Euro, die Gebühr wird aber dieses Jahr zum ersten Mal erhoben. Bisher war Übernachten in diesen Herbergen immer frei, gegen freiwillige Spenden hatten diese jedoch nichts einzuwenden bzw. waren gerne gesehen, um Reparaturen durchzuführen.
Meine Devise auf dem Jakobsweg war immer, wenn es noch alternativ zu den städtischen Herbergen private Pilgerherbergen in Orten gab, nehme ich diese. Erstens, um jungen Leuten, die günstige Schlafgelegenheit nicht zu nehmen und zweitens, weil die Schlafsäle, die meistens genau so viele Betten hatten wie die städtischen, meist nur zu fünfzig bis sechzig Prozent belegt waren. Elvira, Heidi und ich plauderten noch eine Stunde miteinander, dann war unser Wein alle, es wurde kühler und wir verabschiedeten uns von Elvira, die zur städtischen Herberge ging. Seit dem Weg nach Fonfria am 21. Tag habe ich Elvira schon viermal getroffen und wir sind einige Kilometer zusammen gegangen. Ich finde sie so nett und sie ist schlau, dass ich sie mir als Schwiegertochter wünschen würde, denn sie sieht auch noch super gut aus. Sie hat einen spanischen Akzent in ihrer englischen Sprache, dass ich immer klammheimlich schmunzeln musste, wenn wir uns unterhielten.


24. Tag Gonzar nach Melide


Nach einem starken Anstieg bis Hospital da Cruz in die Sierra de Ligonde gab es heute morgen bis nach zehn Uhr starken Nebel und als die Nebelbänke sich auflösten, kam eine drückende Schwüle. Irgendwo in der Nähe von Palas de Rei stand eine alte Bäuerin vor ihrem Bauernhof und winkte ich solle zu ihr kommen. Sie gab mir eine Schale mit Früchten, Brombeeren, Himbeeren und eine Tomate. Ich wollte die Früchte erst nicht annehmen, da ich an diesem Morgen leichte Magen- und Darmprobleme hatte, sie bestand aber darauf. Also nahm ich sie, wollte ihr einen Euro geben, weil ich ein paar Kilometer vorher einen Stand gesehen hatte, an dem die Schalen für einen Euro verkauft wurden. Fast böse gab sie mir den Euro zurück. Ich bedankte mich artig und gerührt. Bald zeigte sie mit dem Zeigefinger zum Himmel, der von Westen her ziemlich dunkel wurde und sie machte die Geste von Regen und Donner. Zehn Minuten ging ich noch immer mit meiner Schale in der Hand, als ich mich seitwärts in die Büsche schlagen musste, es war die Rache des Montezuma, es waren Magen und Darmprobleme. Dazu kam, daß Regen, Blitz und Donner in aller Heftigkeit einsetzten. Die Schale, die ich auf einer Astgabel abgestellt hatte, kippte und alle Früchte lagen auf dem Waldboden. Zum Aufsammeln hatte ich bei dem Regen keine Zeit mehr. Schade um die Früchte. Schnell zog ich den Regenponcho an, ging zum nächsten Haus in 500 Meter Entfernung, in dem die Bewohner nicht zu Hause waren und stellte mich einfach in einem Schuppen unter.
Vielleicht eine halbe Stunde dauerte der starke Regen beziehungsweise das Gewitter, als es dann weniger tropfte, ging ich weiter. Wenn der Regen stärker wurde, stellte ich mich wieder unter, wenn er nachließ ging ich weiter. Das ging eine ganze Weile so. Der Jakobsweg hätte heute ohne Regen viel Freude gemacht. Es waren gute Hohl- und Schotterwege durch eine wunderbare Landschaft. Pinien, Birken, Kiefern und Esskastanien wechselten sich ab. In meinem Tagebuch steht Folgendes: Die mit Kuhdung verschmutzten und weniger guten Wege, die mit vielen großen Steinen übersät waren, verlangten die gesamte Aufmerksamkeit. Der Regen tat ein Übriges, es war glatt wie auf einer Eisbahn. Das Wetter hier ist völlig anders als bisher. Man spürt die Nähe des Meeres. Es wird jetzt drückend warm und schwül im Gegensatz zur trockenen Hitze auf den Hochebenen. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, besonders nach dem Regen. Wir werden noch viel Regen bekommen, sagen die Einheimischen. Und dies traf auch zu.
Nachmittags treffe ich bei trockenerem Wetter in Melide ein. Bei Erreichen des Zentrums komme ich an einigen Pulpeiras (was eine Pulpeira ist wird noch erklärt) vorbei und freue mich jetzt schon auf das Abendessen. Ich erreiche beim Durchqueren der Stadtmitte die Herberge der galizischen Regierung. Nachdem ich mein Quartier bezogen und mich umgezogen hatte, ging ich zur Ortsmitte und sah auf dem Plaza Mayor eine aufgebaute Bühne, auf der heute Abend eine Musikveranstaltung stattfinden sollte. Ich wurde von einem italienischen Ehepaar mit ihrer 12-jährigen Tochter, die ich bereits am 14. Tag in Calzadilla de la Cueza am Swimmingpool vor der Herberge kennenlernte und immer wieder unterwegs traf, zum Pulpoessen eingeladen. Als ich sie in der Stadt traf, sagte ich das Essen ab, da ich die Musikveranstaltung sehen wollte. Folglich ging ich in die Pulperia Ezequil und aß eine Pulpo a feira, eine Spezialität von Melide und wie mir Elvira später sagte, es ist die beste Pulpo von Spanien. Pulpo ist eine große Krake, die gekocht, anschließend auf einem Holzteller portioniert und mit Gewürzen, Olivenöl und groben Salz serviert wird. Das Geheimnis liegt in den Gewürzen. Es schmeckt einfach köstlich. Brot und Rotwein gehören dazu und das Ganze kostete € 16,-. Es ist eine Köstlichkeit für denjenigen, der es mag und das für ganz kleines Geld.
Die Location liegt am Jakobsweg, der hier die Hauptstraße Ctra. de Santiago a Gunti in Sarria erreicht. Als ich genüsslich mein Gericht aß, kam Elvira vorbei gewandert. Es war bereits 18:00 Uhr und sie war auf dem Weg zur Herberge. Sie sah mich, setzte sich zu mir und speiste ebenfalls eine Pulpa. Im Gespräch erzählte ich ihr von meinen Gedanken am Vorabend, als ich mir wünschte, solch eine Frau wie sie als Schwiegertochter zu haben. Sie schaute mich mit ihren großen, braunen Augen an und langsam traten vor Rührung dicke Tränen in ihre Augen. Warum kann ich nicht sagen, aber bei mir kullerten auch ein paar Tränen. Wir lachten anschließend noch viel, verabredeten uns zum Musikevent auf dem Hauptplatz an diesem Abend und gingen gemeinsam zur Herberge. In der Herberge angekommen, bekam sie den letzten freien Platz und ich wollte auf der Bank vor der Herberge auf sie warten, um mit ihr zur Veranstaltung zu gehen. Hierzu kam es nicht, denn innerhalb von Minuten zog sich der Himmel zu und es gab ein Gewitter, wie ich es nur am Gardasee in Italien schon erlebt hatte. Es hagelte hühnereigroße Hagelkörner in solcher Menge, dass innerhalb von Minuten alles weiß wie in einer Winterlandschaft aussah. Alles war Zentimeter dick mit Eishagel bedeckt. Wir standen mit einigen Leuten auf der überdachten Terrasse zur Straße, beobachteten das Unwetter, als Lesch, ein polnischer Cartoonzeichner, der international bekannt ist und Auftragsarbeiten in ganz Europa macht, zu uns trat. Er lehnte sich mit dem Oberkörper über ein Geländer, um den freien Himmel zu sehen, und zu schauen, ob es aufhellte. Just zu diesem Zeitpunkt geschah, das ein dicker Eisbrocken ihn am Hinterkopf traf und sofort eine dicke Beule entstand. Na ja, was machen? Wir hoben dann einige Eisbrocken auf, packten sie in ein Taschentuch und er kühlte damit seine Beule. Lesch hatte ich zuvor und auch nachher häufiger getroffen, wir sahen uns immer wieder, so auch in Santiago, in Fenisterre und in Muxia und am Ende des Weges wieder in Santiago, wo wir gemeinsam ein Zimmer in einer Pension bewohnten. Elvira habe ich nicht mehr gesehen. Sie ging schlafen als der Regen einsetzte und die Musikveranstaltung ins Wasser fiel. Es regnete und blitzte die ganze Nacht.
Wie man in diesem Bericht häufig liest, treffen sich oft immer die gleichen Leute. Es sind die Leute, die in etwa immer gleiche oder ähnliche Kilometer am Tag zurücklegen. Einmal geht der eine, ein anderes mal der andere ein paar Kilometer mehr oder weniger. Irgendwann trifft man sich dann wieder, geht ein Stück des Weges miteinander und verabschiedet sich wieder


25. Tag Melide nach Pedrouzo / Arco do Pino


Ich habe nachts schlecht geschlafen. Dauernd krachten Donner und Blitze über die Herberge. So erging es vielen, das merkte man an der Unruhe, die diese Nacht herrschte. Alle wälzten sich in ihren Betten und kaum dusselte man ein, als ein erneuter Blitz und Donner wahnsinnig laut einschlug. Das Zentrum des Gewitters war einige Stunden lang immer in der Nähe. Die Entladungen schienen immer nur innerhalb drei Kilometer Entfernung zu sein. Am frühen Morgen ließ das Gewitter langsam nach und es regnete nur noch.
Ich marschierte im leichten Regen morgens vor sieben Uhr los, mit Regenponcho vor Regen geschützt. Es war stockdunkel. Am Stadtausgang warteten einige Pilger, um in einer größeren Gruppe mit mehreren Taschenlampen zu gehen. Dieses ist bei Dunkelheit klüger und einfacher als alleine den Weg zu suchen und dieses Warten auf andere habe ich schon ein paar mal erlebt. Wir waren jetzt 8 Personen und starteten. Ein großer Lichtkegel aus mehreren Taschenlampen wies uns den Weg. Kaum waren wir aus der Stadt, als es schlimmer regnete und wieder stärker gewitterte. Dieses Wetter hielt vier Stunden an. Es war ein stetes bergauf und ab, bei trockenem Wetter wahrscheinlich ein leichter Weg, bei Regen aber ein dauerndes Ausweichen von Pfützen, Kuhfladen und glatten Steinplatten. Auf den Waldwegen waren riesige, knöcheltiefe Pfützen, die von der rechten zur linken Böschung reichten, so dass man zum Teil Umwege durch Wald und Feld machen musste.
Es war wettermäßig der schlechteste Tag bis heute, trotzdem bin ich 33 Kilometer gelaufen, mit Umwegen bestimmt noch 2 Kilometer mehr. Unterwegs traf ich immer wieder Heidi und wir sind die letzten zehn Kilometer, auf denen es allmählich aufhörte zu regnen und trockener wurde, zusammengegangen. Wir waren so schnell, dass wir schon um 15.00 Uhr in der landeseigenen Herberge von Pedrouzo eintrafen. Als erstes haben Heidi und ich einen Kaffee getrunken und anschließend bin ich in die Herberge gegangen. Beim Ausziehen der Schuhe und Strümpfe stellte ich fest, dass kein Tropfen Wasser durch meine Schuhe gesickert war, meine MEINDL waren wasserfest, obschon ich oft Pfützen gar nicht ausweichen konnte. Es sind sehr, sehr gute Schuhe, meine MEINDL. Keine Blasen, keine Scheuerstellen, nur die Einlagen, die teurer als die Schuhe waren, taugten nichts. Die musste ich immer wieder unterfüttern, um keine Nerven- oder Sehnenschmerzen in meinen Hohl-Senk-Spreiz-Füßen zu bekommen.
Da ich das Gefühl hatte, noch weiteres Gewicht abgenommen zu haben, ging ich in die Apotheke und wog mich: 78,5 Kilogramm. Wieder hatte ich ein Kilo abgenommen, trotz reichlicher Ernährung. Dieses Gewicht hatte ich zuletzt, als ich Mitte zwanzig war. Seit der Abfahrt in Deutschland hatte ich mehr als neun Kilo abgenommen, ich war leicht wie eine Feder, ich fühlte mich körperlich und gesundheitlich fit und sehr gut.
Bei Erreichen des Ortes hatte ich auf Werbeplakaten gelesen, dass an diesem Samstag ein Auto-Slalom-Rennen stattfand. Also ging ich dort hin und sah mir das Spektakel an. Interessant, aber nicht umwerfend. Es war mehr eine Gaudi für die Jungens aus der Umgebung mit ihren Karren. Abends begann ich mit der Mästung, die ich mir wegen meines geringen Gewichtes vorordnete. Ich aß zuerst einen Hamburger, anschließend ein Stück gebratenen Hecht, French Pommes mit zwei Eier überbacken und doppelt Ketchup-Mayonnaise. Satt und voll, heute war es zu viel, ging es bei schlechter werdendem Wetter und wieder einsetzendem Regen zur Herberge. Schlaf war angesagt. Morgen sollte es in aller Frühe losgehen. Das Ziel war ganz nahe.


26. Tag Pedrouzo (Arcodo Pino) nach Santiago de Compostela


Es ist Ende August. 25 Tage war ich jetzt unterwegs.
Heute soll es ein großer Tag werden. Ich werde in Santiago de Compostela ankommen. Noch vor 5.00 Uhr am Morgen bin ich aufgestanden, als erstes ging ich aus der Herberge heraus auf den Vorplatz und habe nach dem Wetter geschaut, da sich am Abend vorher schlechtes Wetter ankündigte.
Es war stockdunkel und Nieselregen verdunkelte das Licht der Straßenlaternen. Ich absolvierte meine Morgentoilette, holte alle Anziehsachen und den Rucksack aus dem Schlafsaal und deponierte die Sachen im großen Aufenthaltsraum. Hier konnte ich mich ruhig, ohne die anderen zu stören, anziehen. In diesem Raum war ich noch alleine zu der frühen Zeit.
Fertig angezogen, schulterte ich den Rucksack und darüber den plastifizierten Poncho. So ging ich regenfest zum Abmarsch hinaus. Als ich den Vorplatz wieder betrat, hatte der Nieselregen aufgehört. Also Poncho ausziehen, am Rucksack griffbereit unter den Gurten befestigt und wieder war ich abmarschbereit. Ich ging zur Straße einen leichten Berg hinauf und wieder begann es zu regnen. Zurück zur Herberge. So wiederholte sich das Spiel, Poncho an, noch mal alles von vorne... Es regnete immer noch, als ich endlich eine halbe Stunde nach dem Aufstehen im Regen losmarschiere. Ich ging links die Straße in Richtung Santiago und dann, nach ein paar hundert Metern, rechts in den Wald. Dort suchte ich mit der Taschenlampe in der Dunkelheit die Wege, die zum Camino führten, ich hielt nach den Stellen Ausschau, wo die gelben Pfeile und die Jakobsmuschel den Camino anzeigten, den Waldweg in Richtung Westen nach Santiago de Compostela . Vor Beginn des Waldweges sah ich jemanden stehen und es stellte sich heraus, dass es ein Spanier aus La Coruna war. Dieser Pilger hatte keine Taschenlampe als Sichthilfe und bei der tiefen Dunkelheit keine Chance, den Weg im stockfinsteren Wald zu finden. Nach einigen Metern, die er hinter mir her ging, wanderten wir gemeinsam mit meiner Taschenlampe und seinem IPhone als Sichthilfe.
Wir marschierten sehr, sehr schnell, zumal der Nieselregen immer weniger wurde. Um 8:00 Uhr waren wir schon mehr als 12 Km unterwegs und am Flughafen von Santiago vorbei marschiert. Es war immer noch nicht hell. Die dichte Wolkendecke ließ es heute morgen nicht Tag werden und an einem Kreisverkehr gingen wir in Richtung Santiago, das Straßenschild zeigte es so an. Leider war es die Straße nach Santiago und die falsche Strecke. Wir hätten links in einen Wald abbiegen müssen. Bei diffusem Licht sieht man manchmal die Jakobsmuschel nicht. Der Spanier und ich gingen jedoch einfach weiter geradeaus und ich verließ mich voll auf ihn. Er fragte an einer Tankstelle und man glaubt es nicht, wir hatten noch Wegstrecke gespart, als wir nach kurzer Zeit wieder auf dem Camino waren!
Es war Frühstückszeit und vor Monte de Golzow aß ich mit einem Glücksgefühl, bald das Ziel erreicht zu haben, fürstlich. Eier, Käse, Schinken, Bocadillo sowie zwei Tassen Kaffee. Mein Spanier bekam einen Anruf und war erfreut, von seiner Familie überrascht zu werden, die an der Herberge Monte de Golzow auf ihn wartete. So trennten wir uns. Je näher ich nach Santiago de Compostela kam, desto mehr Endorphine setzte mein Körper frei und ich ging nach Santiago wie auf Wolke``SIEBEN``.
Ich flog hinab ins Tal, über die Flussbrücke zu meinem großen Ziel.
Cathedral de Santiago de Compostela
Um 10:00 Uhr war ich in Santiago de Compostela an der Kathedrale. Ich setzte mich - wie es glaube ich jeder Pilger macht - gegenüber dem Hauptportal der Kathedrale auf den Steinboden der Straße und ließ die Eindrücke auf mich wirken. Wenn jemand sagt, ich solle diese Gefühle von diesem Augenblick beschreiben, muss ich sagen, ich kann es einfach nicht. Es ist so überwältigend und so grandios, dass man es nicht in Worte kleiden kann. Mir kamen Tränen der Freude. Oder waren es vielleicht Tränen des Glücks, dass ich es so schnell und ohne Verletzungen sowie in einem physischen Zustand, der keine Erschöpfung oder Schlappheit spürte, mein Ziel Santiago di Compostela erreicht zu haben. Etwas Stolz war auch dabei. Ich will und werde versuchen, demütiger und einsichtiger zu sein und jeden Menschen so akzeptieren, wie er ist. Diese Einsicht habe ich bei langen Alleingängen und Überlegungen während des Marsches gewonnen und jetzt muss ich daran arbeiten. Ich soll meinen Stolz in Dankbarkeit umpolen und war mit dem ersten Ergebnis zufrieden. All dieses ging mir in dieser Stunde durch den Kopf. Ich saß eine dreiviertel Stunde allein und ließ meinen Buß-, Dank- und Bittweg, also meinen Camino, noch einmal Revue passieren. Ich schwebte im Glück auf einer höheren Ebene.
Vor 11:00 Uhr stellte ich mich im Treppenhaus des Pilgerbüros an, um meine "La Compostela" (Erklärung später) zu empfangen und danach, nach etwa 40 Minuten Wartezeit, eilte ich in die Kathedrale zur Pilgermesse. In der Kathedrale waren mehr Touristen und Schaulustige als man es sich nur denken kann. Sie war überfüllt und sehr, sehr laut. Es war wie auf einem Rummelplatz. Bei Beginn der Messe wurde es zwar ruhiger, aber es liefen immer Leute hin und her, schossen hier und da ein Photo und es gingen und kamen immer neue Menschen. Diese Pilgermesse hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Ich dachte, dass nur für Pilger, für die ja eigentlich die Messe um 12:00 Uhr gelesen wird, die Bänke vor dem Altar reserviert sind. Dieses ist nicht der Fall, auf diesen, für die Pilger gedachten Bänken, sitzen meist die Tagesausflügler, Auto- und Omnibustouristen, die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen, die mit Buskolonnen angekarrt werden. Für Pilger, man erkennt sie immer an Kleidung, Rucksack und Wanderstab, im Gegensatz zu den fein gekleideten Touristen. Für sie ist in der Kathedrale zur Pilgermesse der wenigste Platz. Heute stehen sie verstreut in der überfüllten Kathedrale zwischen vielen, vielen hundert Touristenkirchenbesucher. Ich stand rechts vom Altar in einem Seitengang, der zugleich der Weg der Priester zur Sakristei war. Der Ablauf der Messe ist der Gleiche wie ich es später im Kapitel Pilgermesse für den nächsten Tag beschreibe. Nur an diesem Sonntag war es eine große Messe mit achtzehn Priestern. Neben den drei Hauptpriestern war bei den fünfzehn anderen Priestern auch mein südkoreanischer Priester, der mich seit Puente la Reina immer wieder Strecken begleitete. Ebenso gehörte er zu den Priestern, die in den Landessprachen den Pilgersegen für die an dem Tag im Pilgerbüro anmelden beziehungsweise angekommenen Pilger spricht und sie in der jeweiligen Landessprache begrüßt. Er begrüßte auf koreanisch die ankommenden koreanischen Pilger. Noch etwas enttäuschend war, dass der Botafumeiro, das 50kg schwere Weihrauchgefäß heute nicht durch die Kirche geschwenkt wurde. Das wusste ich aber, ich hatte mich im Pilgerbüro schon danach erkundigt. Man gab mir die Auskunft, dass nur an sehr hohen Festtagen der Botafumeiro geschwenkt werde oder man kann es für etwa € 200.- kaufen. Es wäre ein Höhepunkt gewesen (später sehe ich es noch sehr oft) Folgende Geschichte hat mich so geprägt, daß ich sie an dieser Stelle noch einmal wiederholen muss. Es war einer der bewegendsten Momente auf dieser Pilgertour die ich am Ende der Messe erlebte. Die Priester gehen in Zweierreihen geordnet vom Altar zur Sakristei. Als mein südkoreanischer Priester mich im Vorbeigehen sieht, schwenkt er aus der Reihe aus, kommt zu mir, umarmt und drückt mich ganz fest und recht lange an sich. Ich drücke ihn auch. Sagen konnten wir beide nichts. Ich hatte einen Kloß im Hals und wir hatten beide Tränen in den Augen. Die anderen Priester waren schon lange in der Sakristei, als er hinterher ging. Dieses war heute nicht die letzte Begegnung mit ihm. Nach der Messe ging ich noch etwas durch die Altstadt von Santiago, probierte den trocknen Santiagokuchen und schlenderte durch die Gassen. Es war etwa 15:00 Uhr als er mich überholte, mich von hinten umfasste und mir erzählte, er müsse jetzt sofort heim fliegen. Wir standen uns gegenüber und dicke Tränen flossen uns beiden über die Wangen. Wir hatten beide das Gefühl, einen Freund zu verlieren. Wir sagten, wir werden uns bestimmt nie mehr wieder sehen und wünschten uns gegenseitig nur das Beste für jeden in seiner Art. Später ging ich froh und glücklich zurück in die Herberge Lazaro und ich dachte an diesem Tag, aber auch später noch, sehr oft an ihn.
Die oben erwähnte "La Compostela" ist die Bescheinigung bzw. Urkunde für Pilger. Es wird der Besuch der Kathedrale von Santiago de Compostela und und das Ende der Jakobsweg-Wallfahrt bescheinigt.
Um die Compostela zu erhalten, muss man mindestens die letzten 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt haben. Hierfür gilt der Pilgerausweis als Nachweis. Durch Stempel im Pilgerausweis werden die Stationen beziehungsweise Orte, die besucht oder durchwandert wurden, bestätigt. Ich habe mir in jeder Herberge einen Stempel in den Ausweis prägen lassen.
In meinem Ausweis sind 43 Stempel Zeuge für die einzelnen Stationen.
Die Compostela ist entgegen der oft verbreiteten Meinung keine Ablassbescheinigung. Ein Sündenablass ist nur in Jahren möglich, in denen der Namenstag des Hl. Jakobus, der am 25.Juli ist, auf einen Sonntag fällt. Das letzte heilige Jahr war 2010 und ich war 2010 zum zweiten Mal auf dem Jakobsweg gepilgert. Somit habe ich den Plenarablass erhalten.
Ein Pilger, der die "La Compostela" hatte, konnte sich ab dem 16 Jahrhundert in der Herberge nicht weit von der Kathedrale 3 Tage kostenlos erholen.
Heute ist die Herberge in das teurere und vornehme Parador Hotel umgebaut worden. Weil in der Gründungsurkunde Mildtätigkeit für die Herberge verfügt war, bekommen heute immer noch 10 Pilger täglich im Pilgerspeiseraum des Parador Hotels kostenlos Frühstück, Mittag- und Abendessen. So ist die heutige Mildtätigkeit der Pilgerspeisung nur eine Art, um der Gründungsurkunde gerecht zu werden.


27. Tag Ein Tag in Santiago de Compostela


An diesem Montag konnte ich in der Herberge Lazaro seit dem Beginn des Caminos, also nach 26 Tagen, mal richtig ausschlafen. Ich blieb liegen, als die anderen Pilger aufstanden um weiter zu gehen oder Heim zu fahren bzw. zu fliegen.
Ich genoss es und trödelte bis zum Frühstück, das ich gegenüber der Herberge in einer Bar um 9:30 Uhr einnahm, um dann wieder in die Stadtmitte und zur Kathedrale zu gehen. Auf dem Kathedralenplatz traf ich Sara. Zum ersten Mal habe ich sie in Fonfria nachmittags gesehen, wir hatten uns schon auf einigen Teilstrecken ausgetauscht. Sie ging auch sehr schnell und marschierte anfangs wie vorher schon beschrieben mit der norddeutschen Ärztin zusammen, die aber jetzt nicht mehr bei ihr war. Es war eine Wegbekanntschaft und sie hatten sich getrennt. Des Weiteren traf ich "Roadrunner". Ich fotografierte mitten auf der Plaza do Obradira, als Roadrunner mich aus 40 Metern Entfernung sah. Sie rief laut "Manfred" und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zugerannt. Ich empfing sie ebenfalls mit offenen Armen und wir drehten uns einige Male im Kreis. Ich, der alte Mann, und Roadrunner, die hübsche 24-jährige australische Studentin mit langen, blonden Haaren. Dieses waren bewegende Momente, die zeigten, wie sehr der Jakobsweg die Pilger, ob alt ob jung, ob arm ob reich, ob Mann ob Frau, egal welche Nationalität, vereint. Man wird Pilgerfreunde.
Es war Zeit zur Messe zu gehen. Santiago war heute nicht mit Touristen überfüllt und so hatte ich in der Kirche einen der vorderen Plätze, die für Pilger reserviert waren, genommen. Vor der Messe übte eine Nonne Lieder, die später in der Messe gesungen wurden, mit den Pilgern ein. Sie hatte eine Engelsstimme und ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich an das von ihr gesungene "Halleluja" denke. Ihre klare, helle Stimme ist einfach toll. In der Messe gab es dann noch eine Steigerung durch die Unterstützung der Orgel und der Tenorstimme (soll in Spanien ein bekannter Tenor sein) eines Pilgers, der im hinteren Bereich saß und dank seiner hervorragenden Stimme das Halleluja sehr laut mitsang. Diese Dreierkombination war ein unbeschreiblicher Ohrenschmaus und ist und bleibt wahrscheinlich das Beste, was meine Ohren live je zu hören bekommen haben. Man kann es nicht beschreiben, man muss es gehört haben.
Auf dem Rückweg zur Herberge verabschiedete ich mich noch von dem freundlichen italienischen Ehepaar mit ihrer 12 jährigen Tochter, mit der ich bei jedem Treffen "clap hands" machte. Kennen gelernt habe ich die drei in Calzadilla de la Cueza. Und zwar in der Herberge mit Swimmingpool, in dem die Tochter und ich nach langem Marsch uns abkühlten und wir zusammen abends unser Pilgermenü einnahmen und die mich in Melide zum Pulpoessen eingeladen hatten. Die drei fuhren mit dem Bus nach Italien zurück.
Bei all diesen Verabschiedungen hat man jedes Mal das Gefühl, eine Freundschaft oder besser gesagt, eine Pilgerfreundschaft, zu verlieren. Oft sind es Menschen, deren Vornamen man kaum kennt, die man aber auf dem Camino immer wieder sieht. Der gemeinsamen Weg, die Strapazen und die einfachen Verhältnisse auf dieser Tour, lässt die Pilger zusammen wachsen und zu Freunden auf Zeit werden.


28 Tag Santiago nach Negreira


Ein Tag ruhen und relaxen waren genug. Ich wollte und musste wieder gehen. Ich hatte mich mit der Dauer, den Jakobsweg zu gehen, verkalkuliert. In der Heimat hatte ich schon den Rückflug geordert. Zwischen 30 und 35 Tage hatte ich für den Weg von Saint Jean Piet de Port bis Santiago de Compostela eingeplant. Da es nur 25 Tage waren, hatte ich Zeit genug auch noch nach Fenisterre, im Mittelalter das Ende der Welt am Meer, weiter zu gehen.
Folglich ging ich morgens, in aller Herrgottsfrühe, wie gehabt, wieder los. Ich hatte als Erstes vor, die fünf Kilometer von der Herberge Lazaro in die Stadtmitte zu gehen. Dann an der Kathedrale vorbei, wobei ich noch ein super tolles Nachtfoto schoss, auf dem die Kathedrale als schwarze Silhouette wie ein Geisterschloss aussieht. Weiter durch San Lorenzo zum alten Eichenpark und dort endet dann langsam der urbane Einfluss Santiagos und man geht einen hügeligen Weg, der nicht schwer, aber auch nicht ganz einfach ist. Viele kleine Ortschaften wechseln sich mit Eukalyptuswäldern ab, in denen man immer noch die Schäden, die durch größere Waldbrände in der Vergangenheit erinnern, sieht
In Alto do Vento, in der Bar am Ortseingang, gab es einen guten Kaffee und leckeren Eierbocadillo (Baguette mit Schinken, Rühreier und Salat). Ich ging in diese Bar, weil ein die Bar verlassender Pilger mir riet, hier hinein zugehen, was ich auch befolgte. Dass ich diesen Pilger, Klaus aus Neuss, später noch häufig wieder sehe und ihn sogar in Düsseldorf bei einem Pilgertreff in der Düsseldorfer Altstadt treffe, konnte ich an diesem Tag nicht vorausschauen. Nach dem guten Frühstück ging es weiter durch hügeliges Gelände. Viele Hohlwege gingen durch Waldgebiete mit hohen Farnen und Esskastanienbäumen und es gab immer wieder Eukalyptuswälder. Nach den Anstrengungen der Vorwochen könnte man sagen, es wird leichter zu gehen, aber das hügelige Gelände verlangt doch schon einiges ab. Trotzdem hatte ich an diesem Tag ein inneres Glücksgefühl, das in mir aufkam. Es war so, als würde man eine Ehrenrunde nach einem Marathonlauf drehen. Man hatte das große Ziel Santiago erreicht und was jetzt kam, war Zugabe. Ich bin an diesem Tag deutlich langsamer gegangen, als an den Tagen zuvor und genoss, manchmal allein laut singend (hören darf mich niemand, weil mein Gesang grausam ist) die Sonne an diesem Vormittag.
Am frühen Nachmittag kam ich in Negreira an. Dort kaufte ich, im ersten Supermarkt, Obst, Käse, Wurst, Brot, Cola und Wein ein. Alles in allem viel zu viel, aber, wie es in meinem Reiseführer stand, es sollte ja kein Markt mehr in absehbarer Zeit kommen. Das war auch gut so, ich hatte so für den nächsten Tag noch einiges zu Essen übrig. Viel wichtiger ist und wird es in Zukunft sein, sehr früh in der Herberge von Negreira anzukommen, solange keine andere oder neue Herberge hinzukommt. Die Herberge ist viel zu klein. Es gibt nur 16 Betten und einige Zelte mit Auflagen. In der Zeit als ich dort war, begann es abends zu regnen und es dauerte die ganze Nacht hindurch. Leid taten mir die Zeltschläfer, die zu spät in der Herberge am Nachmittag angekommen sind, morgens musste sie unausgeschlafen und durchgefroren sein. Ich kann mir vorstellen, dass es diesen Leuten wenig Spaß machte, am nächsten Tag weiter zu gehen. Denn es kam eine lange Etappe auf sie zu, und wie ich noch berichten werde, eine Etappe die es an diesem Tag regenmäßig in sich hatte. In der Herberge waren die beiden Schlafsäle auf der ersten Etage, direkt unter einem flachen Schrägdach. Wer einen leichten Schlaf hat, der konnte diese Nacht nicht gut schlafen, denn der Regen tropfte unaufhörlich auf das Dach. Da es keine Isolation gab, dachte man, es sei nicht Regen sondern Hagelkörner. Es war aber immer noch besser als bei diesem starken Niederschlag im Zelt zu schlafen.


29. Tag Negreira nach Olveiroa


Nach Olveiora waren es noch 33 Km, was bei gutem Wetter kein Problem wäre, aber es regnete den ganzen Tag. Wir waren in Galicien und das Wetter ist nicht besser als es manchmal Ende August, Anfang September im verregneten Deutschland ist. Bei diesem Wetter sieht man sehr wenig von der Natur. Man achtet meistens nur auf den Weg, um Pfützen, Matsch, manchmal auch Bäche zu meiden, sowie in den Dörfern, wie schon einmal beschrieben, Rutschpartien durch Kuhfladen, zu verhindern. Bei schlechter Sicht macht der Wanderer keine oder wenige Beobachtungen und somit hat man kaum was ins Tagebuch zu schreiben. Ich schreibe heute nur, dass ich morgens bei Dunkelheit im Regen losgegangen bin und sofort den Weg links nicht erwischt habe, da meine Brille nach zwanzig Metern beschlagen und voller Regentropfen war. Es fing schon gut an. Ich bemerkte jedoch nach einigen Metern meinen Fehler, ging zurück zum richtigen Weg, der nun sofort steil bergauf verlief. Es regnete sehr stark auf den ersten Kilometern und der Pfad war mit Pfützen übersät. Zuerst geht man den Pfützen aus dem Weg, macht Slaloms, die viel Zeit kosten. Nach einer Stunde jedoch bin ich nur noch am Rand der Pfütze ins Wasser getreten, mit Ausnahme, wenn sich kleine Seen gebildet hatten, die ich dann weiträumiger umging. Das heißt, ab und zu musste ich ums umliegende Gebüsch oder im Wald eine Schleife drehen. Landschaftlich wäre es sehr schön bei trockenem Wetter gewesen, das konnte man während des Gehens ahnen, aber ich hatte mit meiner Brille zu kämpfen, die immer nass war und Zerrbilder durch Tropfen für meine Augen entstehen ließ. Dieses in den Pfützen durchs Wasser gehen, konnte ich mir deshalb erlauben, weil ich auch nach acht Stunden Regenwanderung keine nassen Füße hatte. Sie waren nur etwas feucht durchs schwitzen, was bei den meisten Personen aber auch im Alltag normal ist, wenn sie 10 Stunden in gleichen Schuhen laufen.
Es wäre bei besserem Wetter eine gute Strecke gewesen, sehr häufig waren es Feld- oder Hohlwege, nur ab und zu asphaltierte Straßen. Nach etwa vier Stunden überlegte ich, ob ich wegen des Regens in der Herberge von Vilaserio bleiben sollte und den Tag dort verbringe oder weitergehe. Also beschloss ich, einen Café con Leche in diesem Ort zu trinken und zu überlegen, wie ich weiter vorgehen soll. Bei der zweiten Tasse ging es mir so gut, dass ich nach einer halben Stunde weiter ging und mein Tagesprogramm, nach Olveiroa zu gehen, durchzog. Auf dem Rest des Weges traf ich dann Klaus, der nicht weit von meinem Wohnort Düsseldorf wohnt, und wir gingen den Rest des Weges nach Oleveiroa zusammen.
Nach guten und interessanten Gesprächen, kamen wir am Nachmittag bei weiter andauernden Regen in der Pilgerherberge von Oleveiroa an. Nach der Anmeldung zogen wir uns um, endlich trockene Sachen. Man ist, auch wenn ich einen guten Regenponcho über meinem Rucksack bis zu den Knien an hatte, feucht bis auf die Haut. Man schwitzt unter dem Plastik enorm und ab Knie ist man vom Spritzwasser und dem am Poncho herunter laufenden Wasser nass. Die feuchten Sachen wurden überall in dem Schlafraum der Herberge aufgehängt und zum Teil bis spät am Abend am Fön in der Toilette, der eigentlich für gewaschene Hände gedacht war, getrocknet. Not macht eben erfinderisch.
Nach dem Duschen gingen Klaus und ich in eine kleine Bar, die er von seinem letzten Pilgerweg nach Finisterre kannte und wir tranken und speisten. Es gab einen riesigen Salat, zwei Spiegeleier, Schinken und Kartoffeln. Zuvor hatten wir zwei Gläser Bier getrunken, beim Essen zwei Gläser Wein und es hat gut gemundet. Wenn man bedenkt, dass es nur knapp € 10.- gekostet hat, dann schmeckte es im Nachhinein noch besser. Als wir die Bar verließen, hatte es Gott sei Dank aufgehört zu regnen und wir hofften auf besseres Wetter für den nächsten Tag.


30. Tag Olveiroa nach Finisterre


Nach einer gut durchgeschlafenen Nacht bin ich morgens um kurz nach 7 Uhr aufgestanden und 30 Minuten später mit Klaus losmarschiert. Nach dem Regen des vergangenen Tages hatte die Luft noch eine sehr hohe Feuchtigkeit und es war diesig. Es hatte aber aufgehört zu regnen und das Gehen machte wieder Freude, zumal alle Kleidungsstücke trocken waren. Klaus, der nicht nach Finisterre, sondern nach Muxia gehen wollte, ging mit mir bis nach Hospital. Dort frühstückten wir in der Bar am Ortseingang zusammen. Mein Frühstück bestand -wie immer- aus zwei Tassen Café con Leche und ein Bocadillo mit verschiedenen Belägen. Eine halbe Stunde später gingen wir noch ein paar hundert Meter zusammen, dann trennten sich unsere Wege, er ging rechts nach Muxia, ich links nach Finisterre.
Der Weg war - bis auf einige steinige Geröllwege bergab und die immer noch vielen Wasserpfützen - recht einfach und auch landschaftlich sehr schön. Die Strecke zog sich wieder über 30 km und nach etwa der Hälfte sah man am Horizont das Meer, das, je weiter man ging, immer besser sichtbar wurde. Man sah den Berg mit der Stadt Fenisterre und das Kap Finisterre. Es gab wunderbare Aussichten auf die Landschaft: mal Steilküste, mal kleine weiße Sandstrände, die Stadt Cee und die Küste Praia de Langosteira. Der Weg ging bergab nach Cee und weiter an der Küste entlang nach Finisterre am Atlantik.
Nach Erreichen der Herberge und dem üblichen, täglichen Ritual: Bett aussuchen - sofern man früh genug ankommt und noch Auswahl hat - ausziehen, duschen, Tagesbekleidung waschen und zum Trocknen aufhängen, trockene Sachen für den Abend anziehen, ging ich anschließend in den Ort oder die Stadt. Hier erkundete ich die Lokalitäten, um für das Abendessen eine Bar oder ein Lokal zu finden. Das war nie besonders schwer, da alle Bewohner der Ortschaften am Jakobsweg auf Pilger und deren Wünsche ausgerichtet sind.
An diesem Nachmittag geschah etwas anderes, denn ein junger Deutscher, mit dem ich ins Gespräch kam, fragte mich, ob ich abends mit zum Kap gehen wollte? Das war der am weitesten in den Atlantik hereinragend Platz und der westlichste Punkt des spanischen Festlandes. Im Mittelalter nahm man an, hier sei das Ende der Welt, nach Westen gab es nur noch Wasser beziehungsweise Meer. Nachdem ich bejahte, mitzugehen, trafen wir uns mit Italienern, Spaniern, Polen, einer Kanadierin - die perfekt spanisch sprach - und wir zwei Deutschen, um 20 Uhr vor dem Lebensmittelladen. Wir kauften Brot, Wein, Käse, Wurst, Schinken und noch vieles mehr für ein feudales Essen am Kap.
Alle nahmen noch ein paar Sachen mit, die man zum Wandern nicht mehr benötigte, da jetzt das Ende der Pilgertour bevorstand. Nach altem Brauch werden nicht benötigte Dinge am Kap verbrannt. Pünktlich um 20 Uhr, am Treffpunkt, begann es wieder zu regnen und so gingen wir bei Regen, nach vorne gebeugt gegen den starken Sturm der vom offenen Atlantik her blies, zum Kap mit seinem hohen Leuchtfeuerhaus, es war kein Leuchtturm wie man annehmen könnte. Nach gut einer halben Stunde kamen wir an. Eine weitere internationale Gruppe mit acht Personen, die ebenfalls Essen und Wein mitgebracht hatten, entfachte schon das Feuer, das zum Verbrennen der nicht mehr benötigten Sachen gebraucht wurde. Es war nicht einfach das Feuer beim Sturm zu entzünden, erst nachdem wir eine Windschattenwand mit unseren Körpern gebildet hatten, begann das Feuer zu lodern. Einen Kreis bildend, uns Arm in Arm festhaltend, wie beim Syrtakitanz, tranken wir Wein. Alle sangen nacheinander irgendein bekanntes Lied in der Sprache ihrer Heimat und warfen die nicht mehr benötigten Sachen mit Hallo ins Feuer. Es war schon lange dunkel, der Leuchtturm warf sein sich drehendes Funklicht in 15 Sekundentakten auf unsere Gruppe als das Feuer langsam erlosch.
Nachdem alles, was wir als überflüssig empfanden, verbrannt und das Feuer ganz erloschen war, gingen wir zu einem überdachten Aufenthaltsunterstand. Wir besorgten einige Tische und alle legten das Essbare, das sie mitgebracht hatten, auf die Tischplatten. Es war von der Auswahl mit das reichhaltigste, das man sich denken kann. Selbst Schokolade und Toblerone gab es zum Nachtisch. Man muss bedenken, dass es der Einkauf von achtzehn Personen war, wobei immer zwei Personen ein Einkaufsteam bildeten. Der Platz war ideal, gegen Sturm und Regen geschützt, mit Ausblick auf das unruhig tosende Meer. Es war schnell nach 22:30 Uhr und wir mussten durch Sturm und Regen zurück zur Herberge, die, da es eine städtische Herberge war, um 23 Uhr geschlossen wurde und bei Ankunft auch geschlossen war. Wir kamen zwar viel zu spät, aber eine junge Deutsche sah die vielen noch nicht belegten Betten und wartete auf uns. Wir kamen durch einen Nebeneingang, der nur von innen zu öffnen war, hinein, der von der jungen Dame geöffnet wurde. Wir waren sehr froh,daß sie richtig und gut mitgedacht hatte.
Als wir, ohne Ärger zu bekommen, in der Herberge waren, hängten wir wieder nasse Sachen auf und niemand hatte Lust sofort ins Bett zu gehen. Also trafen sich alle in einem Raum, wo die Schlafenden nicht gestört wurden und es wurde noch miteinander geredet und trotz des Wetters war es ein wunderbarer Abend. Es schüttete immer noch wie aus Kübel.


31. Tag Ruhetag in Finisterre

Geschlafen habe ich in der durch regneten Nacht nicht gut, in der ich den Regen wie aus Kannen gießen hörte. Aus diesem Grund fasste ich kurzfristig den Entschluss, einen Ruhetag in Finisterre einzulegen. Ich stand halb acht auf. Zeit hatte ich genug, denn ich musste erst um 9 Uhr aus der Herberge. Also trödelte ich. Der Regen war zwar etwas weniger geworden als in der gesamten Nacht, aber immer noch heftig. Eine jüngere Deutsche, die keinen zeitlichen Spielraum nach hinten hatte und Muxia unbedingt heute erreichen wollte, musste im starken Regen noch über 30 Km gehen. Ich riet ihr, direkt nach Santiago zurück zu fahren, aber sie war eisern und wollte ihr gestecktes Ziel erreichen. Hut ab. Ich sah, wie sie sich regen sicher anzog.
Das sah so aus: Sie zog einen Plastikregenponcho, sowie eine Plastikregenhose an. Zwei Einkaufsplastiktüten, die sie um die Schuhe schnürte und mit Klebeband befestigte, sollten für trockene Füße sorgen. Wie lange die Plastiktüten gehalten haben, weiß ich nicht zu sagen. .
Kurz vor Schließung der Herberge um 9:00 Uhr morgens packte ich meinen Rucksack und eilte schnell 20 Meter über die Straße in die nächste Bar, in der ich frühstückte. Hier versammelten sich alle, für die Finisterre die letzte Station war. Um 12 Uhr kam der Bus und die meisten, mit denen ich abends zuvor gefeiert hatte und einige, die ich vorher auf dem langen Weg zum Teil seit Saint Jean Piet de Port kennen gelernt hatte, sah ich jetzt wieder. Es wurde eine große Verabschiedung, einige Fotos wurden geschossen und als der Bus abfuhr, war ich alleine auf weiter Flur. Alle fuhren mit dem Bus zurück nach Santiago de Compostela, von wo man in alle Welt zurück nach Hause fliegen oder fahren wird.
Man darf in einer städtischen Herberge nicht länger als eine Nacht bleiben, deshalb suchte ich mir nach der Busabfahrt in einer privaten Herberge eine Unterkunft aus, ließ meinen Rucksack dort. Der Regen wurde gegen Mittag etwas geringer und am Nachmittag hörte es ganz auf zu regnen. So ging ich noch einmal ohne Regen und leichtem Wind zum Kap. Jetzt im Tageslicht konnte ich die Pilger verstehen, die annahmen, hier sei die Welt zu Ende. Es sieht wirklich wie am Ende der Welt aus. Von drei Seiten nur Wasser, Wasser, Wasser.
Am späten Nachmittag ging ich einkaufen und setzte mich mit einem rustikalen Abendessen aus einem Stück Käse, einer halben Salamiwurst, schwarzen Oliven und eingelegten Paprika am Hafen auf die Kaimauer und ließ es mir köstlich schmecken, hin und wieder durften ein paar Möwen an meinem feudalen Essen teilhaben. Ich schmiss Stücke trockenes Brot ins Wasser und sah den Kämpfen um das Brot zu, wenn es nicht schon in der Luft aufgefangen wurde. Abends ging ich zeitig zur Herberge und legte mich ins Bett, da ich morgens in aller Frühe nach Muxia aufbrechen wollte.


32. Tag Finisterre nach Muxia


Morgens 7 Uhr bin ich bei Dunkelheit losgegangen. Hinter San Martin wanderte ich zunächst in linker Richtung, wie überall in den Wegbeschreibungen angezeigt war. Doch bei der Dunkelheit bin ich falsch abgezweigt und habe mich irgendwie verlaufen, bin dann einfach gefühlsmäßig immer Richtung Osten gegangen. Im Wanderführer steht, man geht den Weg parallel zur Küste. Dummerweise war es eine Halbinsel, und die hat von drei Seiten Küsten. Wie immer habe ich mir den falschen Küstenweg ausgesucht. Doch ich bin dann über Denle, Buxan nach Padris wieder auf den rechten Weg nach Muxia gekommen. Ob ich einen Umweg gemacht habe, weiß ich nicht, denn, als ich in Lires ankam, erschien es mir zeitlich sehr kurz. Hier in Lires frühstückte ich und ließ mir in der Bar einen Stempel in den Pilgerausweis geben. Diesen Tipp hatte mir die junge Deutsche in Finesterre gegeben, um keine Schwierigkeiten bei der Urkundenausgabe in Muxia zu bekommen. (Es gibt hier, wie auch in Finesterre, den schriftlichen Beleg, bis ans Ende der Welt gewandert zu sein). Man sagt, viele fahren mit dem Bus und wollen sich eine Urkunde abholen. Die Urkunde soll nur den Wanderern, die schon die Compostela aus Santiago erlangt haben und zu Fuß nach Muxia bzw. Fenisterre kommen, vorbehalten bleiben. Deshalb ist es ratsam, einen Stempel in dem Ort Lires abzuholen, weil von Lires kein Bus direkt nach Muxia fährt und man somit vielen Fragen aus dem Weg geht.
Am frühen Nachmittag hatte ich auch diese ca. 30 Km geschafft und mein 3. Ziel erreicht. Es war die letzte Etappe, auch diese war nicht leicht, so wie es gar keine "leichten" Etappen auf dem gesamten Jakobsweg gibt. Entweder es geht bergauf, bergab oder in der Meseta fast immer eben, dafür aber glühende Hitze. Und hier in Galizien der häufige und oft heftige Regen. Man kann es nicht mit einer Wanderung im flachen Deutschland, sofern man nicht im Gebirge oder Mittelgebirge wandert, vergleichen. Die Wege, so wie sie im Mittelalter angelegt wurden, sind häufig Geröllwege oder blanker Felsen, der rutschig ist, sowie auch mit großen Steinen gepflastert sind. Aber mir sind diese Wege zum wandern oder pilgern lieber als asphaltierte Straßen.
Es ist immer ratsam einen Wanderstab oder - womit ich viele Wanderer gesehen habe - mit zwei Nordic Walking Stöcke zu gehen. Stöcke sind immer eine Hilfe, zum abstützen, zum abbremsen oder um über Pfützen zu hüpfen.
In Muxia angekommen, habe ich mir zur Feier des Tages eine Flasche guten Gran Reserva Wein aus Rioja, sowie ein fürstliches Pilgerabendessen gekauft und dieses alles am Abend auf der Dachterrasse der Herberge im Abendrot bei untergehender Sonne getrunken und gegessen. Die Folge war, dass ich am nächsten morgen verschlafen habe.


33. Tag Ruhetag in Muxia (Sonntag)


Heute am Sonntagmorgen wollte ich eigentlich mit dem, wegen des Sonntags ohne Berufsverkehr nur morgens und abends fahrenden Bus, um 7.30 Uhr zurück nach Santiago de Compostela fahren. Aus dem oben genannten alkoholischen Grund bin ich erst um 7.30 Uhr wach geworden und noch verschlafen dachte ich, es sei 6:30 Uhr. Als ich um 8.00 Uhr losging, immer noch im Glauben, es sei eine Stunde früher, wunderte mich aber, wie hell es schon war. Jetzt sah ich das Malheur: als ich niemanden an der Bushaltestelle stehen sah schaute ich nochmals auf meine Uhr. Also, legte ich spontan noch einen Ruhetag ein und das war gut, denn ich habe heute vieles gesehen und erlebt. Da es noch früh war und die Sonne durch den mit leichten Wolken verhangenen Morgenhimmel brach, entschloss ich mich zum Heiligtum, der Virxe da Barca, zu gehen. In der alten Kirche vor dem Felsriff begann um 9.00 die große Messe, die ich besuchte. Die Kirche war überfüllt und ich wunderte mich, wie viele Menschen noch vor der nicht sehr großen Kirche standen und keinen Platz bekamen. Die Erklärung war einfach: Wir schrieben den 07.09. und morgen ist Mariä Geburt, der höchste Feiertag für Muxia mit seiner Legende.
Es begann die Woche der Wallfahrten nach Muxia. Die Legende besagt, dass die Jungfrau Mariä Jakobus an dieser Stelle, wo jetzt die Kirche steht, erschienen ist und ihn zur Weitermissionierung des Christentums ermutigte, als ihn der Mut verlassen wollte. So wurde es mir von spanischen Pilgern erzählt. Des weiteren sagten sie, dass ein Riesenstein der nahe des Kirchplatzes im Felsenriff steht und bei dem man durch einen Hohlraum krabbeln kann, was viele Leute taten, angeblich das Segel des von Mariä benutzten Steinbootes gewesen sein soll. Viele glauben, so könne man von Rheuma und Nierenkrankheiten befreit werden. Ich bin auch durchgeklettert, ich habe zwar kein Rheuma, aber wer weiß, wofür es gut ist. Vielleicht zur Prävention, damit ich später mal kein Rheuma bekomme. Je länger ich verweilte, desto mehr Menschen kamen. Einige robbten auf Knien, manchmal bis zu drei Mal, um die Kirche herum. Meiner Schätzung nach betrug eine Umrundung bestimmt 150 Meter, um dann mit blutigen und offenen Knien in die Kirche zu gehen. Ganz lustig war, das einer (wahrscheinlich ein Fliesenleger) mit Gummiknieschoner, wie die Fliesenleger ihn häufig anziehen, um die Kirche robbte.
Gegen Mittag kamen ca. 40 Reiter durch Muxia und ritten im gestreckten Galopp die letzten zwei Kilometer zur Kirche, geleitet von je einem Polizeifahrzeug am Anfang und am Ende der Reiterstaffel.
Viele der ankommenden Pilger hatten reflektierende Warnwesten an, wie wir sie als Autopannenweste kennen. Das ist eine Sicherheitsvorkehrung, da die meisten Pilger am Abend oder bei Nacht losgehen und so von den Autofahrern besser gesehen werden. Nachdem ich einige Stunden dem Treiben zugesehen habe, ging ich in den Ort zurück und traf dort den polnischen Cartoonzeichner, der überall auf der Welt in Filmstudios arbeitete und abends um 19.00 Uhr auch nach Santiago zurückfahren wollte. Wir haben uns auf dem Camino schon sehr oft gesehen. Er ging sehr oft zusammen mit Maria, einer Italienerin, die in Spanien lebte. Auch beim abendlichen Treffen mit dem Feuer und Essen auf Kap Finisterre war er dabei.
Bei herrlichem Sonnenschein tranken wir einen Kaffee auf der Flaniermeile Muxias und anschließend setzten wir uns am Hafen bis zum Abendessen auf eine Bank und sahen lange dem regen Treiben am Hafen zu. Um 19.00 fuhr der Bus nach Santiago und sollte da erst gegen 21.00 Uhr ankommen, deshalb wollten wir noch in Muxia zu Abend essen. Die Spanier essen bekanntlich immer erst nach 20.00 Uhr und in dem Restaurant, das ein Pilgermenü auf der Werbetafel draußen auf der Straße ausgeschrieben hatte, gab es dieses erst ab 20.00 Uhr. Also gingen wir hinein und fragten, ob wir früher essen könnten, was verneint wurde. Als wir unsere Gründe mit der Busfahrt darlegten, half man uns sofort sehr freundlich und wir sollten im Restaurant Platz nehmen. Es gab kein Pilgermenü, aber man improvisierte und wir bekamen einen Riesenteller Calamares mit Fritten, den wir von der Menge her nicht aufessen konnten und danach einen Riesenteller mit Schweinerippen. Diese waren lecker gegrillt und wir konnten von diesem Teller nur noch etwas essen, weil es so gut roch und ebenso gut aussah, satt waren wir schon von den vielen Calamares. Es gab noch Wein, Wasser und einen Kaffee als Nachtisch, und alles zum Pilgermenüpreis von € 10.-
Ich habe in Spanien sehr oft bemerkt, dass Pilger eine Sonderstellung genießen. Wie man in Nordspanien die Pilger behandelt, so nett, freundlich und zum Teil ohne finanzielles Interesse, das habe ich in der ganzen Welt nicht kennengelernt und ich bin weit gereist. Aus diesem Grund habe ich mich beim letzten Eintrag in ein Gästebuch am Jakobsweg bei der Nordspanischen Bevölkerung für die Achtung, Hilfe und ehrliche Freundlichkeit gegenüber Pilgern bedankt.
Das Gegenteil habe ich im Urlaub bei vielen Spaniern auf Mallorca und den Kanaren kennengelernt, die Touristen schröpfen und übervorteilen, wo sie es nur können. Ich bin aus diesem Grund seit über 20 Jahre nicht mehr nach Spanien in den Urlaub gereist. Unter anderem habe ich einmal für meine Tochter, deren Freundin, meine Frau und mich für je ein Eishörnchen mit zwei kleinen Ballen Eis an einem Straßenkiosk, also nicht in einer tollen Eisdiele, DM 16.- bezahlen müssen. Es war Wassereis, noch nicht einmal Milchspeiseeis. Eine Preisliste hatte er nicht. Zu dieser Zeit kostete auf der teuren Düsseldorfer Königsallee oder bei Häegen Dazs ein Ballen Eis eine Deutsche Mark - und das war schon teuer.
Pünktlich fuhren wir mit dem Bus abends nach Santiago. Im Busbahnhof angekommen, gingen `mein Pole` und ich noch eine halbe Stunde zu Fuß nach San Lorenzo, wo wir in einer Pension für € 10 pro Person übernachteten. Diese Pension kannte ` der Pole` als er Santiago auf dem Hinweg erreicht hatte, weil er hier mit Maria übernachtet hatte. Für Maria war der Jakobsweg hier zu Ende, am nächsten Tag ist sie nach Barcelona zurückgereist und konnte nicht mit nach Fenisterre und Muxia pilgern. Ihr Urlaub war zu Ende.
In der Nähe der Kathedrale und in deren Umgebung gibt es immer Vermittler, daher kannte er diese Pension. Lustig ist auch, als er mit Maria in dieser Pension war, musste er € 2.- pro Person und Tag mehr bezahlen, nämlich die Vermittlerprovision. Die erhält der Zimmervermittler, der an der Kathedrale steht und die Pilger anspricht, für seine Arbeit von den Pensionsinhabern ausgezahlt.


34. Tag Ruhetag in Santiago de Compostela (Montag)


Mein `Pole` musste sehr früh aufstehen, um den Bus nach Madrid für den Heimflug nach Polen zu erreichen, wo der Flieger startete. Ich hatte Zeit, frühstückte in aller Ruhe in einer Bar und ging mit meinem Rucksack in Richtung Kathedrale und über dem Praza do Obradioro, dem großen Hauptplatz vor der Kathedrale an dem auch das Parador National liegt, das älteste Hotel der Welt (Übernachtungskosten € 265.- p.P. /DZ). Ich hatte schon früher über die kostenlose Speisung von 10 Pilgern berichtet.
Wieder hörte ich meinen Namen ,,Manfred", den eine Frauenstimme aus einiger Entfernung rief. Es war die Studentin, die ich in Los Arcos nach meinem fünften Tag und 43 km zurückgelegter Strecke, beim Fußbad, kennengelernt habe, deren Freund entnervt nach dem ersten Tag aufgegeben hatte. Es war wieder so eine herzliche Begrüßung, die man so oft den ganzen Tag über auf dem Platz beobachten konnte, wenn sich Leute wiedersehen, die vorher vielleicht nur einige Sätze miteinander geredet oder nur kurze Zeit zusammen verbracht haben und sich beim Wiedersehen so sehr miteinander freuen, als bestünde engste Verwandtschaft.. Sie war heute angekommen und ich habe in 25 Tagen eine Woche zeitlich weniger als sie benötigt. Wir gingen zusammen in die Pilgermesse und anschließend verabschiedeten wir uns, weil sie direkt nach Deutschland flog.
Ich ging an diesem Montag am frühen Nachmittag zurück in die Herberge nach San Lazaro, in der man drei Nächte verweilen darf. Auf der Verlängerung der Hauptstraße Rua de San Pedro kam ich an einer Pulperia vorbei, ging hinein und setzte mich an einen rustikalen Holztisch. Es war ein Esslokal, in dem ich nur Einheimische sah. Die 60 bis 70 Plätze waren bis auf wenige Stühle alle besetzt. Ich bestellte Pulpa a la feria, Riesenkrake gekocht, sehr gut gewürzt und mit Olivenöl und groben Meersalz serviert. Es schmeckte köstlich und ich aß das ganze Brot aus dem Korb, in dem Olivenöl tunkend, auf. Noch zwei Gläser Rotwein dazu und das alles für € 15.-.
Während ich diese Zeilen schreibe und an das Essen denke, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Es war so reichlich zu essen, dass ich an diesem Abend nur noch eine halbe Flasche guten Reserva Rotwein aus der Provinz Rioja trank und mich dann zur Ruhe legte.


35. Tag Ruhetag in Santiago


Nach dem gestrigen Schönwettertag war es heute Morgen diesig und regnerisch. Ich frühstückte in der Bar gegenüber der Herberge und bestellte das Pilgerspezialfrühstück, bestehend aus Brot, Rührei, Croissant, Orangensaft und einen Riesenpott Kaffee con Leche.
Anschließend ging ich dann bei leichtem Nieselregen nach Santiago, wieder in die Pilgermesse, die mich förmlich anzog. Als die Messe beendet war, schüttete es in Santiago wie aus Eimern und es blitzte im 10 Sekundentakt. Um nicht nass zu werden, ging ich in eine Bar, trank einen Kaffee und nach über einer Stunde Wartezeit zog ich mein Regencape an und ging im Regen Richtung Herberge. Ich hatte schon lange kein Marmeladenbrot mehr gegessen und bekam unterwegs einen Heißhunger darauf. Also ging ich in einen Supermarkt einkaufen, holte mir drei Kleincroissants, leckere Erdbeermarmelade, Butter und vier Tafeln Sonderangebotsschokolade.
Die restlichen 2,5 Kilometer lief ich durch den Regen, nur an die Marmeladenbrote denkend. Angekommen in der Herberge, habe ich die Hälfte von den Croissants gegessen, von der Schokolade schaffte ich nur eine 100 Gramm Tafel weiße Milchschokolade. Der Rest war mein Frühstück am nächsten Morgen. Da man bei Regen nichts unternehmen konnte, las ich eine deutsche Illustrierte, die im Aufenthaltsraum lag und trank meine halbe Flasche Wein vom Vorabend. Nach einigen Gesprächen mit spanischen Mitbewohnern ging ich an diesem Abend früh zu Bett. Ich hatte jetzt, nachdem ich nicht mehr jeden Tag weite Strecken ging, das Gefühl Schlafnachholbedarf zu haben.
36. Tag Letzter Ruhetag in Santiago
Heute bin ich um 8:00 Uhr aufgestanden, habe die Croissants und Marmelade vom Vorabend gefrühstückt und bin anschließend langsam trottend in die Stadt gegangen. Ich wollte eigentlich, da das Wetter etwas besser geworden war, nur durch die Straßen schlendern. Es war zwar trübe, aber zumindest regnete es nicht mehr. In die Kathedrale mochte ich heute auch nicht gehen. Ich machte mir Gedanken, was ich meiner Frau, meinen Kindern und meinem einzigen Enkelkind Joana Marie als Andenken an diesen Pilgerweg mitbringen könnte. Ich bin diesen Weg, wie schon einmal beschrieben, für mein Enkelkind als Bittweg gegangen. So schlenderte ich durch die Gassen und suchte Schmuck- und Juwelierläden auf. Ich hatte vor, jedem ein kleines Pilgerkreuz in Silber, das als Talisman und Glücksbringer dient, zu schenken. In einem Schmuckgeschäft wurde ich fündig und kaufte mehrere Pilgerkreuze. Die Familie erhielt ein Pilgerkreuz mit geschliffener, roter Koralle, das rundum in Silber eingefasst war. Ich kaufte mir ein Gleiches, nur mit einem schwarzen Stein. Ich nahm meine Pilgerkreuze, die Glück und Segen bringen sollen, und ging nur deshalb in die Kathedrale, um die Pilgerkreuze segnen lzu lassen. Anschließend stellte ich mich in der langen Reihe an, die über eine Treppe in den Altarhinterraum führt. Dort umarmten und küssen die Pilger die lebensgroße Statue des Hl. Jakobus. Hier legte ich die Kreuze dem Hl. Jakobus auf die Schulter und sprach ein kurzes Bittgebet. Ich blieb über eine Minute bei der Statue, sehr lange darf man sich nicht aufhalten, da mindestens 15 bis 20 Personen warten, um ebenfalls ein Bittgebet zu sprechen oder Wünsche zu äußern.
Als ich die Kirche betrat, sah ich am Altar, dass das Seil für den Botafumeiro (berühmter Weihrauchkessel) unten hing. An allen Tagen hing es in fünf Meter Höhe mit einem Gewicht daran. Etwas muss ich noch zum Botafumeiro schreiben: Ich habe meine ganze Wegplanung ab Ponferrada mit größerer Tageskilometerleistung überdacht, weil ein deutscher ehrenamtlicher Herbergshelfer mir in dieser Herberge sagte, dass am 8. September Mariä Geburt sei. An diesem besonderen Tag würde der Kelch geschwenkt. Es stellte sich aber bei der Ankunft in Santiago und der Nachfrage im Pilgerbüro als falsch heraus.
Durch die Veränderung am Botafumeiro-Seil ahnte ich, das jemand ein "Schwenken des Weihrauchkübels" gekauft hatte. Nach Information eines Spaniers kann man kostenpflichtig, wie ich schon beschrieben habe, den Kübel schwenken lassen. Dieses kaufen oft Firmen, die einen Betriebsausflug nach Santiago machen, Ausflügler eines Kreuzfahrtschiffes, manchmal auch reiche Personen. Mir war egal, wer hierfür zahlte; ich sah am letzten Tag in Santiago das seltene Schauspiel, das der Botafumeiro geschwenkt wurde. Acht Personen zogen an dem mit Holzkohle und Weihrauch gefüllten riesigen Kelch, der durch das gesamte Kirchenschiff quer zum Hauptaltar mit hoher Geschwindigkeit geschwenkt wurde und Weihrauchfahnen hinter sich her zog. Der Schwenkradius ist über 20 Meter. Ein Mitpilger erzählte mir, dass dieses in früheren Zeiten gegen den ätzenden Körpergeruch der Pilger eingesetzt wurde, um diese Gerüche mit dem Weihrauch zu überdecken und um es in der Kirche überhaupt aushalten zu können. Dieses war noch einmal ein krönender Abschluss vor dem morgigen Heimflug. Zufrieden und glücklich ging ich in die Herberge und bereitete meine Heimreise vor.


37. Tag Die Heimreise

Hurra, heute geht es heimwärts.
Um 6:45 Uhr fuhr der Flughafenbus los, dessen Haltestelle genau vor der Herberge lag. Der Bequemlichkeit halber habe ich genau diese Herberge zum Abschluss des Weges gewählt. Es gibt keine Anschlussschwierigkeiten und man hat eine gewisse Sicherheit, den Bus nicht zu verpassen. Es klappte alles hervorragend. Bus und der Flieger waren pünktlich, so bekam ich den Anschlussbus von Frankfurt Hahn nach Köln und bin dann mit der S-Bahn nach Düsseldorf weitergefahren.
Am Flughafen von Santiago de Compostela sah ich an diesem Morgen viele Personen vom Camino, aber einige vermisste ich auch. Zum Beispiel eine Kerstin aus Bonn, zwei junge Männer aus der Nähe Düsseldorfs und zwei Geschwister aus Bayern. Diese Pilger kannte ich von Gesprächen unterwegs am Beginn des Camino.bei diesen Unterhaltungen sondierte sich heraus, dass wir alle den gemeinsamen Rückflug hatten. Mag sein, dass sie nicht durchgehalten haben, vielleicht haben sie auch umgebucht. Vorher hatten wir uns für diesen Tag am Flughafen verabredet, zumal sie die Tickets wie ich auch bereits gebucht hatten. Ich habe sie vermisst, mag gewesen sein was wolle, hoffentlich keine Krankheiten.
Wie dem auch sei, ich meldete mich am Flughafen in Hahn bei meiner Familie telefonisch an, die mich in Köln abholen wollte. Da es mit der S-Bahn schneller als mit dem Auto geht, rief ich nicht von Köln sondern erst als ich vor der Haustüre stand, an, um alle zu überraschen, was auch gelang. Es war ein sehr schöner Spätsommertag und wir saßen noch bis spät abends auf der Terrasse, aßen mein Lieblingsmenü und entgegen meiner Erwartung konnte ich ununterbrochen über den Camino reden. Einige "Camino-Gänger" die mehrfach gegangen waren, erzählten mir genau das Gegenteil, sie konnten bei der Ankunft zu Hause wenig erzählen. Sie mussten erst "Ankommen", das heißt, man muss alles verarbeiten und verinnerlichen. Dieses Gefühl hatte ich immer an den Zielen in Santiago, in Fenisterre und in Muxia. Da konnte ich nach der Ankunft nur ruhig sitzen und alles in und an mir vorüber laufen lassen.
Das war mein "Casi" (Abkürzung für Camino Santiago) . So nenne ich den Camino, wenn alles gut war, ich gute Laune hatte und ich stolz auf meine Leistung war. Lagen jedoch schlechte Wege oder Regen vor einem, dann nannte ich ihn "Höllenweg". Es sind und waren nicht viele Pilger, die mit bald 70 Jahren bzw. über 70 Jahre beim 2. Weg noch solche Strecken zurücklegten. Dieses erfuhr ich auch bei der Übergabe der La Compostela, als man mir dieses anerkennend mitteilte.


Dieses war mein Dankes-, Bitt- und Bußweg
Ein Erlebnis, das ich nie missen möchte,
eine Erfahrung, die ich nie missen möchte,
viele, viele Begegnungen, die ich nie missen möchte,
es war eine große Herausforderung in meinem Leben, die ich nie missen möchte.


Pilger auf dem Jakobsweg

Keine Aussage über die Streckenlänge. Nur Pilger die in Santiago angekommen sind.
2000 55.000 Pilger
2005 94.000 Pilger
2010 272.000 Pilger
2015 262.000 Pilger
Statistik "Mein Jakobsweg"
Insgesamt 30 Gehtage, davon 26 Tage Saint Jean Piet de Port bis Santiago, 3 Tage bis Finisterre und 1 Tag bis Muxia


Statistik "Mein Jakobsweg"
1. Tag Über die Pyrenäen nach Roncesvalles                               24,8 km 8,5 Std
2. Tag Roncesvalles nach Larrasoana                                            26,5 km 7,5 Std
3. Tag Larrasoana über Pamplona nach Cizur Menor                20,3 km 8,5 Std
4.Tag Cizur Menur nach Puenta la Reina                                       19,1 km 8,5 Std
5. Tag Puente la Reina nach Los Arcos                                           43,1 km 11,4 Std
6.Tag Los Arcos nach Logrono                                                           28,6 km 8,0 Std
7. Tag Logrono nach Azorfa                                                                36,1 km 8,45 Std
8. Tag Azorfa nach Belorado                                                               38,3 km 9,0 Std
9. Tag Belorado nach Ages                                                                  28,1 km 10,0 Std
10. Tag Ages über Burgos nach Tardajos                                         34,1 km 10,0 Std
11. Tag Tardajos nach Castrojeriz                                                      30,3 km 8,1 Std
12. Tag. Castrojeriz nach Fromista                                                     29,1 km 7,5  Std
13. Tag Fromista nach Calzadilla de la Cueza                                37,6 km 8,0 Std
14. Tag Calzadilla de la Cueza nach El Burgo Ranero                  30,7 km 9,15 Std
15. Tag El Buro Ranero nach Puente Villarente                              25,1 km 8,5 Std
16. Tag Puente Villarente nach über Leon nach Virgen d C        21,1 km 6,5 Std
17. Tag Virgen del Camino nach Hospital de Orbigo                     27,6 km 7,5 Std
18. Tag Hospital de Orbigo über Astorga nach Rabanal d C        37,7 km 9,45 Std
19. Tag Rabanal del Camino, Cruz Ferro nach Ponferrada          32,6 km 11,0 Std
20. Tag Ponferrada nach Trabadelo                                                   34,7 km 9,o Std
21. Tag Trabadelo , O Cebeiro (1308m) nach Fonfria                     30,9 km 8,15 Std
22. Tag Fonfria nach Sarria                                                                 34,1 km 7,15 Std
23. Tag Sarria über Porto Marin nach Gonzar                                30,5 km 8,0 Std
24. Tag Gonzar nach Melide                                                                32,3 km 7,15 Std
25. Tag Melide nach Pedrouzo/ Arco do Pino                                  33,2 km 7,15 Std
26. Tag Pedrouzo/Arcodo Pino nach Santiago de Compostela  21,1 km 4,15 Std
27. Tag Ein freier Tag in Santiago de Compostela
28. Tag Santiago nach Gregarine ( nach Fenisterre)                      21,1 km 6,0 Std
29. Tag Negreira nach Olveiroa                                                            33,2 km 8,0 Std
31. Tag Ruhetag in Finisterre
32. Tag Finisterre nach Muxia                                                              33,8 km 10,0 Std
33. Tag Ruhetag in Muxia
34. Tag Ruhetag in Santiago de Compostela
35. Tag Ruhetag in Santiago
36. Tag Ruhetag in Santiago
37. Tag Ruhetag Santiago
38. Tag Heimreise


Ungefähre Ausgaben pro Tag

Frühstück € täglich 5.- bis 8.-
Trinken und Obst täglich 5.- bis 8.-
Abendessen täglich 10.- bis 20.-
Übernachtung (Herberge) täglich 5.- bis 15.-
Täglich Gesamtausgaben zur Planung 25.- bis 40.-
Dieses sind Kosten für Essen und Trinken, hinzu kommen Kosten für Bus, Flug, Bahn evtl. Spenden


Mehr Statistik Camino Francaise

von Saint Jean Pied De Port nach Santiago de Compostela

Ich bin 2 mal über 1000 Km Jakobsweg gegangen.
Es waren 11 960 Höhenmeter je Weg zu überbrücken
Die Strecke von Saint Jean Piet De Port bis Santiago sind etwa 800 Km.
Diese ersten 800 Km bin ich in 26 Tagen gegangen
Das sind durchschnittlich 30,8 Km täglich.
Den Weg von Saint Jean Piet De Port bis Muxia ging ich in 30 Tagen
Gehzeit gesamt etwa 250 Stunden incl. Pausen.
Das sind durchschnittlich 8,3 Stunden tägliche Gehzeit incl. Pausen
Durchschnittliche Kilometer pro Stunden : 4 Km ( incl. Pausen)


Die von mir geschätzten Altersstrukturen: August- September
Alter 20 bis 40 Jahre etwa 65 %
Alter 40 bis 60 Jahre etwa 20 %
Alter unter 20 Jahre + über 60 Jahre 15 %


Die von mir geschätzte Nationalitätenstruktur: August- September
Spanier etwa 55 %
Franzosen 15 %
Italiener 15 %
Deutsche 5 %
Sonstige 10 % Polen, Tschechen, Südkorea, Australien,
Benelux Länder, Dänen, Neuseeländer


Das Wetter: August-September
In den Regionen Navarra, Rioja, Castilla und Leon mit Ausnahme von 1 Stunde Regen in der Meseta und starken Wind in den Pyrenäen nur gutes Wetter.
In der Region Galicien sehr häufig und sehr viel Regen durch den Atlantikeinfluss.
Ähnlich wie im Regenloch Düsseldorf.
Morgendliche Abmarschzeit: Anfangs meist morgens zwischen 6:30 Uhr und 6:45 Uhr
Ab Galicien wurde es später hell, dann Abmarsch gegen 7:00 Uhr
Meine Einschätzung zur Streckenbewältigung
Nur etwa 20 % der in Santiago de Compostela ankommenden Fußpilger gehen den gesamten Camino Francaise, meistens werden Teilstücke gegangen. Radpilger sind mit wenigen Ausnahmen fast ausschließlich Spanier, ich habe nur 2 deutsche Radpilgerpaare getroffen.


Mein Gewicht
Bei der Abreise am 4. August habe ich 86,2 Kg netto morgens gewogen.
Am 10. Tag in Burgos habe ich mich zum 1. Mal gewogen. 82.0 Kg angezogen mit Schuhe
Am 22. Tag in Sarria wog ich noch 79.8 Kg
Am 25. Tag in Arco de Pino nur noch 78.5 Kg obschon ich sehr viel gegessen habe.
Einen Tag später in Santiago de Compostela waren es 77.8 Kg


Alle Orte am Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela
Ortsübersicht


Saint-Jean-Pied-de-Port,/ Honto,|Roncesvalles /Burguete | Espinal (Navarra) | Bizkarreta-Gerendiain | Lintzoain | Erro-Pass | Zubiri | Larrasoaña | Zuriáin | Iroz | Zabaldica | Villava-Burlada | Pamplona | Cizur Menor | Guendulain | Zariquiegui | Alto del Perdón | Uterga | Muruzabal | Obanos | Puente la Reina | Mañeru | Cirauqui | Lorca | Villatuerta | Estella | Irache | Azqueta | Villamayor de Monjardín | Los Arcos | Sansol | Torres del Río | Viana | Logroño | Navarrete | NájeraAzofra | Cirueña | Santo Domingo de la Calzada | Grañón | Redecilla del Camino | Castildelgado | Villamayor del Río | Belorado | Tosantos | Villambistia | Espinosa del Camino | | Kloster San Juan de Ortega | Agés | | Cardeñuela Ríopico | Orbaneja Ríopico | Villafría | Burgos | Villalbilla | Tardajos | Rabé de las Calzadas | Villafranca | San Bol | Hontanas |AtapuercaKloster San Anton de Castrojeriz | Castrojeriz | Puente de Itero | Itero de la Vega | Boadilla del Camino | Frómista | Población de Campos | Villarmentero de Campos | Carrión de los Condes | Calzadilla de la Cueza | Ledigos | Terradillos de Templarios | Moratinos | San Nicolás del Real Camino | Sahagún | Calzada del Coto | Bercianos del Real Camino | El Burgo Ranero | Reliegos | Mansilla de las Mulas | Villamoros de Mansilla | Villarente | Arcahueja | Valdelafuente | León | Trobajo del Camino | Virgen del Camino | Valverde de la Virgen | San Miguel del Camino | Villadangos del Páramo | San Martín del Camino | Puentede Órbigo | Villares de Órbigo | Santibáñez dValdeiglesia | San Justo de la Vega | Astorga | Murias de Rechivaldo | Santa Catalina de Somoza | El Ganso | Rabanal del Camino | Foncebadon | Cruz de Ferro | Manjarin | El Acebo | Riego de Ambros | Molinaseca | Ponferrada | Columbrianos | Camponaraya | Cacabelos | Villafranca del Bierzo | Pereje | Trabadelo | La Portela de Valcarce | Ambasmestas | Vega de Valcarce | Ruitelan | Las Herrerías | La Faba | de Castilla | O Cebreiro | Liñares | Hospital de la Condesa | Padornelo | Alto do Poio | Fonfría | Biduedo | As Pasantes | Ramil | Triacastela | Samos | Calvor| Sarria | Barbadelo | Mercado de Serra | Brea | Ferreiros | Vilachá | Portomarín | Gonzar | Ligonde | Palas de Rei | San Xulián do Camiño | Leboreiro | Furelos | Melide | Boente | Castañeda (Galicien) | Ribadiso | Arzúa | Santa Irene | Amenal Pedrouzo |Lavacolla | Monte de Gozo | Santiago de Compostela
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